Année politique Suisse 1989 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Volksrechte
Im Berichtsjahr wurden
drei Volksinitiativen eingereicht (Freizügigkeit bei der 2. Säule, Werbeverbote für Tabakwaren resp. alkoholische Getränke). Da gleichzeitig drei Begehren in der Volksabstimmung abgelehnt (Kleinbauern, Schweiz ohne Armee und Tempo 100/130) und eine (Autobahnbau im Jura) zurückgezogen wurden, verringerte sich die Anzahl der Ende 1989 hängigen Volksinitiativen von 20 auf 19. Nach dem Tiefstand im Vorjahr (keine Initiative eingereicht und nur drei neue lanciert) stieg 1989 die Anzahl der neu lancierten Volksbegehren wieder auf acht an (Landwirtschaftspolitik, Schutz vor dem Alpentransitverkehr, 1. August, Tierversuche, Hügelstadt Sonnenberg, Verschleppung von Volksinitiativen, freie Fahrt für Jugendliche im öffentlichen Verkehr und Stammhalterinitiative). Gegenzwei Beschlüsse der Bundesversammlung wurde im Berichtsjahr erfolgreich das Referendum ergriffen (Organisation der Bundesrechtspflege bzw. Rebbaubeschluss)
[35].
In einem historischen Rückblick stellte der Politologe A. Gross fest, dass auf Bundesebene noch nie zuvor so viele Volksinitiativen eingereicht worden waren wie in den achtziger Jahren. In diesem Jahrzehnt allein kamen fast doppelt so viele Begehren zustande wie in den ersten vierzig Jahren nach der Einführung des Initiativrechts. Die Erfolgsquote hat sich allerdings massiv verschlechtert: während von den 26 zwischen 1891 und 1929 eingereichten Initiativen deren 6 in der Volksabstimmung angenommen worden sind, waren es in den achtziger Jahren nur noch zwei von sechsundvierzig
[36].
Bereits bei den von der Detailhandelskette Denner AG lancierten oder mitgetragenen Volksinitiativen war kritisch angemerkt worden, dass damit nicht allein politische Zwecke verfolgt würden. Noch offensichtlicher wurde die Nutzung der politischen Instrumente zum Zweck der kommerziellen Werbung, als im Berichtsjahr ein Verleger die Einführung einer neuen Jugendzeitschrift ("Yeah") mit der Lancierung einer Volksinitiative für den Gratistransport von Jugendlichen im öffentlichen Verkehr koppelte
[37].
Der Nationalrat hat mit seinem Entscheid, eine parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion aus dem Jahre 1987 für die Einführung der sogenannten
Einheitsinitiative zu unterstützen, grundsätzlich grünes Licht für den Ausbau der Volksrechte gegeben. Dieses neue Instrument soll nach dem Willen des Nationalrats nicht – wie ursprünglich intendiert – an die Stelle der Volksinitiative treten, sondern diese ergänzen. Initianten eines Volksbegehrens könnten demnach in Zukunft zwischen der Form der obligatorisch dem Volk zu unterbreitenden Verfassungsinitiative und der Einheitsinitiative wählen. Bei letzterer würden sie dem Parlament den Entscheid überlassen, ob das Anliegen auf Gesetzes- oder Verfassungsstufe verwirklicht werden soll. Ohne Gegenstimmen beauftragte die Volkskammer eine Kommission mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Vorlage
[38].
Unmittelbar nach der knappen Ablehnung der Volksinitiative "für ein naturnahes Bauern – gegen Tierfabriken" reichten Ständerat Schmid (cvp, Al) und Nationalrat Zwingli (fdp, SG) identische Motionen ein, die verlangen, dass die offiziellen
Titel von Volksinitiativen nicht mehr von den Initianten selbst, sondern von der Bundeskanzlei in neutraler Form festgelegt werden. Damit soll gemäss den Motionären verhindert werden, dass die Stimmberechtigten mit werbewirksamen Titeln irregeführt würden. Gegen die Opposition von seiten der SP und des Landesrins überwies der Ständerat den Vorstoss
[39].
Aus Verärgerung über die Haltung des Bundesrates, der das Abstimmungsdatum für seine Volksinitiative für Tempo 100/130 hinauszögerte, lancierte der Basler Automobiljournalist Bernhard Böhi eine neue
Volksinitiative für eine speditivere Behandlung dieser Begehren. Er verlangt darin, dass eine Initiative dem Souverän spätestens zwei Jahre nach deren Einreichung zum Entscheid vorzulegen sei. Ausnahmen von dieser Regelung wären nur im Einvernehmen mit den Initianten möglich
[40]. In ähnliche Richtung zielte auch eine im Vorjahr von Nationalrat Dünki (evp, ZH) eingereichte parlamentarische Initiative. Diese will zwar – im Gegensatz zu Böhis Begehren – die Behandlungszeiten für Bundesrat und Parlament nicht verkürzen, verlangt aber, dass eine vom Parlament verabschiedete Volksinitiative binnen eines halben Jahres dem Volk zu unterbreiten sei. Die vorberatende Nationalratskommission kam zum Schluss, dass die geltenden Behandlungsfristen von je zwei Jahren für Regierung und Parlament verkürzt werden sollten. Sie lehnte deshalb den Vorstoss Dünki ab und verlangte mit einer eigenen Motion, dass über eine Volksinitiative spätestens vier Jahre nach ihrer Einreichung abgestimmt werden muss
[41].
[35] Verhandl. B.vers., 1989, IV, S. 133 und V, S. 127 f.; Gesch.ber. 1989, S. 20 ff.; wf, Initiativen + Referenden. Stand B. Januar 1990, Zürich 1990. Siehe auch SPJ 1988, S. 35.
[36] Lit. Gross. Vgl auch SPJ 1989, S. 35.
[37] BBl, 1989, III, S. 451 f.; TA, 11.9.89. Siehe auch unten, Teil I, 8a (Presse).
[38] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 408 ff.; TA, 14.3.89; SZ, 28.7.89. Siehe auch SPJ 1987, S. 33.
[39] Amtl. Bull. StR, 1989, S. 475 ff. NR Zwingli zog seine Motion nach dem Ständeratsbeschluss zurück und reichte sie zwei Monate später noch einmal ein (Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1717 f.; Verhandl. B.vers., 1989, V, S. 115). Vgl. auch C. Miville in BaZ, 1.11.89.
[40] BBl, 1989, I, S. 1505 ff.
[41] Verhandl. B.vers., 1989, V, S. 26; NZZ, 7.4.89; TA und Vat., 8.7.89.
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