Année politique Suisse 1989 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen / Einnahmenordnung
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WUSt und Stempelsteuer
Das im Herbst 1988 eröffnete Vernehmlassungsverfahren zu den vier Varianten einer neuen indirekten Steuer als Ersatz für das 1994 auslaufende WUSt-Modell ist im April des Berichtsjahres zum Abschluss gekommen. Alle vier Varianten sahen die Aufhebung der "taxe occulte" (Schattensteuer) auf Investitionen und Betriebsmitteln vor [11]. Die Vernehmlassung ergab einen starken Trend zugunsten der Variante 4, welche eine Mehrwertsteuer nach dem Modell der Europäischen Gemeinschaft vorsieht. Die meisten Organisationen und Parteien äusserten freilich Bedenken in bezug auf die Chancen einer Mehrwertsteuer in der Volksabstimmung. Die CVP, die Liberalen, der LdU und starke Minderheiten innerhalb der FDP und der SVP sprachen sich trotzdem für einen Systemwechsel aus; ebenso befürworteten die Arbeitgeber- und Angestelltenverbände, die Gewerkschaften sowie die Mehrheit der kantonalen Finanzdirektoren die Variante 4. Die FDP, SVP und die SP bevorzugten mehrheitlich eine Revision der WUSt gemäss der Variante 3 [12].
Der Bundesrat verabschiedete am 5. Juni seine Botschaft zur Neuordnung der Bundesfinanzen und zur Änderung des Bundesgesetzes über die Stempelabgaben. Er schlug darin vor, die WUSt beizubehalten, diese jedoch in eine reine Konsumsteuer umzuwandeln. Damit würde der grösste Nachteil der WUSt, die wettbewerbsverzerrende taxe occulte (Besteuerung von Investitionen und Halbfabrikaten) eliminiert. Da die ganze Reform kostenneutral sein soll, sieht das Projekt vor, einige Dienstleistungen und die bisher steuerfreien Energieträger Gas, Strom und Brennstoffe zu belasten. Auf die im Hinblick äuf die Volksabstimmung heikle Besteuerung der Leistungen des Gast- und Coiffeurgewerbes wurde hingegen verzichtet. Im weitern schlug der Bundesrat vor, die bisherige zeitliche Befristung der WUSt und der direkten Bundessteuer aus der Verfassung zu streichen; der Höchststeuersatz der WUSt soll hingegen weiterhin in der Verfassung verankert bleiben. Durch weitere Verfassungsänderungen sollen zudem die Grundlagen für eine Umwandlung der Fiskalzölle in Verbrauchssteuern und für die Erhebung eines WUSt-Zuschlags von maximal 1,3 % zur Finanzierung der AHV geschaffen werden.
Im Rahmen der Neuordnung der Bundesfinanzordnung möchte der Bundesrat ebenfalls die Stempelabgaben revidieren. Mit dieser Reform will er die Steuerbelastungen des schweizerischen Finanzmarktes an die Verhältnisse im Ausland angleichen und damit einen Beitrag zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des schweizerischen Finanzplatzes leisten. Derartige Erleichterungen waren nicht nur von den Banken, sondern auch vom Parlament mit Nachdruck gefordert worden. Das Regierungsprojekt sieht vor, die Umsatzabgaben auf den Handelsbeständen der Effektenhändler, auf der Emission von sogenannten Euro-Bonds und auf dem Handel mit inländischen Geldmarktpapieren von maximal zwölf Monaten Laufzeit vollständig aufzuheben. Beim sogenannten Ausland/Ausland-Geschäft, d.h. bei der Vermittlung eines Geschäfts zwischen Ausländern durch einen schweizerischen Effektenhändler beschränkt sich die Steuerbefreiung auf den Obligationenhandel. Als Kompensation für die erwarteten Einnahmenausfälle sollen neu Treuhandanlagen, Lebensversicherungen und die Emission von Inland-Obligationen besteuert werden [13].
Banken und Versicherungen protestierten gegen die vorgeschlagenen Kompensationsmassnahmen für die Ausfälle der Stempelsteuern und erklärten, nur schon die Ankündigung solcher Belastungen lasse Geschäfte in grossem Stil ins Ausland abwandern. Die Schweizerische Vereinigung privater Lebensversicherer drohte an, die Wiedereinführung der Stempelabgabe auf Versicherungspolicen mit dem Referendum zu bekämpfen. Bald wurde auch die Forderung laut, die Stempelsteuergesetzrevision von der Überarbeitung der Finanzordnung abzukoppeln und prioritär zu behandeln [14].
Die Behandlung der parlamentarischen Initiative Feigenwinter (cvp, BL) zur Stempelsteuergesetzrevision zeigte denn auch, dass der Nationalrat durchaus bereit war, die Stempelsteuergesetzrevision unabhängig von der neuen Finanzordnung zu beraten: Ende September, also knapp vier Monate nach dem Vorliegen der bundesrätlichen Botschaft, überwies er gegen den Widerstand der SP und der Grünen die Initiative Feigenwinter. Diese unterscheidet sich vom Vorschlag des Bundesrates in zwei wesentlichen Punkten. Zum einen soll auf diesem Weg das parlamentarische Verfahren beschleunigt und damit der Finanzplatz schneller entlastet werden. Zum anderen soll auf die Wiedereinführung der Stempelabgaben auf den Lebensversicherungsprämien und auf die Besteuerung der treuhänderischen Darlehen verzichtet werden. Dies hätte zur Folge, dass die Einnahmenausfälle für die Bundeskasse nur zu 40% durch neue Steuern ausgeglichen würden [15].
Die vorberatende Kommission des Ständerates beschloss, auf die Vorlage des Bundesrates einzutreten, aber dabei die Revision der Stempelsteuern vorzuziehen. In der Sache war sie mit dem Nationalrat einig: die Erleichterungen für den Finanzplatz sollten nur zu einem Teil durch neue Finanzmarktsteuern kompensiert werden. Auf eine Besteuerung der Prämien der Lebensversicherungen sollte demnach ebenso verzichtet werden wie auf die Umsatzsteuer auf Treuhandanlagen. Zudem beantragte sie dem Plenum, die Emission von ausländischen Obligationen und den Handel mit ausländischen Geldmarktpapieren von maximal einem Jahr Laufzeit von der Umsatzabgabe zu befreien. Trotz heftiger Opposition von seiten der sozialdemokratischen Abgeordneten und von Bundesrat Stich folgte der Ständerat in der Dezembersession den Anträgen seiner Kommissionsmehrheit vollumfänglich und stimmte in der Gesamtabstimmung der Revision des Stempelsteuergesetzes mit 33:5 Stimmen zu [16].
 
[11] Zu den Varianten vgl. SPJ 1988, S. 120 ff.
[12] NZZ, 18.4.89; SGT, 19.4.89. Vgl. auch Lit. Schwartz; DP, 944, 23.3.89; L'Hebdo, 19, 11.5.89, S. 20 f.
[13] BBl, 1989, III, S. 1 ff. Presse vom 29.4. und 6.6.89; wf, Dok., 8.5.89.
[14] SHZ, 1.6.89; Schweiz. Bankiervereinigung, Jahresbericht 1988/89, S. 32 ff.; Bund, 30.11.89 (Referendumsdrohung). Siehe auch oben, Teil I, 4b (Banken).
[15] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1468 ff.; Presse vom 28.9.89. Vgl. auch SPJ 1988, S. 103 und H.R. Feigenwinter, "Gefährdung der Finanzreform durch eine vorgezogene Stempelsteuerreform", in NZZ, 25.9.89.
[16] Presse vom 14.11.'und 7.12.89; Amtl. Bull. StR, 1989, S. 740 ff. und 755 ff. Vgl. auch wf, Dok., 2.10., 6.11. und 11.12.89; L'Hebdo, 48, 30.11.89, S. 34 f.; DP, 976, 14.12.89.