Année politique Suisse 1989 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Jenische
Im Sinn einer Wiedergutmachung früher begangenen Unrechts forderte die "Radgenossenschaft der Landstrasse" für die 700-Jahrfeiern der Eidgenossenschaft die verfassungsrechtliche Anerkennung der Fahrenden als ethnische Minderheit. Damit sollten die nach wie vor anhaltenden Widerstände einzelner Kantone bei der Zuteilung von Standplätzen beseitigt und den Fahrenden ihr verfassungsmässiges Recht auf eine eigene Lebensweise garantiert werden [37].
Im Frühsommer konnten die Betroffenen der Pro-Juventute-Aktion "Kinder der Landstrasse" mit der Einsichtnahme in ihre Akten beginnen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse veranlassten die Stiftung "Naschet Jenische" zu der Forderung, die Geschädigten sollten ihre Akten behalten dürfen, und es sei eine unabhängige Instanz zu schaffen mit der Kompetenz, die Akten aufgrund der Zeugenaussagen der Opfer zu korrigieren. Im Sinn einer Bewältigung der Vergangenheit verlangte sie zudem erneut die Einsetzung einer nationalen Kommission zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschichte der "Kinder der Landstrasse". Dieser Kommission sollten auch Vertreterinnen und Vertreter der Jenischen angehören. Der Vorsteher des EDI hatte eine derartige Kommission abgelehnt und stattdessen vorgeschlagen, den Nationalfonds mit einer entsprechenden Studie zu betrauen [38].
 
[37] Presse vom 18.11. und 19.11.89.
[38] NZZ und 24 Heures, 27.10.89; BaZ, 27.12.89; TA, 29.12.89. Die engagierte jenische Schriftstellerin M. Mehr hatte vergeblich versucht, vor Bundesgericht die Rechtmässigkeit des kantonalen Konkordats, welches die Einsichtnahme regelt, anzufechten (Presse vom 2.2.89 und Woz, 10.2.89). Sie griff darauf zum Mittel des zivilen Ungehorsams und weigerte sich, die Pro-Juventute-Akten ihrer Familie an die interkantonale Aktenkommission zurückzugeben; zudem reichte sie eine vormundschaftliche Beschwerde ein (Vat., 30.11.89; BüZ, 13.12.89; WoZ, 15.12.89). Siehe dazu auch SPJ 1987, S. 213 f.