Année politique Suisse 1990 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Bürgerrecht
Im Berichtsjahr konnte die zweite Etappe der Revision des Bürgerrechtsgesetzes abgeschlossen werden. Anlässlich der Differenzbereinigung zwischen den beiden Räten zeigte sich das Parlament in der Frage der Doppelbürgerschaft flexibel. Obwohl zuerst beide Kammern für die Beibehaltung der Vorschrift gestimmt hatten, wonach die Eingebürgerten nichts unternehmen dürfen, um die bisherige Staatsbürgerschaft beizubehalten, kamen sie in der Differenzbereinigung auf diesen Entscheid zurück. Gestützt auf Art. 16.3 des Geschäftsverkehrsgesetzes beantragten die beiden vorberatenden Kommissionen, diese Bestimmung einer zweiten Lesung zu unterziehen. Der Ständerat beschloss nun einstimmig, diese Vorschrift zu streichen. Der Nationalrat schloss sich gegen die Opposition von M. Ruf (sd, BE) diesem Entscheid an. Man hofft, dass von dieser liberaleren Regelung vor allem die mehr als 200 000 weniger als 20 Jahre zählenden Bürgerinnen und Bürger aus den EG-Staaten, welche zu einem guten Teil in der Schweiz aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, Gebrauch machen werden. Voraussetzung dazu wäre allerdings, dass die Herkunftsländer dieser Personen (vor allem Italien und Deutschland) das Verbot der Doppelbürgerschaft ebenfalls aufheben würden [10].
Die Eidgenössische Kommission für Ausländerfragen ihrerseits formulierte konkrete Vorschläge zur Erleichterung des Einbürgerungsverfahrens für diese sogenannte "zweite Ausländergeneration". Insbesondere möchte sie, dass die angestiegene geografische Mobilität besser berücksichtigt, das Verfahren vereinfacht und die Einbürgerungsgebühren gesenkt werden. Bundespräsident Koller gab an der Feier zum 20jährigen Bestehen dieser Kommission bekannt, dass er beabsichtige, dem Parlament neue Rechtsgrundlagen für eine erleichterte Einbürgerung der in der Schweiz geborenen Ausländer vorzulegen [11].
Vor der Schlussabstimmung über die bereinigte Bürgerrechtsvorlage kam es im Nationalrat allerdings noch zu einem frauenpolitischen Zwischenspiel. R. Bär (gp, BE) plädierte für Rückweisung des Textes zur redaktionellen Uberarbeitung. Sie begründete ihren Antrag damit, dass mit der durchgängigen Verwendung der männlichen Formen (mit dem einleitenden Verweis, dass damit auch die Frauen mitgemeint seien) nicht nur die Frauen diskriminiert würden, sondern auch neue rechtliche Institutionen wie zum Beispiel die Ehe zwischen Männern geschaffen werden, was wohl kaum in der Absicht der Parlamentsmehrheit liegen dürfte. Nachdem der Präsident der Redaktionskommission erklärte hatte, dass sich eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe mit dem Problem der geschlechtsneutralen Formulierungen befasse, lehnte der Rat den Rückweisungsantrag Bär mit 56 zu 70 Stimmen ab [12] .
Das revidierte Bürgerrechtsgesetz wird auf Anfang 1992 in Kraft treten. Neben der Zulassung des Doppelbürgerrechts – diese Bestimmung wird bereits seit Ablaufen der Referendumsfrist im Juli 1990 angewandt – bringt es als wichtigste Neuerung die Abschaffung der bisher weltweit einzigartigen Regelung, dass Ausländerinnen durch Heirat mit einem Schweizer das Bürgerrecht automatisch erworben haben. Für ausländische Ehepartner beiderlei Geschlechts gilt künftig ein erleichtertes Einbürgerungsverfahren [13] .
 
[10] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 121 ff. und 275; Amtl. Bull. NR, 1990, S. 493 ff.; BBI, 1990, I, S. 1598 ff. Zum Verbot des Doppelbürgerrechts in den meisten europäischen Staaten siehe TA, 9.4.90 und speziell zu Italien CdT, 29.12.90. Vgl. auch SPJ 1989, S. 21 f.
[11] BaZ und NZZ, 2.3.90; SGT, 14.3.90; NZZ, 17.11.90 (Koller). Vgl. dazu auch unten, Teil 1, 7d (Ausländerpolitik).
[12] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 758 f. Zwei Tage zuvor hatte der NR einem Antrag Leutenegger Oberholzer (gp, BL) für eine entsprechende redaktionelle Uberarbeitung des Konsumenteninformationsgesetzes zugestimmt (Amtl. Bull. NR, 1990, S. 551 f.). Siehe. dazu auch Lit. Albrecht.
[13] NZZ und TA, 4.7.90.