Année politique Suisse 1991 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Volksrechte
Im Berichtsjahr wurden drei neue Volksinitiativen eingereicht (Ausbau von AHV/IV der SP und des SGB; Abschaffung der politischen Polizei; für eine naturnahe Landwirtschaft). Eine Initiative wurde in der Volksabstimmung abgelehnt (Förderung des öffentlichen Verkehrs) und zwei wurden zugunsten von parlamentarischen Gegenvorschlägen zurückgezogen (Fortpflanzungs- und Gentechnologie; Zinsüberwachung). Damit blieb die Anzahl der Ende 1991 hängigen Volksinitiativen unverändert bei 15.
Die Zahl der
neu lancierten Volksinitiativen hat sich gegenüber dem Vorjahr von 11 auf 8 verringert, bei einer (Geschlechterquoten für den Nationalrat) wurde allerdings die Unterschriftensammlung noch vor Jahresende abgebrochen. Dasselbe Schicksal erlitten auch die beiden im Vorjahr von der PdA lancierten Initiativen für die Verbesserung der Stellung der Frauen in der Sozialversicherung resp. in den Behörden sowie die "Euro-Initiative". Ferner ist im Berichtsjahr für 5 Volksbegehren, darunter die Initiative der Auto-Partei für die Abschaffung der direkten Bundessteuer, die Sammelfrist ungenutzt abgelaufen
[54].
Der am 5. Juli begangene
hundertste Jahrestag der Einführung der Volksinitiative auf Bundesebene bot Anlass zu Würdigungen dieses politischen Instruments. Seit 1891 waren 187 Volksinitiativen eingereicht worden; von den 104, die zur Volksabstimmung gelangten, wurden 10 von Volk und Ständen gutgeheissen. Die Auswirkung auf die Rechtssetzung war allerdings wesentlich bedeutender, sei es, dass in Gegenvorschlägen des Parlaments wichtige Anliegen aufgenommen wurden, sei es, dass die in Initiativen propagierten Ideen Eingang in die politische Diskussion und auch in die Gesetzgebungsarbeit fanden
[55].
Das um siebzehn Jahre ältere Referendumsrecht erlebte im Berichtsjahr eine neue Blüte. Nach der Herbstsession wurde
gegen nicht weniger als neun Vorlagen das Referendum ergriffen (NEAT; IWF-Beitritt (2 Vorlagen); bäuerliches Bodenrecht; Stempelabgaben; Parlamentsreform (3 Vorlagen); ETH-Gesetz). Nur gerade das letzterwähnte kam nicht zustande, alle anderen vermochten die nötigen 50 000 Unterschriften innerhalb von drei Monaten beizubringen, wenn auch im Fall der NEAT nur mit äusserster Mühe. Da zuvor bereits zwei Referenden eingereicht worden waren (Gewässerschutzgesetz und Sexualstrafrecht), betrug die Gesamtzahl der mit dem Referendum bekämpften Vorlagen insgesamt zehn. Damit wurden im Berichtsjahr 18% aller dem fakultativen Referendum unterstellten Parlamentsbeschlüsse vor das Volk gezogen. Diese Quote war deutlich höher als in der Periode 1981-90 (5,4%) und sie übertraf auch den Spitzenwert des Jahrzehnts 1881-90 (10,6%), welches durch die vehemente Opposition der Katholisch-Konservativen gegen die freisinnige Einparteienregierung gekennzeichnet war. Es bestätigte sich die Erfahrung der letzten Jahre, dass das Referendumsrecht nicht mehr vorwiegend das Instrument konservativer, politisch rechter Kreise ist: dasjenige gegen die Stempelsteuergesetzrevision stammte von einer Bundesratspartei (SP), bei drei weiteren wurden die Unterschriften von politisch an sich gegensätzlichen Kreisen gesammelt (NEAT und IWF- resp. Weltbank-Beitritt)
[56].
Das Recht, mit Initiativen und Referenden direkten Einfluss auf die Politik nehmen zu können, wird nicht nur von Parteien, Verbänden und Einzelpersonen rege genutzt, sondern ist bei den Bürgerinnen und Bürgern auch sehr beliebt. In einer repräsentativen Befragung drückten 78% (zu Initiative) resp. 72% (zu Referendum) ihre positive Haltung zu den beiden Instrumenten aus; nur gerade 14% könnten sich mit einem Verzicht auf das Referendumsrecht abfinden
[57].
[54] Gesch.ber. 1991, 2. Teil, S. 4 ff.; Wirtschaftsförderung, Initiativen + Referenden, Zürich 1992; A. Gross in TA, 11.1.92. Vgl. auch SPJ 1990, S. 45.
[55] Presse vom 5.7.91; NZZ, 6.7.91. Für eine Auflistung aller Volksinitiativen und statistische Auswertungen und Zusammenstellungen siehe Lit. Wili.
[56] Zu den einzelnen Referenden siehe die entsprechenden Sachkapitel.
[57] Lit. Longchamp / Hardmeier, S. 18 und 23. Vgl. auch TA, 7.11.91
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