Année politique Suisse 1990 : Wirtschaft / Geld, Währung und Kredit / Geld- und Währungspolitik
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Geldmengenpolitik
In Anbetracht der konjunkturellen Überhitzung, der zunehmenden Teuerung und dem Ende 1989 eingetretenen Kursverlust des Schweizer Frankens setzte die Nationalbank ihre Politik des knappen Geldes fort und verschärfte um den Jahreswechsel 1989/90 ihren Kurs noch. Als sich im Jahresverlauf eine Verflachung des Wirtschaftswachstums abzeichnete und sich der Franken von seiner Schwäche wieder erholt hatte, lockerte sie die Zügel etwas, ohne jedoch einen grundlegenden Kurswechsel vorzunehmen. Die bereinigte Notenbankgeldmenge nahm nicht wie vorgesehen um 2% zu, sondern lag im letzten Quartal um 2,6% tiefer als vor Jahresfrist. Die einzelnen Aggregate entwickelten sich ähnlich wie 1989: Die Geldmenge M1 (Bargeldumlauf und Sichteinlagen) lag im Durchschnitt um 5,0% unter dem Vorjahresstand und widerspiegelte das Abfliessen der Gelder in Termineinlagen und andere höher verzinste Anlageformen. Bei der Geldmenge M3, welche zusätzlich auch die Termin- und Spareinlagen umfasst, verlangsamte sich das Wachstum im Vergleich zum Vorjahr weiter und machte im Jahresdurchschnitt noch 2,5% aus.
Die Unsicherheit des internationalen Umfeldes veranlasste die Nationalbank, auf die Formulierung eines exakten Geldmengenzieles,für 1991 zu verzichten. Die technischen Anderungen im Zahlungsverkehr beeinträchtigten zudem die Aussagekraft der Notenbankgeldmenge. Die Nationalbank will diese aber weiterhin zumindest als mittelfristigen geldpolitischen Indikator verwenden. Allerdings hat sie die als optimal erachtete Expansionsrate dieses Indikators von bisher 2% auf 1% korrigiert [1].
Die Geldpolitik der Nationalbank geriet im Berichtsjahr noch stärker unter Beschuss als im Vorjahr. Zum einen machte sich eine gewisse Ungeduld bemerkbar, da trotz der restriktiven Politik die Teuerung weiter anstieg. Zum anderen wurde aber – zum Teil von den selben Personen – eine Lockerung verlangt, um das Abgleiten in eine Rezession zu verhindern. Der Bundesrat stärkte jedoch der Nationalbank im allgemeinen den Rücken und betonte mehrmals, dass das Ziel der dauerhaften Preisstabilität nur über eine Politik des knappen Geldes erreicht werden könne. Die Gefahr einer dadurch ausgelösten Stagflation schien ihm noch im November wenig wahrscheinlich [2].
In Abweichung von dieser generellen Haltung beantragte der Bundesrat allerdings im September direkte Eingriffe in den Kapitalmarkt. Angesichts der steigenden Hypothekarzinsen und den im Mietrecht vorgesehenen Uberwälzungsmechanismen auf die Mieten sah er sich zum Einschreiten veranlasst. Er schlug dem Parlament vor, mit einem dringlichen Bundesbeschluss die Hypothekarzinsen für die Dauer von drei Jahren einer konjunkturpolitischen Überwachung zu unterstellen. Damit reagierte er auch auf politische Vorstösse, welche eine Kontrolle resp. ein Moratorium für Mietzinsen, aber auch eine Abkehr vom Prinzip der Kostenmiete und dem dazu gehörenden Uberwälzungsmechanismus verlangt hatten. Die Nationalbank hatte sich mit Bestimmtheit gegen diese Massnahme ausgesprochen, da sie davon eine Erschwerung ihrer Geldpolitik und kontraproduktive Wirkungen für die allgemeine Teuerungsbekämpfung befürchtete. Der Bundesrat bekundete zwar Verständnis für die ordnungspolitischen Bedenken der Nationalbank, kritisierte ihre Haltung in dieser Frage aber als zu dogmatisch. Im Nationalrat wurde eine konjunkturpolitisch abgestützte Interventionspolitik nur von der SP und den Grünen unterstützt. Durchsetzen konnte sich gegen den Widerstand der Mehrheiten der Fraktionen der FDP, der SVP und der Liberalen schliesslich die von der CVP gewünschte Kompromisslösung einer wettbewerbspolitischen Hypothekarzinsüberwachung. Gegen diesen Vorschlag hatte auch die Nationalbank nichts einzuwenden. Da der Preisüberwacher vor seinen Entscheiden die Nationalbank konsultieren muss, ist auch Gewähr geboten, dass diese in ihrer Autonomie nicht allzusehr eingeschränkt wird: Der Ständerat schloss sich, ebenfalls noch in der Herbstsession, diesen Beschlüssen an [3].
Unmittelbar nach diesem Entscheid stimmte der Nationalrat – und später auch der Ständerat – dem Gegenvorschlag des Bundesrates zur zweiten Preisüberwachungsinitiative zu. Dieser unterstellt die Zinsen dem wettbewerbspolitischen Preisüberwachungsgesetz von 1985 [4].
 
[1] SNB, Geschäftsbericht, 83/1990, S. 8 ff. und 34 ff.; "Die Geldpolitik der Nationalbank im Jahre 1990 und 1991", in SNB, Quartalsheft, 8/1990, S. 263 ff. Vgl. auch Bund, 10.11.90; NZZ, 17.11.90; Presse vom 19.10. und 15.12.90.
[2] Vgl. z.B. die Interpellationen Bonny (fdp, BE) und Jelmini (cvp, TI) sowie die Stellungnahme BR Stichs bei der Beratung des Geschäftsberichtes (Amtl. Bull. NR, 1990, S. 2485 ff. resp. 925 f.; Amtl. Bull. StR, 1990, S. 375 f.). Siehe auch SPJ 1989, S. 99.
[3] BBI, 1990, III, S. 405 ff.; Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1728 ff., 1776 ff., 1842, 1859 und 1967; Amtl. Bull. StR, 1990, S. 815 ff.; AS, 1990, S. 1598 f.; Presse vom 6.9.-6.10.90. Zur Position der Nationalbank siehe insbesondere das Votum der Kommissionssprecherin Ulrich (sp, SO) im NR (Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1729) sowie die Kritik daran durch BR Stich (Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1693). Vgl. auch unten, Teil I, 6c (Mietwesen).
[4] Siehe dazu oben, Teil 1, 4a (Wettbewerbspolitik).