Année politique Suisse 1990 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen / Berufliche Vorsorge
print
Freizügigkeitsleistungen
Der von Bundespräsident Koller für die zweite Jahreshälfte als indirekter Gegenvorschlag zur 1989 eingereichten Volksinitiative "für eine volle Freizügigkeit in der beruflichen Vorsorge" in Aussicht gestellte Gesetzesentwurf verzögerte sich bis anfangs 1991 [31]..
Primär aus formalen Gründen gab der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Cavadini (fdp, TI), welche als Übergangslösung eine sofortige Herabsetzung der im OR festgehaltenen Fristen für den vor- und überobligatorischen Bereich verlangte,. keine Folge. Da er aber mit dem Initianten dèr Auffassung war, eine rasche Verbesserung der Freizügigkeitsregelung sei dringend, überwies er ein Postulat der vorberatenden Kommission, mit welchem der Bundesrat eingeladen wird, möglichst rasch Bericht und Antrag für eine Revision des BVG und der OR-Artikel vorzulegen [32] .
Auch ohne gesetzliche Verankerung wurden bei der Lockerung der 'goldenen Fesseln' Erfolge erzielt. Schätzungsweise rund 300 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommen heute bereits in den Genuss der 'vollen' Freizügigkeit. Das sind rund 10% der in der 2. Säule Versicherten. Mindestens 150 000 erhalten bei einem Stellenwechsel von ihrer bisherigen Kasse mehr Geld als ihnen gemäss heute gültiger Regelung mitgegeben werden müsste [33] .
Die Eidg. Versicherungskasse (EVK) bot ein neues Freizügigkeitsabkommen (Abkommen 90) an, welches die 1970 mit Pensionskassen öffentlicher Verwaltungen und Institutionen abgeschlossene Vereinbarung ablöst. Mit dem Beitritt zum neuen Abkommen verpflichten sich die Pensionskassen, beim Ubertritt eines Versicherten in eine andere Abkommenskasse dieser den gleichen Betrag zu überweisen, den sie verlangen müsste, wollte sie einem gleichaltrigen Eintretenden die selben Anwartschaften garantieren. Die EVK führte so eine Regelung ein, die der von der BVG-Kommission favorisierten Lösung des "Barwerts der erworbenen Ansprüche" entspricht [34].
Zu hohe Einkaufssummen werden immer wieder dafür verantwortlich gemacht, dass der Bund Mühe hat, Kaderleute aus der Privatwirtschaft zu rekrutieren. Obgleich Bundesrat Stich anhand konkreter Zahlen das Problem relativierte und sich gegen einen verbindlichen Auftrag aussprach, überwies der Ständerat eine Motion Rüesch (fdp, SG), welche die Regierung beauftragt, die kassenrechtlichen Barrieren weiter zu beseitigen [35] .
 
[31] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 486; Bund, 22.10.90; BZ, 21.12.90; Presse vom 8.1.91. Siehe auch SPJ 1989, S. 106 f. Zur allgemeinen Diskussion über die Freizügigkeit siehe SHZ, 8.2., 15.2. und 8.3.90. Eine Studie der Universität Bern zeigte, dass die heute vorliegenden fünf Freizügigkeitsmodelle von den Kassen finanziell verkraftet werden könnten und die Kosten in den allermeisten Fällen weniger als ein Lohnprozent betragen würden (BZ, 17.4.90).
[32] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1645 ff. Siehe auch SPJ 1989, S. 206.
[33] Bund, 22.10.90; BZ, 21.12.90.
[34] NZZ, 12.1.90. Siehe auch SPJ 1989, S. 207.
[35] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 739 ff.