Année politique Suisse 1990 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport / Gesundheitspolitik
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Kostenentwicklung
Als Gründe für die Kostenexpansion im Gesundheitswesen nennen Fachleute das immer grössere Leistungsangebot in den Spitälern, die starke Zunahme der Zahl der Ärzte, den vermehrten Medikamentenkonsum, die steigenden Lohnkosten, die erhöhte Nachfrage nach therapeutischen Leistungen und die Alterung der Bevölkerung. Sie verweisen darauf, dass das Gesundheitswesen nicht nach Marktprinzipien funktioniert, ein Umstand, der preistreibend wirke, da sowohl für die Patienten wie für die Leistungsanbieter ein echter Anreiz zu kostengünstigeren Behandlungen fehlt [5] .
Lösungen, die aus der Kostenspirale herausführen sollen, sind nur in Ansätzen vorhanden und teilweise politisch recht brisant. Alternative Krankenkassenmodelle (HMO und Bonus-Versicherung) möchten die Patienten zu gesundheitsund kostenbewussterem Handeln anleiten, könnten aber auch zu einer wachsenden Entsolidarisierung zwischen den Versicherten führen. Eine Rationierung der Leistungen — beispielsweise die Verweigerung aufwendiger Therapien bei Patienten mit geringen Heilungschancen oder in fortgeschrittenem Alter — mag ökonomisch sinnvoll erscheinen, würde aber die Gesellschaft vor kaum lösbare menschliche und soziale Probleme stellen [6] .
Dass gerade auch die Leistungsanbieter nicht ohne weiteres zu Sparübungen bereit sind, zeigte sich in den teilweise sehr schwierigen Tarifverhandlungen zwischen Krankenkassen und Spitälern, die in mindestens drei Kantonen zu einem vertragslosen Zustand führten [7] . Noch deutlicher wurde dies im Streit um die Zürcher Arzttarife. Nachdem der Kanton diese entgegen den Empfehlungen des Preisüberwachers erhöht hatte, reichte das Konsumentinnenforum Beschwerde beim Bundesrat ein. Die Landesregierung wies die Einsprache zwar ab, widersetzte sich aber im Gegenzug dem aus dem bürgerlichen Lager stammenden Ansinnen, die Kompetenzen des Preisüberwachers im Medizinalbereich zu beschneiden. Er legte Wert auf die Feststellung, Arzttarife hätten klar kartellistischen Charakter und seien deshalb in Zukunft nicht nur auf Missbräuche, sondern auch unter wettbewerbspolitischen Aspekten zu überprüfen [8] .
 
[5] Bund, 31.1.90; Schweiz.. Krankenkassen-Zeitung, Juni 1990. Den - wenn auch nicht ausschliesslichen - Zusammenhang zwischen steigenden Gesundheitskosten und zunehmender Ärztedichte belegte eine Studie der Universität Lausanne, welche die Entwicklung im Kanton Jura in den Jahren 1983-1987 untersucht: S. Rossini, Caisses-maladie et médecins, Lausanne 1989; Dém., 19.1. und 31.1.90. Für die Gesundheitskosten im internationalen Vergleich siehe die neueste OECD-Studie: Health care systems in transition, Paris 1990; Gesundheitspolitische Informationen GPI, 1990, Nr. 1, S. 9 und 31; NZZ, 30.3.90.
[6] Alternative Krankenkassenmodelle: siehe SPJ 1989, S. 210. Zu den möglichen Massnahmen gegen die fortschreitende Entsolidarisierung siehe unten, Teil I, 7 c (Krankenversicherung). Rationierungen im Gesundheitswesen: NZZ, 19.5.90; Bund, 24.8.90 und TA, 25.8.90 (Bericht über eine Tagung der Schweiz. Gesellschaft für Gesundheitspolitik, SGGP).
[7] Wallis: Lib., 28.6.90. Bern: Bund, 4.1., 21.12. und 22.12.90. Schaffhausen: SN, 31.8. und 5.9.90.
[8] TA, 21.4.90; NZZ, 29.5. und 8.6.90; Prüf mit, 1991, Nr. 1; Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1987 f. (Einfache Anfrage Spoerry); Verhandl. B.vers, IV, S. 148 (Interpellation Huber). Siehe auch SPJ 1989, S. 193.