Année politique Suisse 1989 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen / Krankenversicherung und Mutterschaftsversicherung
Dass im Krankenversicherungswesen Neues gefragt ist, ist seit Jahren allen Beteiligten klar. Der Bundesrat hatte denn auch schon vier "Weise" mit der Ausarbeitung von neuen Modellen beauftragt
[49]. Aufgrund ihres Schlussberichts veröffentlichte das EDI Ende August seine
Vorgaben für eine Totalrevision des KUVG: obligatorische Grundversicherung, Beibehaltung der individuellen Kopfprämie — also keine lohnprozentualen Beiträge, wie sie die noch hängige Initiative der SP und der Gewerkschaften will —, Prämiengleichheit für Männer und Frauen, für Junge und Alte, volle Freizügigkeit bei Kassenwechsel, höhere Kostenbeteiligung der Versicherten, Lastenausgleich zwischen den Kassen, Abgeltung von Spitex-Kosten, massvolle Erhöhung der Bundesbeiträge zugunsten der Schwächeren und Zulassung von alternativen Versicherungsangeboten. Die Revision soll ganz unter das Motto der Solidarität und der Kostensenkung gestellt werden. Das Thema Mutterschaftsversicherung wurde dabei tunlichst nicht erwähnt
[50].
Gleichzeitig kündigte Bundesrat Flavio Cotti die Einsetzung einer von Ständerat Otto Schoch (fdp, AR) präsidierten 26köpfigen Kommission an, die aufgrund dieser Vorgaben bis Ende September 1990 einen Vorentwurf ausarbeiten soll. Dieser Kommission gehören unter anderem drei der vier "Weisen" an, aber nur eine Vertreterin der Versicherten und nur gerade drei Frauen
[51]. Der vierte ursprüngliche Experte, der Zürcher Wirtschaftswissenschafter Peter Zweifel, mochte in der Kommission nicht mitmachen, weil er befürchtete, dass bei diesem "Interessen-Hickhack" ohnehin keine grundlegenden Anderungen erfolgen könnten
[52]. Damit drückte er die auch in der Presse am häufigsten geäusserte Befürchtung aus. Ende November zog die Kommission Schoch Zwischenbilanz. Sie erachtete die vom Bundesrat fixierten Grundsätze als geeignete Basis für ihre Arbeiten und gab beim BSV einen entsprechenden Gesetztesentwurf in Auftrag, dessen Details ab März 1990 in weiteren Expertenrunden geprüft werden sollen
[53].
Die Spitzenverbände des Gesundheitswesens, nämlich die Vereinigung der Arzte (FMH), der Apotheker (SAV), der Krankenhäuser (Veska) sowie der Chemischen Industrie (SGCI) stellten sich in einer gemeinsamen Stellungnahme hinter das Projekt Cotti, während das KSK bereits im Vorfeld erklärt hatte, nicht grundsätzlich gegen eine Totalrevision zu sein, einer Ubergangsregelung im Moment aber eindeutig den Vorzug zu geben
[54]. Die FDP begrüsste die angestrebte Wettbewerbssteigerung durch die volle Freizügigkeit und die Anerkennung alternativer Versicherungsformen, befürchtete aber, dass das Obligatorium und die Prämiengleichheit keinen Konsens finden würden. Für die SP bringen die bundesrätlichen Vorschläge zwar bedeutende Verbesserungen (Obligatorium, Prämiengleichheit, Freizügigkeit), enthalten aber auch viel Widersprüchliches (alternative Versicherungsmodelle, Kopfprämie)
[55].
[49] Siehe SPJ 1988, S. 194.
[51] TW, 29.8.89. Im Vorfeld der bundesrätlichen Informationskonferenz war noch von einer hälftigen Vertretung der Frauen die Rede (Bund, 19.8.89). Über die generelle Untervertretung der Frauen in Kommissionen siehe unten, Teil I, 7d (Stellung der Frau).
[54] JdG, 15.8.89; NZZ, 2.9.89.
[55] wf KK, 36, 4.9.89; SP, Pressedienst, 276, S. 3 f.; SGB, 1989, Nr. 40.
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