Année politique Suisse 1989 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Stellung der Frau
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Arbeitswelt
Dem Trend der letzten Jahre folgend nahm die Beschäftigung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt erneut deutlicher zu als diejenige der Männer. Frauen, vor allem die vorübergehend aus dem Arbeitsprozess ausgeschiedenen Hausfrauen, wurden von der Wirtschaft weiterhin heftig umworben. Ob als ernstgenommene Partnerinnen oder als Lückenbüsserinnen bleibe dahingestellt. Jedenfalls aber führte auch der ausgetrocknete Arbeitsmarkt kaum dazu, dass die traditionelle Lohndiskriminierung der Frauen gelockert wurde [46]. Die Forderung nach gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit bildete denn auch einen wesentlichen Schwerpunkt der Arbeit des Eidg. Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann. Als kurzfristig zu verwirklichende Massnahmen sah Kaufmann dabei die Entwicklung von Kriterien für die Arbeitsbewertung und die Ausarbeitung von Richtlinien mit empfehlendem Charakter zur Konkretisierung des Lohngleichheitsprinzips [47].
Wie schwierig sich dieser an sich unbestrittene Rechtsgrundsatz in die Realität umsetzen lässt, zeigte die Vernehmlassung zum Bericht der Arbeitsgruppe "Lohngleichheit". Der Bericht als solcher wurde zwar allgemein begrüsst – wenn auch mit gewissen Vorbehalten von bürgerlicher Seite. Während sich aber die SP und die Arbeitnehmerorganisationen vorbehaltlos hinter die im Bericht vorgeschlagenen Massnahmen stellten, sprachen sich die Arbeitgeber und die Wirtschafts- und Gewerbevertreter gegen einen grossen Teil dieser Massnahmen aus. Gemeinsam mit FDP und SVP wandten sie sich insbesondere gegen die Schaffung eines eigentlichen Gleichstellungsgesetzes und schlugen vor, die Lohngleichheit auf dem Vereinbarungsweg zwischen den Sozialpartnern oder durch den Einbau in bestehende Gesetze und Verordnungen zu realisieren. Viele Kantone, die einen Eingriff in ihre Hoheitsrechte befürchteten, äusserten sich ebenfalls negativ zu einem allgemeinen Gleichstellungsgesetz [48].
Da sich die Zuleitung eines Entwurfes für ein Ausführungsgesetz durch den Bundesrat ans Parlament verzögert, beschloss die Zürcher FDP-Nationalrätin Nabholz Ende Jahr, zumindest im Punkt der Umkehrung der Beweislast bei vermuteter Lohndiskriminierung durch die Einreichung einer parlamentarischen Initiative Druck aufzusetzen [49]. Auf Vorschlag von Nationalrätin U. Hafner (sp, SH) hin hatten bereits im Juni sämtliche Bundesparlamentarierinnen in einem gemeinsamen Brief den Vorsteher des EJPD aufgefordert, die Vorschläge der Arbeitsgruppe unverzüglich in Gesetzesvorlagen umzugiessen. Sie seien sich bewusst, schrieben sie, dass sie bei der Diskussion der konkreten Gesetzesentwürfe nicht mehr überall einer Meinung sein würden, sie seien sich aber einig darin, dass die Verwirklichung der in der Bundesverfassung seit acht Jahren geforderten Lohngleichheit ohne weitere Verzögerung in ihrer Gesamtheit weiterverfolgt werden müsse [50].
Schneckentempo bei der Realisierung von gleichen Rechten, aber Eiltempo bei der Durchsetzung von gleichen Pflichten: so und ähnlich tönten von Frauenseite die Reaktionen, als der Bundesrat in der selben Woche, in welcher die Resultate der Vernehmlassung zum Lohngleichheits-Bericht veröffentlicht wurden, eine Revision des Arbeitsgesetzes in die Vernehmlassung schickte, welches das Verbot der Nachtarbeit für Frauen in der Industrie lockern möchte. Dieser Einbruch war von Arbeitnehmerseite und von Frauenorganisationen schon aufs heftigste bekämpft worden, noch bevor die Intentionen des Bundesrates in diesem Bereich offiziell bekannt waren, während die Wirtschaft eine Beibehaltung des Verbots als anachronistisch und unökonomisch bezeichnete [51].
Das Initiativkomitee "Taten statt Worte" diskutierte an seinem 3. Symposium engagiert über die Frage der Quotenregelung als Instrument der Unternehmensführung und der Frauenförderung. Dabei wurde auch davor gewarnt, dass sich nicht einlösbare Quoten für die Frauen durchaus kontraproduktiv auswirken könnten [52]. In diese Richtung zielte auch die erste Publikation des Eidg. Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann, welches bei seiner grundsätzlich positiven Antwort zur Quotenfrage darauf hinwies, zu hoch angesetzte Quoten könnten sich als Bumerang erweisen, da hier der Vorwurf nicht ausbleiben dürfte, Frauen wollten gewisse Positionen gar nicht ausfüllen. Die Broschüre plädierte im übrigen für ein ganzheitliches Lebenskonzept mit Berufsarbeit, Familie und Kindern und verstand sich als Anleitung zu einer gezielten Frauenförderung [53].
Auf eine Frauendiskriminierung besonderer Art machte der VPOD mit seiner breit angelegten Kampagne gegen "sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz" aufmerksam. Er verlangte entsprechende Schutzbestimmungen in Gesetzen, Personalreglementen und Gesamtarbeitsverträgen [54]. Für die Stellung der Frauen in der Kirche siehe unten, Teil I, 8b (Kirchen).
 
[46] Die Zahl der beschäftigten Frauen nahm von 1985 bis Ende 1989 um 7% zu, diejenige der Männer nur um 1,9% (Die Volkswirtschaft, 63/1990, Nr. 5, S. 8); L'Hebdo, 26.10.89. Zur Pufferfunktion der Frauen in Zeiten der Hochkonjunktur vgl. TW, 29.6.89. Für die Entwicklung der Frauenlöhne in den letzten Jahren siehe J. Clottu, "Lohnentwicklung: Verstärkter Anstieg der Nominallöhne in den Jahren 1989 und 1990", in Die Volkswirtschaft, 63/1990, Nr. 7, S. 35 ff.
[47] Presse vom 3.1.89.
[48] Presse vom 12.9.89; "Zusammenfassung der Ergebnisse des Konsultationsverfahrens zum Bericht 'Lohngleichheit für Mann und Frau—, in Frauenfragen, 12/1989, Nr. 2, S. 42 ff. Zum Bericht selbst siehe SFJ 1988, S. 218 f.
[49] Verhandl. B. vers., 1989, V, S. 31; BaZ, 12.1.90.
[50] NZZ, 14.6.89.
[51] Presse vom 11.3.89 (SGB-Frauenkongress); SGT, 16.3.89; Suisse, 22.4. und 2.6.89; BaZ, 17.6. und 28.8.89; BZ, 30.6.89; Bund, 8.9.89; Presse vom 14.9.89; Ww, 21.9.89; Vr, 18.10.89. Diskussion, Nr. 9, Sept. 1989 (mehrere Artikel aus gewerkschaftlicher Sicht). Auf die Revision des Arbeitsgesetzes wird an anderer Stelle ausführlicher eingegangen (siehe oben, Teil I, 7a, Arbeitszeit).
[52] Baz, 19.10.89; Suisse, 20.10.89; NZZ, 21.10.89; TA, 25.10.89; SHZ, 26.10.89.
[53] Frauenforderung nach Frauenförderung, Bern 1989; Suisse, 11.11.89; TA, 15.11.89. Zur Forderung nach Frauenquoten an den Universitäten siehe unten, Teil I, 8a (Hautes écoles).
[54] WoZ, 28.4.89; Presse vom 1.9.89. Für die zunehmende Gewalt gegenüber Frauen siehe oben, Teil I, 7b (Fürsorge).