Année politique Suisse 1991 : Grundlagen der Staatsordnung / Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein / Grundsatzfragen
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Kulturboykott
Die 700 Kulturschaffenden, welche bis im Frühling 1990 die Kulturboykottdrohung gegen die 700-Jahr-Feier unterschrieben hatten, sind in der Deutschschweiz — zumindest zu Beginn der Festlichkeiten — zum Thema geworden und haben, gemäss den Kritikern des Boykotts, eine im Verhältnis zu ihrem potentiellen Kulturschaffen überproportionale Öffentlichkeitswirkung erhalten. Der Boykottaufruf ist in der Westschweiz weniger stark befolgt worden. Die offiziellen Veranstaltungen unter dem Motto "Utopie" sind laut dem Festdelegierten Solari bei den Intellektuellen im Welschland auf fruchtbaren Boden gestossen [19].
Nachdem der Delegierte für die 700-Jahr-Feiern, Marco Solari, den Schriftsteller Max Frisch vergeblich gebeten hatte, an der Eröffnungszeremonie in Bellinzona teilzunehmen, lud er ihn nochmals ein, wenigstens am Schweizer Europatag dabei zu sein. Frisch erklärte in seiner Absage, er könne sich nicht freiwillig mit einer Regierung an einen Tisch setzen, welche für die Fichen-Affäre verantwortlich sei und damit "Verfassungs-Verrat" als eidgenössischen Alltag toleriere [20].
 
[19] SN, 19.1.91. Romandie: NZZ, 3.1.91; BZ, 12.4.91. '
[20] TA und WoZ, 15.3.91. Zum Tode von Max Frisch siehe unten, Teil I, 8b (Kulturpolitik). Zur Position der Boykotteure siehe auch deren Zeitschrift "Gäge Chrütli 700", den Beitrag von Lothar Baier in WoZ, 24.5.91 sowie Lit. Lerch / Simmen. Vgl. auch SPJ 1990, S. 19.