Année politique Suisse 1991 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Nationalistische Rechtsparteien
Die Schweizer Demokraten haben zu Beginn des Berichtsjahres die
Volksinitiative "für eine vernünftige Asylpolitik" lanciert. Kernpunkte der Initiative sind sofortige Wegweisung illegal eingereister oder rechtskräftig abgewiesener Asylbewerber, eine weitere Verkürzung des Verfahrens auf sechs Monate, die Entbindung der Gemeinden von der Aufnahmepflicht sowie eine verstärkte Hilfe der Schweiz für bedrohte Menschen in den Herkunftsländern. Die im Vorjahr vom Zürcher Nationalrat Meier lancierte' radikalere Volksinitiative "gegen die Masseneinwanderung von Ausländern und Asylanten" kam nicht zustande
[69].
Im Hinblick auf die eidgenössischen Abstimmungen beschloss der Zentralvorstand die Ja-Parolen für das Stimm- und Wahlrechtsalter 18 sowie für die SBB-Initiative, lehnte jedoch das Finanzpaket als unsozial und die Barras-Reform als zu weitgehend ab
[70].
Die Delegiertenversammlung in Frauenfeld vom 22. Juni brachte klar die europafeindliche Haltung der Partei zutage; ein
EG-Beitritt käme laut Zentralpräsident Keller einer faktischen Auflösung der Schweiz gleich
[71].
In der Kampagne für die
Nationalratswahlen bildetete die Forderung nach einer restriktiven Asylpolitik im Sinne ihrer lancierten Initiative den Schwerpunkt, während der Ruf nach einer repressiven Drogenpolitik und die Ablehnung sowohl des EWR-Vertrags als auch eines möglichen EG-Beitrittsgesuchs an zweiter und dritter Stelle folgten. Die Schweizer Demokraten legten über ein halbes Prozent an Wählerstimmen (ohne Vigilance) hinzu und konnten ihre Vertretung von drei auf fünf Mandate erhöhen; damit erreichten sie ihr gestecktes Ziel, Fraktionsstärke zu erlangen. Wie die Autopartei und die SVP, welche dieselben Schwerpunkte in den Wahlkampfthemen gesetzt hatten, konnten die SD von einer diffusen Proteststimmung in der Wählerschaft profitieren. Im Kanton Bern erreichten sie einen zweiten Sitz und in Baselland, wo die SD wie im Kanton Zürich eine Listenverbindung mit der Auto-Partei eingegangen waren, wurde der Zentralpräsident, Rudolf Keller, neu in den Nationalrat gewählt. Die Partei versuchte, vermehrt die weibliche Wählerschaft anzusprechen und stellte unter anderem im Baselbiet auch eine Frauenliste auf. SD-Kandidaturen gab es in zehn Kantonen; zudem bewarben sich erstmals Vertreter der SD in den Kantonen Luzern, Neuenburg, Aargau und Thurgau um einen Ständeratssitz. Die SD gingen mit der Lega dei ticinesi, welche zwei Nationalräte stellt, eine Fraktionsgemeinschaft ein; die beiden Fraktionspartner haben sich gegenseitig die Freiheit zugesichert, in Einzelfragen — etwa bezüglich der Armee oder der Lex Friedrich — abweichende Ansichten zu vertreten
[72].
Die in neun Kantonen (BE, ZH, VD, SH, BS, AG, SO, BL, GL) existierende EDU, welche eine Politik auf der Basis von christlichen und rechts-konservativen Werten verfolgt, bekämpfte im Berichtsjahr das revidierte
Sexualstrafrecht durch die Ergreifung des
Referendums; die Partei lehnte von den eidgenössischen Abstimmungen die Vorlage zum Stimm- und Wahlrechtsalter 18 ab. Im Bereich der
Europapolitik nahm die EDU eine isolationistische Haltung ein und warnte vor einer Selbstaufgabe der Schweiz. Mit ihrem Parteipräsidenten Werner Scherrer ist die EDU dank einem Sitzgewinn im Kanton Bern
erstmals im Nationalrat vertreten; gesamtschweizerisch erreichte die EDU, welche in fünf Kantonen kandidiene (ZH, BE, BS, SH, AG) 1,0% Wähleranteil, im Kanton Bern 3,4%
[73].
Am Parteitag vom 20. April in Glattbrugg (ZH) gab sich die Auto-Partei, welche ihre Prinzipien bisher in Leitlinien festgehalten hatte,
zum ersten Mal ein umfangreiches Parteiprogramm. Verkehrs- und Asylpolitik bilden darin die Hauptpfeiler, wobei die grundsätzliche Forderung nach weniger Staat und mehr Freiheit alle Bereiche durchzieht. In der Drogenpolitik sprach sich die AP gegen jegliche Liberalisierung und Legalisierung des Konsums und für eine Arbeitstherapie für Drogenabhängige in geschlossenen Heimen aus. Lediglich bei der Landwirtschaftspolitik gab es inhaltliche Meinungsverschiedenheiten, so dass der entsprechende Artikel von der Programmkommission nochmals überarbeitet werden musste. Der Bereich
Europäische Integration und Aussenpolitik wurde mangels einer einheitlichen Linie gar nicht in das Programm aufgenommen
[74].
Zu den eidgenössischen Abstimmungen fasste die Auto-Partei die Ja-Parole bezüglich des Wahl- und Stimmrechtsalters 18 und lehnte die Initiative zur Förderung des öffentlichen Verkehrs ab. Ebenfalls abgelehnt wurden die Bundesfinanzreform, weil die direkte Bundessteuer beibehalten wurde, und die Barras-Reform. Die AP unterstützte auch das rechtsbürgerliche Referendumskomitee gegen den Beitritt zum IWF und zur Weltbank
[75]. Die im Vorjahr von der AP lancierte Volksinitiative für eine Abschaffung der direkten Bundessteuer kam nicht zustande
[76].
Wahlkampfthemen waren vor allem die Asyl- und Drogenpolitik; so sollte der Bundesrat gemäss den Vorstellungen der AP die Genfer Flüchtlingskonventionen kündigen und einen Einwanderungsstopp verhängen, der mit militärischen Mitteln durchgesetzt würde. Eher am Rande figurierte das Thema der Europapolitik; am Parteitag in Kirchberg (SG) vom 31. August lehnte Parteipräsident Scherrer sowohl den EWR-Vertrag als auch einen eventuellen EG-Beitritt ab. Das erklärte Ziel für die Nationalratswahlen war die Fraktionsstärke; die AP schoss mit sechs Sitzgewinnen (neu 8) sogar darüber hinaus und konnte ihren bisherigen Wähleranteil fast verdoppeln (auf 5,1 %), womit sie zu den eigentlichen Wahlsiegerinnen gehörte. Gemäss den Erhebungen der VOXAnalyse hat ungefähr die Hälfte der AP-Wählerschaft aus Unzufriedenheit über die behördliche Asylpolitik für diese Partei gestimmt. Ein Kennzeichen dieser Wählerschaft war im übrigen ein geringes oder sogar vollständig abwesendes Vertrauen in den Staat. Gegenüber 1987 hat sich ein Ausgleich bezüglich Alter und Geschlecht der Wählerschaft ergeben. Auf kantonaler und kommunaler Ebene wurde das rasante Vorprellen der AP – insgesamt 47 Sitzgewinne in kantonalen Parlamenten seit 1987 allerdings etwas gebremst; nur im Kanton Zürich konnte sie neu zwei Mandate gewinnen, im Kanton Baselland ging sie leer aus. Eine neue Kantonalpartei wurde in Appenzell-Ausserrhoden gegründet
[77].
Die Absicht, vom Image der Einthemenpartei wegzukommen, äusserte sich auch darin, einen neuen Namen für die Partei zu suchen. Der Vorschlag des Zentralvorstands, eine
Umbenennung in "Freie Bürgerpartei Schweiz" vorzunehmen, wurde jedoch von der Delegiertenversammlung abgelehnt; sie behielt somit vorläufig ihren alten Namen
[78].
[69] BBl, 1991, I, S. 106 f. (SD-Initiative) und III, S. 1227 (Meier); Presse vom 12.1.91; Schweizer Demokrat, 1991, Nr. 2. Siehe auch SPJ 1990, S. 337 f. und oben, Teil I, 7d (Ausländerpolitik).
[70] SN, 4.2.91; Schweizer Demokrat, 1991, Nr. 5.
[71] NZZ, 24.6.91. Vgl. auch Schweizer Demokrat, 1991, Nr. B.
[72] Siehe oben, Teil I, 1e. Zu Keller siehe auch Ww, 6.6.91. Fraktionsgemeinschaft: NZZ, 28.11.91.
[73] Siehe oben, Teil I, 1e. Vgl. auch SN, 15.2.91; EDU-Standpunkt, Oktober 1991; NZZ,. 6.11.91. Scherrer blieb im NR fraktionslos.
[75] NZZ, 28.1.91; TA, 28.10.91; Presse vom 22.11.91.
[76] BBl, 1991, III, S. 997. Vgl. SPJ 1990, S. 338.
[77] Siehe oben, Teil I, 1e sowie Lit. VOX. Vgl. auch L'Hebdo, 8.5.91; NZZ, 18.9.91 (Wahlkampf); SGT, 20.6.91 (Kantonalpartei AR).
[78] Presse vom 28.10. und 25.11.91; Ww, 28.11.91. Vgl. auch SPJ 1990, S. 338.
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