Année politique Suisse 1991 : Grundlagen der Staatsordnung / Föderativer Aufbau
Territoriale Fragen
Bereits 1977 hatten die Kantone Bern und Neuenburg mit Standesinitiativen die Schaffung
verfassungsrechtlicher Vorschriften über Gebietsveränderungen verlangt. Das Parlament hatte 1980 dem Bundesrat zugestimmt, dass dieses Problem nicht dringlich sei. Es hatte die Regierung aber mit einer Motion, beauftragt, im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung entsprechende Vorschläge zu machen. Nach der Abstimmung über den Wechsel des bisher bernischen Laufentals zum Kanton Baselland nahm der Berner Nationalrat Bonny (fdp) diese Idee wieder auf. Angesichts der äusserst knappen Mehrheit der Befürworter eines Kantonswechsels (51,7%:48,3%) verlangte er in seiner Motion, dass in Zukunft ein qualifiziertes Mehr von 66,6% der direkt Betroffenen für einen Kantonswechsel erforderlich sein soll. Der Bundesrat ging auf diese Idee materiell nicht ein; er sah — wie auch der Nationalrat, der den Vorstoss in ein Postulat umwandelte — keine Notwendigkeit für ein rascheres Vorgehen und verwies auf die Arbeiten an der Totalrevision der Bundesverfassung
[2].
Die im Vorjahr vorgestellte baselstädtische Volksinitiative für ein Beitrittsgesuch
Basels zu Baselland wurde im Herbst lanciert
[3].
Am 13. März beurteilte das
Bundesgericht die Beschwerde gegen die Nichtvalidierung der Volksabstimmung vom 12. November 1989, welche eine knappe Mehrheit zugunsten eines Wechsels zu Baselland ergeben hatte, durch den bernischen Grossen Rat. Mit 4:1 Stimmen hiess es die Beschwerde gut und entschied sich damit
gegen eine Wiederholung des Urnengangs. Die vom bernischen Parlament beanstandeten Unstimmigkeiten wurden zwar nicht bestritten, aber als nicht entscheidend für den Ausgang der Abstimmung erachtet
[4].
Nach diesem Entscheid erklärte der Berner Grosse Rat in einem zweiten Anlauf die Abstimmung von 1989 für gültig. Nun stand einer
Abstimmung im Kanton Baselland über die Aufnahme des Laufentals nichts mehr im Wege. Diese fand am 22. September statt. Mit Ausnahme der SD hatten zwar alle Parteien die Ja-Parole ausgegeben, die Delegierten der SVP aber nur mit knappem Mehr, und auch innerhalb der FDP machte sich eine starke Opposition bemerkbar. Bei einer Stimmbeteiligung von rund 40% fiel das Ergebnis mit einem
Ja-Anteil von 59,3% zwar klar, aber spürbar weniger deutlich aus als bei der ersten Abstimmung von 1983 (73%). Den Ausschlag für die Zustimmung hatte der bevölkerungsreiche, direkt ans Laufental angrenzende Bezirk Arlesheim gegeben; die beiden Oberbaselbieter Bezirke Sissach und Waldenburg sprachen sich hingegen deutlich legen eine Aufnahme des Laufentals aus
[5].
Die Regierungen der
Kantone Baselland und Bern einigten sich, bis 1993 ein
Konkordat auszuarbeiten, worin insbesondere die Vermögensaufteilung und administrative Probleme des Kantonswechsels geregelt werden sollen. Da dieser Zeitplan damit rechnet, dass 1993 auch die eidgenössische Genehmigung über die Bühne gehen soll, könnte das Laufental am 1. Januar 1994 zum Kanton Baselland übertreten
[6].
Das jurassische Parlament verabschiedete am 6. März einstimmig zwei Motionen bezüglich der Gemeinde
Vellerat (BE). Diese sehen vor, dass diese Gemeinde innerhalb von zwei Jahren in einem einseitigen Akt, d.h. auch ohne das Einverständnis Berns, in den Kanton Jura aufgenommen werden soll. Auf Anfrage gab der Bundesrat sein Bedauern über diesen Beschluss bekannt, der seiner Meinung nach die Regeln über Gebietsveränderungen missachtet
[7]. Eine Motion der Christlichsozialen für die Durchführung einer Sitzung des jurassischen Parlaments auf dem Boden der Gemeinde Moutier (BE) wurde, nachdem diese Absicht vom Bundesrat präventiv verurteilt worden war, zurückgezogen
[8].
Nach dem Bekanntwerden der verdeckten Zahlungen der Berner Regierung an die berntreuen Organisationen hatte die jurassische Regierung beim Bundesgericht
Beschwerde gegen die Plebiszite von 1974 und 1975, welche zum Verbleiben der drei südlichen jurassischen Bezirke bei Bern geführt hatten, erhoben. Am 13. März beschloss das Bundesgericht einstimmig, aus formalen Gründen auf diese Beschwerde nicht einzutreten. Da der Kanton Jura zur Zeit der Plebiszite noch nicht existiert hat, kommt ihm gemäss dem Urteil keine Klagelegitimation zu; eine Beschwerde hätte demnach zeitgerecht, d.h. nach der Aufdeckung der verdeckten Zahlungen, von einer 1974 stimmberechtigten Person eingereicht werden müssen
[9].
Im Nationalrat verlangte daraufhin der Genfer Spielmann (pda), dass zumindest in Gemeinden, die sich in den siebziger Jahren nur mit knappem Mehr für ein Verbleiben bei Bern entschieden hatten, die Abstimmung wiederholt werde. Während Theubet (cvp, JU) den Vorstoss unterstützte, wandte sich Etique (fdp), der andere jurassische Abgeordnete, gegen eine derartige 'Salamitaktik', weil diese zwar einigen wenigen Gemeinden den Kantonswechsel gestatten, aber nichts zur Wiedervereinigung aller sechs Bezirke beitragen würde. Daraufhin zog Spielmann seine Motion zurück. Der Bundesrat betonte bei dieser Gelegenheit und auch anlässlich der Beantwortung von zwei Interpellationen Aubry (fdp, BE) resp. Rychen (svp, BE), dass er grosse Hoffnung auf die von ihm im Vorjahr eingeleiteten Gespräche zwischen den Regierungen der beiden Kantone setze
[10].
Der mehrheitlich projurassische Gemeinderat der bernisch gebliebenen Gemeinde
Moutier verlangte vom Berner Regierungsrat ultimativ konkrete Vorschläge für einen Kantonswechsel der Gemeinde bis zum 30. April. Die Antwort der Berner Regierung an die Gemeinde fiel erwartungsgemäss negativ aus. Mehr Aufsehen erregte dabei die Feststellung, dass die bernische Exekutive eine zukünftige Abstimmung über einen Kantonswechsel nicht ausschliesse, dass diese aber nicht bloss einzelne Gemeinden, sondern das gesamte Gebiet des bernischen Juras umfassen müsste
[11].
Das
Rassemblement jurassien kündigte an der "Fête du peuple" eine
neue kantonale Volksinitiative an. Diese verlangt, dass in der jurassischen Verfassung festgeschrieben wird, dass sich das französischsprachige jurassische Volk aus der Bevölkerung des Kantons Jura und der drei bernisch gebliebenen Bezirke des Südjuras zusammensetzt. Das Volksbegehren wurde Ende November mit gut 8000 Unterschriften eingereicht; eine entsprechende Petition wurde im bernischen Jura von 2701 Personen unterzeichnet
[12].
[2] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 754 f.; Dém., 26.1.91. Zur Verfassungsrevision siehe oben, Teil I, 1a (Totalrevision der Bundesverfassung).
[3] BaZ, 2.9. und 1.10.91. Siehe SPJ 1990, S. 49.
[4] Presse vom 14.3.91; BaZ, 27.5.91. Vgl. SPJ 1989, S. 39 und 1990, S. 50. Das Bundesgericht lehnte danach auch ein Revisionsbegehren von berntreuen Laufentalern ab (Bund, 22.7.91).
[5] BZ, 26.6.91 (Grosser Rat); BaZ, 27.6. und 7.9.91; Presse vom 23.9.91. Zur Abstimmung von 1983 siehe SPJ 1983, S. 29 f.
[6] Bund, 2.11.91; BaZ, 6.12.91.
[7] Express und Dém., 7.3.91. BR: Amtl. Bull. NR, 1991, S. 362.
[8] Bund, 30.5.91; Dém., 31.5.91. BR: Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1370.
[9] Presse vom 14.3.91. Das Bundesgericht wies gleichzeitig auch die jurassische Klage auf Rückerstattung eines Teils der Schwarzgelder ab. Siehe SPJ 1989, S. 39.
[10] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 803 ff. (Interpellationen) und 1579 ff. (Motion). Zu den Gesprächen siehe Dém., 1.6. und 21.9.91; JdG, 24.6.91 sowie SPJ 1990, S. 50. Vgl. dazu auch Amtl. Bull. StR, 1991, S. 335 und 1105.
[11] Bund, 25.9.91; Dém., 8.3. und 19.4.91. Vgl. auch eine im Berner Jura durchgeführte Umfrage zu diesem Thema (Dém., 3.5.91).
[12] Presse vom 9.9.91; 24 Heures, 19.10.91; Dém., 2.12.91; Le Jura libre, 12.9. und 5.12.91.
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