Année politique Suisse 1991 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
In einem Grundsatzpapier mit dem Titel "Grundzüge der Wirtschaftspolitik der CVP für die 90er Jahre" versuchte die Partei, konstruktive. und konsensfähige Lösungen für die Herausforderungen der 90er Jahre zu erarbeiten. Darin äusserten die Verfasser den Willen, sich für eine
ökologisch orientierte, soziale Marktwirtschaft einzusetzen und forderten gleichzeitig die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz. Laut dem Vizepräsidenten der CVP-Studiengruppe, Peter Buomberger, bilden der Ausgleich und Konsens zwischen den Sozialpartnern und letztlich derjenige zwischen Mensch, Wirtschaft und Umwelt das Fundament' der CVP-Wirtschaftspolitik. Ein ähnliches Standpunkt-Programm hatte die CVP schon 1986, mit Blick auf die Wahlen im Herbst 1987, veröffentlicht
[11].
Hinsichtlich der eidgenössischen Abstimmungen fasste die CVP die Ja-Parole zum Stimm- und Wahlrechtsalter 18, zur Militärstrafgesetzrevision (Barras-Reform) und zur Bundesfinanzvorlage, empfahl der Wählerschaft jedoch ein Nein zur Initiative zur Förderung des öffentlichen Verkehrs ("SBB-Initiative ")
[12].
In einem Thesenpapier zur Wohnpolitik forderte die Partei einerseits marktwirtschaftlich wirksame Mechanismen in der Preisgestaltung des Immobilienmarktes, andererseits aber auch verschiedenste Instrumente staatlicher Intervention zugunsten eines sozialen Ausgleichs; im übrigen schlug sie die Gründung einer eidgenössischen Hypothekarbank vor
[13].
Bei der Ausarbeitung des
neuen Parteiprogramms, das den Titel "Zukunft für alle" trägt, versuchte die Programmkommission unter der Leitung von Ständerat Cottier (FR) einerseits, die Positionen der verschiedenen Flügel innerhalb der Partei auf einen Nenner zu bringen, andererseits aber auch die Attraktivität der schon seit Jahren an einer starken Erosion leidenden Partei durch eine Anpassung an neue soziale Gegebenheiten zu erhöhen
[14]. So wurde die Umschreibung der Familie als ein tragendes Fundament unserer Gesellschaft, welche noch im Programm von 1987 eine zentrale Stellung innehatte, durch eine Formulierung, die auch andere Gemeinschaftsformen als diejenige der traditionellen Familie befürwortet, ersetzt
[15]. Während das "Solothurner Programm" von 1987 als Schwerpunkt die drohende Umweltzerstörung thematisiert hatte, ist das neue Programm weitgehend durch bestimmte Bereiche der internationalen Politik geprägt: Einerseits forderte die CVP im Rahmen der europäischen Integrationspolitik den Bundesrat auf, nach dem Abschluss der EWR-Verhandlungen ein
EG-Beitrittsgesuch zu stellen. Andererseits soll die Sicherheits- und Neutralitätspolitik im veränderten europäischen Umfeld neu definiert werden; ebenso sollen Lösungsansätze in der Migrations- und Asylproblematik durch ein striktes Ausfuhrverbot von Kriegsmaterial gesucht werden. Die innenpolitischen Schwerpunkte im Programm betrafen die Landwirtschafts- und Umweltpolitik, die Gentechnologie, die Gleichstellung von Mann und Frau sowie einzelne Problembereiche aus der Sozialpolitik. Die Delegiertenversammlung vom 4. Mai in Weinfelden (TG) verabschiedete das Programm; in der Asylpolitik verlangten die Delegierten zudem eine Straffung des Verfahrens, lehnten jedoch einen Vorstoss der zürcherischen CVP für eine Beschränkung der Asylbewerberzahl auf 25 000 deutlich ab
[16]. Die Forderung nach einem Europa der Regionen bildete den Schwerpunkt am Parteitag in Basel
[17].
Vor den
Wahlen brachte die Parteipräsidentin Eva Segmüller (SG) ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass die schlechten Prognosen für ihre Partei zusätzliche Kräfte mobilisieren würden; dies war jedoch nicht der Fall. Die CVP erlitt bei den Nationalratswahlen eine Einbusse von 1,5 Prozentpunkten bei den Wähleranteilen und sank auf 18,2% (inklusiv CSP-Listen in LU, SZ, SG, VS) ab; in sechs Kantonen verlor sie sieben Sitze und gewann nur in einem ein Mandat neu hinzu. Im Ständerat verlor sie zwei weitere Sitze (SZ, TI), nachdem 1990 schon in Glarus der christlichdemokratische Sitz an die FDP gegangen war
[18].
Wie die VOX-Analyse aufzeigte, ist die Wählerschaft der CVP
überaltert; mehr als ein Fünftel der Wählerschaft ist im Rentenalter, der grösste Teil wird durch die Kategorie der 40-64jährigen gebildet. Obwohl der Anteil der Bauern weiter zurückging, blieb die CVP eine Partei der
ländlichen Gebiete, und das
katholische Fundament der Politik bildet weiterhin ihre unbestrittene Basis. Der Rückgang der CVP-Wählerschaft machte sich vor allem in den durch populistischen Protest geprägten Kantonen Tessin, Aargau, Zürich, St. Gallen und Solothurn bemerkbar
[19].
Kurze Zeit vor dem im November stattfindenden Parteitag in Freiburg, an welchem die Delegierten im übrigen eine Frauenquote für die nationalen Parteigremien (Delegiertenversammlung, Vorstand und Präsidium) von mindestens einem Drittel guthiessen, kündigten sowohl Parteipräsidentin Segmüller als auch Fraktionspräsident Vital Darbellay (VS) ihren Rücktritt an; neuer Fraktionschef wurde Nationalrat Peter Hess (ZG), und für das Parteipräsidium wurde im Berichtsjahr Ständerat Carlo Schmid (AI) durch die Parteispitze nominiert
[20].
Im Kanton Schwyz wurde die christlich-soziale Parteigruppe neu gegründet, nachdem sie 1971 zusammen mit der Katholisch-Konservativen Partei zur CVP zusammengeschmolzen worden war. Sie beteiligte sich auch mit einer eigenen Liste — verbunden mit derjenigen der CVP — an den Nationalratswahlen. Die Bestrebungen der CSP Uri, sich von der Mutter-Partei loszusagen, führten im Berichtsjahr noch zu keinem Entscheid. Im Kanton Luzern konnte die CSP ihren Sitz im Parlament verteidigen, ebenso bei den Luzerner Stadtwahlen
[21].
[11] L'Hebdo, 4.4.91; Presse vom 12.4.91.
[12] Die Junge CVP sprach sich gegen die von ihr als ungenügend kritisierte Barras-Reform aus (BaZ, 15.4.91). Parolen der Mutterpartei: Presse vom 6.5.91.
[14] Auch die katholischen Presseorgane verloren weiterhin Marktanteile; siehe dazu Ww, 10.10.91.
[15] Zur Familienpolitik der CVP allgemein vgl. Presse vom 5.9.91.
[16] Vat., 4.5.91; Presse vom 6.5.91. Die Mutterpartei hat im übrigen die Kantonalpartei Aargau gerügt, als sich diese für eine Notrechtsmassnahmen fordernde Asyl-Standesinitiative aussprach (BaZ, 9.9.91).
[18] Siehe Interview mit E. Segmüller in BüZ, 19.9.91; vgl. auch oben, Teil I, 1e.
[20] Parteitag vom 9.11. in Freiburg: Presse vom 11.11.91. Rücktritte: Presse vom 29.10. und 30.10.91. Hess: 24 Heures, 18.11.91. Schmid: Bund, 14.12.91; Ww, 19.12.91.
[21] SZ: Vat., 15.6.91. UR: LZ, 28.11.91. LU: LNN, 23.4.91.
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