Année politique Suisse 1991 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung / Strafrecht
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Sexualstrafrecht
In der Differenzbereinigung befasste sich der Ständerat in der Märzsession mit der Revision der Bestimmungen über strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität. Er stimmte dem Nationalrat in bezug auf die Straffreiheit von Handlungen zu, die sich zwischen Kindern von weniger als 14 Jahren abspielen. Hingegen lehnte er den Beschluss der Volkskammer ab, auch dann von einer Strafverfolgung abzusehen, wenn bei Beteiligung von 14-16jährigen der Altersunterschied nicht mehr als vier Jahre beträgt. Immerhin soll bereits der Untersuchungsrichter unter bestimmten Umständen — konkret bei echten Liebesbeziehungen — auf eine Strafverfolgung verzichten können.
In der Frage der strafrechtlichen Verfolgung der Vergewaltigung in der Ehe hatte im Ständerat seit der Erstberatung 1987 ein grundlegender Meinungswandel stattgefunden. Umstritten war nicht mehr das Prinzip der Bestrafung, sondern lediglich noch die Ausgestaltung als Offizial- oder Antragsdelikt. Mit 21 zu 5 Stimmen schloss sich der Rat der Volkskammer an und beschloss, Vergewaltigung in der Ehe nur auf Antrag strafrechtlich zu verfolgen. Auch bei allen übrigen Differenzen schloss er sich dem Nationalrat an [36].
Dem Nationalrat ging der Vorschlag des Ständerats zur Entkriminalisierung der sogenannten Jugendliebe zuwenig weit. Er hielt an seinem Beschluss fest, innerhalb einer auf drei Jahre reduzierten Altersdifferenz die Jugendliebe nicht mehr zu bestrafen. Andererseits hob er die generelle Straffreiheit für Handlungen, an denen ausschliesslich Kinder von weniger als 14 Jahren beteiligt sind, wieder auf. Damit wollte er verhindern, dass zwar Handlungen zwischen 15 und 19jährigen, nicht aber solche zwischen 5 und 13jährigen strafrechtlich verfolgt werden müssen. Der Ständerat schloss sich dieser Lösung an. Die bereinigte Vorlage wurde im Nationalrat mit drei, im Ständerat ohne Gegenstimmen verabschiedet [37].
Die religiös-fundamentalistische EDU und der Verein "Ja zum Leben" ergriffen gegen das revidierte Sexualstrafrecht erfolgreich das Referendum. Ihre Kritik richtet sich gegen ein Gesetz, das Unzucht akzeptiere, die Homosexualität rechtlich der Heterosexualität gleichstelle und das Jugendschutzalter von 16 Jahren unterlaufe [38].
 
[36] Amtl. Bull. StR, 1991, S. 78 ff. Vgl. SPJ 1990, S. 31.
[37] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 854 ff. und 1408; Amtl. Bull. StR, 1991, S. 450 und 614; BBl, 1991, lI, S. 1490 ff. Vgl. auch L. Krauskopf, "Leitlinie ist die freie Selbstbestimmung", in Vat., 27.7.91.
[38] BBl, 1991, IV, S. 530 f. (141 595 gültige Unterschriften); Bund, 29.6.91; NF, 23.8., 5.9. und 2.10.91; JdG, 1.10.91.