Année politique Suisse 1989 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Flüchtlinge
print
Spannungen zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden
Zündstoff für politische Auseinandersetzungen bildeten weiterhin die Bundeszentren, die der Aufnahme der dem Verfahren 88 zugeteilten Flüchtlinge – fast ausschliesslich Kurden – dienten und die sich oftmals zu eigentlichen Problemherden entwickelten, womit sie in der Bevölkerung nicht unbeträchtliche Emotionen auslösten [29].
Die Kantone, die für die Betreuung derjenigen Asylbewerber zuständig sind, die dem regulären Verfahren unterstellt sind, fühlten sich von den Unterkunftsproblemen überfordert und von den Bundesbehörden im Stich gelassen. Die Kantone Waadt und Zürich drängten deshalb auf Sofortmassnahmen, die mit den Vorschlägen der SVP, das Asylgesetz durch eine Ausrufung des Notrechts ausser Kraft zu setzen, viel gemeinsam hatten [30]. Der Genfer Kantonsregierung stiess vor allem auf, dass Kantone zwar als Erstbefrager Aufgaben vom Bund übernehmen müssen, sich zum konkreten Asylentscheid aber nicht äussern können. In einem vor allem in der Westschweiz stark beachteten Bericht schlug sie deshalb eine Kantonalisierung des Verfahrens vor, bei welchem der Bund nur noch für eventuelle Beschwerdeentscheide zuständig wäre. Gleichzeitig nahm sie die Ende 1988 von ihrem Polizeidirektor vorgebrachte Idee wieder auf, den abgewiesenen Bewerbern zwar keine Saisonniererlaubnis zu gewähren – dies hatte der Bundesrat bereits anfangs Jahr abgelehnt –, aber doch zumindest eine befristete, einmalige Arbeitsbewilligung zu erteilen [31].
Aber auch die Beziehungen zwischen den Kantonen und Gemeinden gestalteten sich teilweise schwierig. Die Fälle, in denen entweder die Stimmbürger oder die Gemeindeverwaltung die Aufnahme von ihnen zugewiesenen Flüchtlingen ablehnten, nahmen deutlich zu. So lieferten sich etwa der Kanton Aargau und die drei Gemeinden Birrwil, Brittnau und Fahrwangen eine regelrechte Kraftprobe, die am Ende des Berichtsjahres noch nicht abgeschlossen war. Die zürcherische Gemeinde Richterswil wollte sich den kantonalen Weisungen ebenfalls nicht fügen und gelangte mit einer staatsrechtlichen Beschwerde ans Bundesgericht, welches diese allerdings abwies [32].
 
[29] Lib., 26.1. und 27.1.89 (Plasselb, FR); Suisse, 28.1.-16.2.89, 12.4., 12.10.89 (Kirchenasyl und Hungerstreik in Gorgier, NE); Bund, 1.-17.2., 24.2., 6.4., 7.4. (Kirchenasyl und Hungerstreik in Interlaken, BE) und 2.6.89 (Goldswil); BüZ, 1.-6.3., 10.3., 17.3., 3.4., 5.4. und 12.4.89 sowie TA, 13.4.89 (Hungerstreik in Klosters, GR und Besetzung des Neumarkt-Theaters in Zürich). BiiZ, 23.6., 24.6., 29.6., 1.7., 4.7., 8.8., 9.9., 19.9., 28.9. und 4.10.89 (Surcuolm, GR).
[30] Ww, 30.3.89; SGT und TA, 27.5.89.
[31] BaZ, 26.1.89; DP, 1.6.89 und 8.6.89 (Sonderheft); JdG, 1.6.89; Suisse, 1.6. und 8.6.89. Siehe auch SPJ 1988, S. 217 f.
[32] Brittnau, Birrwil und Fahrwangen: AT, 28.9., 18.10., 25.10., 30.10, 31.10, 9.11., 15.11., 24.11„ 5.12., 13.12.89 und 11.-16.1.90. Richterwil: NZZ, 10.3., 10.11. und 21.11.89; Bund, 21.4.90.