Année politique Suisse 1991 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien / Grüne und links-grüne Gruppierungen
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Grüne Partei (GP)
Anders als im Wahljahr 1987 präsentierte sich die Grüne Partei vor den Nationalratswahlen 1991 als eine vielfältig kompetente Partei, die über ihr Image einer Einthemenpartei hinausgekommen ist. Fragen der Fiskalpolitik, der Gleichberechtigung der Geschlechter – ein umstrittenes Grundsatzpapier dazu wurde am Parteitag in Rapperswil (SG) nach den Wahlen verabschiedet –, Neue Armut, Sicherheitsund Europapolitik gehörten ebenso zum Inventar der Wahlkampfthemen wie die Umweltpolitik. Im übrigen hat sich die Partei seit den letzten eidgenössischen Wahlen in politischer Hinsicht durch die Integration von Teilen der ehemaligen Grünen Bündnisse von einer eher bürgerlich-grünen zu einer eher links-grünen Organisation gewandelt; der Frauenanteil ist mit über 45% der Mitglieder der höchste von allen Parteien überhaupt und sowohl Partei- als auch Fraktionspräsidium wurden im Berichtsjahr von Frauen gehalten. Gemäss der VOX-Analyse war die GP bei den Nationalratswahlen die einzige nationale Partei mit einer weiblichen Mehrheit in der Wählerschaft [50].
Die Delegiertenversammlung in Lausanne vom 4. Mai beschloss, die Tessiner Sektion "Movimento Ecologista Ticinese" (MET) aus der Partei auszuschliessen, weil sie sich weigerte, die Trennung vom ehemaligen NA-Nationalrat Oehen zu vollziehen. Neu in die nationale Organisation aufgenommen wurden hingegen die Grüne Partei Basel-Stadt sowie das Grüne Bündnis St. Gallen. Im neuen Parteiprogramm, welches die Delegierten verabschiedeten, wurde der bisherige Kurs der Grünen vertieft und Bereiche wie Gleichberechtigung, Wirtschaft und Finanzen, Sicherheits- und Sozialpolitik als Schwerpunkte gesetzt, die auch zu Wahlkampfthemen wurden [51]. Im Kanton Jura wurde das "Mouvement écologiste jurassien" (MEJ) gegründet, welches den Beobachterstatus in der GPS erhielt, für die eidgenössischen Wahlen jedoch nicht kandidierte. In Basel-Stadt stiess die eher bürgerlich orientierte "Grüne Mitte" zum Fusionsprodukt "Grüne Partei Basel-Stadt / Grüne Alternative Basel", während sich im Baselbiet die drei bestehenden grünen Organisationen, "Grüne Partei Baselland", "Grüne Baselland" und "Grüne Liste Baselbiet", zu einer neuen Partei mit dem Namen "Grüne Baselbiet" zusammenschlossen, welche Mitglied der GPS wurde [52].
Zu den eidgenössischen Abstimmungen beschloss die Partei die Ja-Parole für das Stimm- und Wahlrechtsalter 18 sowie für die Initiative zur Förderung des öffentlichen Verkehrs. Beide anderen Vorlagen, das revidierte Militärstrafgesetz und die neue Finanzordnung, lehnte die GP ab. In der Finanzpolitik schlug die GP vor, die Warenumsatzsteuer durch eine Energiesteuer zu ersetzen; nach den eidgenössischen Wahlen verabschiedete sie dazu ein Grundsatzpapier [53].
Die GP lehnte den sicherheitspolitischen Bericht des Bundesrates ab, da dieser die Bedrohungssituation bloss richtig analysiere, jedoch falsche Schlüsse daraus ziehe und in der militärischen Perspektive der Sicherheitspolitik verhaften bleibe. In einem eigenen sicherheitspolitischen Konzept schlug die GPS den UNO-Beitritt, eine verstärkte Teilnahme im Europarat, ein Kriegsmaterialausfuhrverbot und Beiträge der Schweiz an eine unabhängige Friedensforschung vor [54].
Schon im Vorfeld der Wahlkampagne zeigten Meinungsumfragen die starke Diskrepanz zwischen Parteiwählerschaft und Parteiführung in der Haltung zur Europäischen Integration auf. Am Kongress der Europäischen Grünen in Zürich plädierten die Delegierten aus über 20 Ländern für ein Europa der Regionen und stärkten der schweizerischen Organisation damit den Rücken. Im Wahlkampf verwendete die Partei bewusst den Begriff des europäischen Lebens- und Umweltraumes, der erhalten werden müsse, als Kontrast zum Europäischen Wirtschaftsraum [55].
In der Legislaturbilanz grenzte sich die Partei unter anderem deutlich von der SP ab; laut Monika Stocker (ZH) begegne die Leitung der sozialdemokratischen Partei der Frage des wirtschaftlichen Wachstums zunehmend unkritischer [56]. Diese Abgrenzung gegen die SP verdeutlichte sich unter anderem an der Delegiertenversammlung vom 14. September in Luzern, an welcher die GPS beschloss, gegen die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT), welche als Inbegriff eines zerstörerischen Wirtschaftswachstums interpretiert wurde, das Referendum zu ergreifen. Es handelt sich dabei um das erste von der GPS ergriffene Referendum;. Volksinitiativen hat sie noch nie lanciert. Die GP forderte auch einen Abbruch der EWR-Verhandlungen und kündigte Widerstand gegen ein eventuelles EG-Beitrittsgesuch an. Während der NEAT-Referendums-Entscheid nur zu geringer Kontroverse Anlass bot, opponierten welsche Delegierte vergebens gegen die europapolitischenStandortbestimmungen [57].
Ein Graben zwischen Deutschschweiz und Romandie tat sich auch in der Frage einer Unterstützung des Referendums gegen den IWF- und Weltbankbeitritt auf. Um einen grösseren Konflikt zu vermeiden, entschied sich der Vorstand einstimmig, auf nationaler Ebene keine Stellung zu beziehen und den Entscheid den Kantonalparteien zu überlassen [58].
Bei den Nationalratswahlen übertraf die GPS ihr Minimalziel der Konsolidierung der elf Sitze um drei Mandate (neu vierzehn Sitze) und konnte ihren Wähleranteil von 4,9 auf 6,1% erhöhen. Diese Gewinne waren allerdings weitgehend auf die Beitritte von Kantonalsektionen, welche 1987 zum Grünen Bündnis gehört hatten, zurückzuführen. In den Kantonen der Westschweiz ging der Wähleranteil ausser in Neuenburg überall leicht zurück, was laut Parteipräsidentin Gardiol (VD) auf die Tatsache schliessen lässt, dass die Wählerschaft in der Romandie im Gegensatz zu jener in der Deutschschweiz die fundamentalistischen Positionen der GPS bezüglich der Europäischen Integration und der NEAT nicht geschätzt hätte. Bei Wahlen in die kantonalen Parlamente zeigte sich eine rückläufige Bewegung in allen Kantonen ausser Freiburg, wo neu vier grüne Abgeordnete Einsitz fanden [59].
 
[50] BZ, 26.1.91; 24 Heures, 18.2.91. Zur Gleichberechtigung und zur ökologischen Finanzreform: GPS-Informationsdienst, 4.12.91. Wählerschaft: Lit. VOX. Für die Jahre 1992-94 wurde NR Thür (AG) als Fraktionspräsident gewählt, Vizepräsidentin wurde die Luzernerin Cécile Bühlmann (Bund, 12.12.91).
[51] Presse vom 6.5.91.
[52] JU: Dém., 21.8.91. BS: BaZ, 7.2.91; nach der Fusion entstand jedoch aus Kreisen von Fusionsgegnern eine "Neue Grüne Mitte". BL: BaZ,15.8.91.
[53] BaZ, 22.2.91; NZZ, 6.5.91 (Parolen); JdG, 15.5.91 (Energiesteuer); Presse vom 4.11.91 (Grundsatzpapier).
[54] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 910 f.; Presse vom 29.5.91.
[55] JdG, 22.2.91; L'Hebdo, 28.3.91; Presse vom 3.6.91 (Europäische Grüne); LNN, 10.8.91 (Wahlkampagne). Siehe auch GPS, Die Schweiz und Europa. Diskussionsgrundlagen für die Standortbestimmung der Grünen Partei der Schweiz, Bern 1991.
[56] Presse vom 4.7.91.
[57] Presse vom 16.9.91; Ww und L'Hebdo, 19.9.91. Ausführliche Begründung des Referendumsentscheids in info-CPS, November 1991 und GPS-Informationdienst, 6.11.91; TW, 12.10.91. Vgl. auch oben, Teil I, 6b (Chemins de fer).
[58] BaZ, 8.11.91; BZ, 12.11.91; GPS-Pressedienst, 16.11.91. Vgl. dazu oben, Teil I, 2 (Organisations internationales).
[59] Siehe oben, Teil I, 1e. Vgl. auch NZZ, 20.9.91; JdG, 4.10.91 (Wahlkampagne); Presse vom 4.11.91 und BZ, 12.11.91 (Gardiol).