Année politique Suisse 1990 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen
 
Arbeitslosenversicherung
Mit der von beiden Kammern angenommenen Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes strebt der Bundesrat eine Vereinfachung des Vollzugs im Leistungsbereich sowie die Aufwertung der Kurzarbeits- und Schlechtwetterentschädigung an. Der letzte Punkt gab in beiden Räten viel zu reden. Gemäss dem bundesrätlichen Vorschlag soll die Schlechtwetterentschädigung nur da zum Tragen kommen, wo witterungsbedingt bereits bestehende Kundenaufträge nicht ausgeführt werden können, zum Beispiel in der Bau- und Forstwirtschaft, während durch Schneemangel verursachte Kundenausfälle in den Wintersportorten nur als Härtefälle im Rahmen der Kurzarbeitsentschädigung zu gelten hätten.
Gegen diese Auffassung opponierten im Ständerat Vertreter der Berggebiete. Sie verlangten den Einbezug der Touristikbetriebe in die Schlechtwetterentschädigung, welche im Gegensatz zur Entschädigung bei Kurzarbeit zeitlich unbegrenzt ausgerichtet wird und geringere Karenzfristen kennt. Sie setzten sich zwar nicht durch, erreichten aber immerhin, dass der Ständerat ein Postulat überwies, mit welchem der Bundesrat eingeladen wird, eine Schlechtwetterentschädigung für Skischulen, Seilbahnen und Skilifte sowie für Berg- und Pistenrestaurants zumindest in der Verordnung vorzusehen. Im Nationalrat wollte eine Koalition aus FDP, SP und Grünen die witterungsbedingten Einkommenseinbussen der Tourismusbranche gar von der Kurzarbeitsentschädigung ausnehmen, doch stimmte die Ratsmehrheit für den Vorschlag des Bundesrates.
Anlass zu Diskussionen gab auch die vorgesehene Degression bei den Taggeldzahlungen. Im Ständerat setzten sich die Sozialdemokraten mit Unterstützung des christlichsozialen Flügels der CVP dafür ein, dass auf eine Kürzung der Taggelder nach dem 85. bezw. dem 170. Tag verzichtet werde, da dies einer Bestrafung der Arbeitslosigkeit gleichkomme. Im Nationalrat wurde dieser Antrag von der SP, den Grünen, dem LdU und Teilen der CVP unterstützt. Beide Räte folgten aber schliesslich Bundesrat Delamuraz, für den die Degression einen Anreiz zur effizienteren Arbeitssuche darstellt, und der versicherte, dass in Härtefällen und bei Arbeitnehmern über 45 Jahren die Taggelder nicht gekürzt würden.
Keine Chance hatte auch ein Antrag Reimann (sp, BE) auf eine generelle Erstrekkung der Bezugsdauer. Beide Räte beschlossen aber, die für Härtefälle vorgesehene Höchstzahl der Taggelder von 250 auf 300 anzuheben. Eine Standesinitiative des Kantons Neuenburg, welche 500 Tage verlangte, um die durch Krisenhilfe an ausgesteuerte Arbeitslose stark geforderten Gemeinden etwas zu entlasten, wurde in beiden Räten abgelehnt [56].
Das Eidg. Versicherungsgericht hob zwei Bestimmungen der Arbeitslosenversicherungsverordnung über die Vermittlungsfähigkeit von Teilzeitbeschäftigten als gesetzeswidrig auf. Laut EVG gilt eine versicherte Person auch dann als vermittlungsfähig und hat somit ein Recht auf Arbeitslosenentschädigung, wenn sie bereit ist, eine Beschäftigung von mindestens 20% einer Vollbeschäftigung anzunehmen, statt der von der Verordnung vorgeschrieben 50%. Zudem dürfen einer vor der Arbeitslosigkeit teilzeitbeschäftigten Person die Leistungen nicht verwehrt werden, wenn sie sich weigert, eine volle Stelle anzunehmen [57].
 
[56] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 67 ff., 699 und 857. Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1407 ff., 1431 ff. und 1966; BBI, 1990, III, S. 590 ff. Vgl. SPJ 1989, S. 212. Aufgrund der geltenden Bestimmungen über die Kurzarbeitsentschädigung richtete der Bund erstmals Entschädigungen an jene Betriebe der Berg- und Tourismusregionen aus, die ihren Betrieb wegen akuten Schneemangels vollständig stillegen mussten. Diese Massnahme war allerdings nicht unumstritten (Presse vom 18.1.90; NZZ, 22.1.90; SGT, 23.1.90; BüZ, 24.1.90).
[57] JdG und NZZ, 26.1.90.