Année politique Suisse 1989 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft / Mietwesen
Die Revision des achten Titels des Obligationenrechts über das Miet- und Pachtrecht, welche einen 1986 angenommenen Verfassungsartikel konkretisiert, konnte 1989 zum Abschluss gebracht werden. Nachdem sich im Vorjahr der Ständerat für eine eher vermieterfreundliche Revision der Bundesratsvorlage entschieden hatte, sorgte der Nationalrat für eine massvolle Korrektur zugunsten der Mieter, ohne allerdings so weit zu gehen wie zuvor die Regierung oder seine eigene Kommission. Für eine vermieterfreundliche Fassung traten FDP, SVP, LP und Auto-Partei ein, für eine mieterfreundliche Version SP, LdU, EVP, Grüne und POCH. Die CVP war in vielen Fragen gespalten. Bundesrat Koller hielt fest, dass die 1986 beim Verfassungsartikel gegebenen Versprechungen einzulösen seien und dass dabei Eigentumsgarantie und Vertragsfreiheit nicht absolut und schrankenlos gelten könnten. Der Mieter als schwächerer Partner müsse vor missbräuchlichen Zinsen und Kündigungen geschützt werden.
In den
Beratungen des Nationalrats ergaben sich in mehreren Punkten Differenzen zu den Beschlüssen des Ständerats: Besonders umstritten war die Anfechtbarkeit der Anfangsmieten. Der bundesrätliche Vorschlag für eine Ausdehnung auf alle Situationen wurde in einer Abstimmung mit Namensaufruf abgelehnt. Die Vorlage wurde jedoch gegenüber der kleinen Kammer verschärft, indem neben dem Merkmal der erheblichen Mietzinserhöhung bei Mieterwechsel die beiden Kriterien der persönlichen und familiären Notlage sowie der Wohnungsnot nebeneinander und nicht bloss kumuliert gelten. Bezüglich des Weiterlaufens von Mietverträgen bei Handänderungen wurde das alte römisch-rechtliche Prinzip "Kauf bricht Miete" dahingehend relativiert, dass die in den individuellen Wohnungs- und Geschäftsmietverträgen vereinbarten Kündigungsfristen, und nicht mehr die gesetzlichen, gelten sollen, es sei denn, der Vermieter könne dringenden Eigenbedarf für sich und nahe Verwandte geltend machen. Weitere Differenzen zum Ständerat ergaben sich beim Retensionsrecht bei Geschäftsräumen, welches wieder gestrichen wurde, bei der Ausdehnung der Gültigkeit der Bestimmungen über die Miete von Wohn- und Geschäftsräumen auf Ferienwohnungen, falls diese länger als drei Monate bewohnt sind, bei der Bekanntgabe der Nebenkostenabrechnung, welche durch den Vermieter mindestens einmal pro Jahr zu erfolgen hat, bei den Rahmenmietverträgen zwischen 'Vermieter- und Mieterverbänden, welche nicht von den zwingenden Bestimmungen des Gesetzes abweichen dürfen, sowie beim Hinterlegungsrecht des Mietzinses. In der Gesamtabstimmung wurde die Vorlage im Nationalrat mit 107:0 Stimmen bei etlichen Enthaltungen angenommen. Zustimmung in beiden Räten fand auch eine Motion der Nationalratskommission betreffend Allgemeinverbindlichkeit von Rahmenmietverträgen und von sonstigen gemeinsamen Vorkehren von Vermieter- und Mieterverbänden oder Organisationen, die ähnliche Interessen wahrnehmen. Der Grundtenor nach Abschluss der langen Debatte war durchwegs anerkennend; Kommissionspräsident Hubacher (sp, BS) sprach von einem tragbaren Kompromiss und der Schweizerische Mieterverband bewertete das Ergebnis insgesamt als nicht negativ
[32].
Auch in den
Differenzbereinigungsverfahren vermochte sich schliesslich in den zentralen Punkten die Version des Nationalrats durchzusetzen, so namentlich bei der Anfechtbarkeit der Anfangsmiete auch aus Gründen des örtlichen Wohnungsmangels, bei der Ungültigkeit einer Kündigung, wenn der Vermieter den Mieter zum Wohnungskauf zwingen will, bei der Notwendigkeit des "dringenden Eigenbedarfs" als Grund für Kündigung nach Hauserwerb sowie bei der Möglichkeit, dass sich Vermieter und Mieter auch aussergerichtlich über Geldforderungen einigen können, ohne den dreijährigen Kündigungsschutz zu verwirken. Auf sein Konto konnte der Ständerat letztlich die Beibehaltung des Retensionsrechts bei Geschäftsliegenschaften buchen. In der
Schlussabstimmung wurde die Vorlage in den beiden Räten mit 117 zu 10 bzw. 40 zu 4 Stimmen angenommen. Sie soll im Laufe des Jahres 1990 in Kraft treten. Das neue Miet- und Pachtrecht, welches indirekt auf eine Volksinitiative zurückgeht, brachte insgesamt und entgegen ersten Befürchtungen doch eine wesentliche Verbesserung der Stellung der Mieter gegenüber den Hauseigentümern. Die Vorlage konnte von der wachsenden Wohnraumproblematik und der Kampagne gegen die Bodenspekulation profitieren
[33].
[32] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 461 ff. und 495 ff.; Presse vom 16.3. und 17.3.89; vgl. SPJ 1988, S. 166 f.
[33] Amtl. Bull. StR, 1989, S. 421 ff., 683 f. und 845; Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1876 ff. und 2278; BBl, 1989, III, S. 1676 ff. Abgeschrieben wurden von beiden Räten Standesinitiativen der Kantone Freiburg und Genf betreffend obligatorische Verwendung von offiziellen Formularen beim Abschluss von Mietverträgen (Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1879 f.; Amtl. Bull. StR, 1989, S. 434 f.).
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