Année politique Suisse 1990 : Grundlagen der Staatsordnung / Föderativer Aufbau / Territoriale Fragen
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Kanton Jura
Das jurassische Kantonsparlament erklärte ohne Gegenstimmen die im Vorjahr eingereichte Volksinitiative "Unir" als gültig und beauftragte damit die Regierung, bis Mitte 1991 ein Gesetz vorzulegen, welches das Begehren konkretisiert. Die Initiative verlangt von den Behörden eine aktive Politik zur Eingliederung der bernisch gebliebenen französischsprachigen Bezirke in den neuen Kanton. In der konkreten Formulierung des Gesetzgebungsauftrags ersetzte das Parlament den annektionistisch gefärbten Begriff "Wiedervereinigung" durch die Umschreibung "institutionelle Einheit des Juras" [6]. Im weiteren stimmte das Parlament ebenfalls ohne Gegenstimme dem Antrag der Regierung zu, die "Fondation pour la réunification du Jura" mit einem Beitrag von 300 000 Fr. zu unterstützen [7].
Die bernische Regierung reichte beim Bundesgericht staatsrechtliche Klage gegen die Gutheissung der Volksinitiative "Unir" durch das jurassische Parlament und gegen die staatlichen Beiträge an den "Wiedervereinigungsfonds" ein. Sie sieht darin einen Verstoss gegen die in der Bundesverfassung verankerte Garantie des kantonalen Territoriums, welcher noch gravierender sei, als der 1977 von der Bundesversammlung gestrichene Wiedervereinigungsartikel der jurassischen Kantonsverfassung [8] . Bereits vorher war die bernische Exekutive vom Grossen Rat mit einer von SVP, SP und FDP unterstützten Motion Houriet (fdp) aufgefordert worden, sich mit konkreten Massnahmen gegen die Gebietsansprüche des Kantons Jura zu widersetzen. Ebenfalls mit einer Motion hatte ein anderer Berner Jurassier (Benoit, svp) verlangt, dass als Gegengewicht zum jurassischen Wiedervereinigungsfonds ein bernischer Fonds zur Verteidigung der territorialen Integrität zu gründen sei. Auf Antrag der Regierung, welche auf die schlechten Erfahrungen mit staatlichen Propagandafonds hinwies, lehnte der Grosse Rat diesen Vorstoss ab [9].
Auch der Bundesrat nahm im Berichtsjahr Stellung zur Jurapolitik. Auf Ersuchen der Regierungen Berns und des Juras beauftragte er das EJPD, gemeinsam mit den beiden Regierungen "Gespräche über Stand und Weiterentwicklung der Juraproblematik sowie über Möglichkeiten der Konfliktbewältigung und Entspannung" aufzunehmen. In seiner Antwort auf zwei Interpellationen verurteilte er die 1989 vom jurassischen Parlament verabschiedete Motion für einen kantonalen Beitrag an die Stiftung für die Wiedervereinigung als eine Provokation, welche die Souveränität des Kantons Bern verletze [10].
 
[6] Bund, Dém. und Express, 15.12.90; Jura Libre, 20.12.90. Vgl. SPJ 1989, S. 39.
[7] Dém., 22.6.90. Der Regierungsantrag ging auf eine im Vorjahr überwiesene Motion zurück (vgl. SPJ 1989, S. 40).
[8] Bund, 20.12. und 21.12.90; Express, 21.12.90.
[9] BaZ und BZ, 20.2.90; Bund 20.6. und 17.8.90. Zur Stimmung im Berner Jura bzw. in Moutier vgl. die Dossiers in 24 Heures (supplément hebdomadaire), 14.4.90 (A. Pichard) bzw. in TAM, 12.10.90).
[10] Bund, BZ und Suisse, 3.5.90; NZZ, 7.9. und 11.9.90; Verbandl. B.vers., 1990, V, S. 67 und 119f.