Année politique Suisse 1989 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Flüchtlinge
1988 wurden in Westeuropa zwischen 200 000 und 250 000 Asylgesuche eingereicht. Diese Zahlen sind zwar angesichts von weltweit 10 bis 20 Mio Flüchtlingen minim, weisen aberzegenüber früher steigende Tendenz auf
[33]. Dies veranlasst die Einreiseländer zu einer engeren Zusammenarbeit der Abwehr. Dabei wird – neben vornehmlich polizeilichen Abmachungen – in den nächsten Jahren voraussichtlich dem
"Erstasylabkommen" des Europarates besondere Bedeutung zukommen. Gemäss dieser Vereinbarung, an deren Ausarbeitung sich die Schweiz massgeblich beteiligt hat, würden die Fluchtgründe jeder asylpolitischen Person nur noch von einem einzigen Land – dem Erstasylland – und in einem einzigen Verfahren geprüft. Bei Überlastung eines Staates könnte über das Generalsekretariat des Europarates mit den übrigen Staaten über Umverteilaktionen verhandelt werden. Das Abkommen sieht auch einen erleichterten Informationsaustausch unter den Staaten vor (Weitergabe von Personendaten und Fingerabdrücken)
[34].
Die
Flüchtlingsorganisationen standen den europäischen Harmonisierungstendenzen im Asylwesen von Anfang an sehr
skeptisch gegenüber. Im Oktober fand in Lausanne das Dritte Europäische Forum zum Asylrecht statt. Die Teilnehmer – rund 500 Personen, welche 150 Bewegungen und Organisationen aus zwölf europäischen Ländern vertraten – forderten die freie Wahl des Asyllandes, keine weitere soziale und rechtliche Schlechterstellung der Asylsuchenden und Flüchtlinge sowie eine parlamentarische Kontrolle der "Geheimverhandlungen" der europäischen Regierungen über polizeiliche Zusammenarbeit
[35].
Bereits im Sommer hatten sich
Landeskirchen aus zwölf Staaten Europas – darunter die Schweiz – in einem Grundsatzpapier gegen eine "Festung Europa" ausgesprochen, die den Flüchtlingen den Weg zu uns versperren würde. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) brachte bei Bundesrat Koller seine Bedenken wegen der Mitarbeit der Schweiz an den erwähnten internationalen Abwehrmassnahmen vor. Auch die Schweizerische Bischofskonferenz, der Schweizerische Friedensrat, Amnesty International, die "Asylkoordination Schweiz" und weitere Menschenrechtsorganisationen gelangten mit der dringenden Bitte an den Bundesrat, auf eine Politik der Abwehr zu verzichten und das Prinzip des Non-Refoulements keinesfalls zu verletzen
[36].
[34] BZ, 28.3.89. Haltung der Regierung: Amtl. Bull. StR, 1989, S. 225. Eine engere internationale Zusammenarbeit, u. a. durch die Einberufung einer gesamteuropäischen Konferenz, verlangte auch eine als Postulat überwiesene Motion Müller (fdp, ZH) (Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1132 f.).
[35] Presse vom 9.10.89; TA, 2.1 1.89 (grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit).
[36] TA, 27.5., 12.7. und 17.8.89; Presse vom 8.9.89. SEK: TA, 12.7.89; BZ, 13.7.89. Asylkoordination Zürich und Schweizerischer Friedensrat, Keine Rückschaffung bedrohter Flüchtlinge: eine Dokumentation zum non-refoulement, Zürich 1989.
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