Année politique Suisse 1991 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
Konjunkturpolitik
Das EVD gab im September den Vorentwurf für ein
Stabilitätsgesetz in die Vernehmlassung. Dieser war von einer Expertengruppe unter der Leitung des im Oktober neu in den Nationalrat gewählten Genfer Wirtschaftsprofessors Tschopp (fdp) erarbeitet worden. Der als Rahmengesetz konzipierte Entwurf orientiert sich am Primat der Selbstregulierungskräfte der Wirtschaft und will die Aktivitäten des Bundes vor allem auf die Gewährleistung von günstigen Rahmenbedingungen und die Förderung der Innovations- und Anpassungsfähigkeit konzentrieren. Nur in aussergewöhnlichen Situationen soll der Bund mit kurzfristigen Massnahmen wie z.B. Arbeitsbeschaffungsprogrammen und Sonderabgaben zur Abwehr drohender Gefahren oder zur Bekämpfung eingetretener Störungen eingreifen dürfen
[9].
Ohne Diskussion überwies der Ständerat eine Motion Jelmini (cvp, TI), welche die Ausarbeitung eines konjunkturpolitischen Instrumentariums fordert. Dabei soll auf die Institutionalisierung der Zusammenarbeit von Bund, Kantonen, Gemeinden, der Wirtschaft und der Nationalbank besonderes Gewicht gelegt werden
[10].
Nachdem Ende August die Zahl der Arbeitslosen auf 40 000 und diejenige der Kurzarbeitenden auf 20 000 angestiegen war, reichten die Fraktionen der SP und der FDP sowie CVP-Nationalrat Widrig (SG) dringliche Interpellationen zur Wirtschaftspolitik ein. Diese boten dem Nationalrat anfangs Oktober Gelegenheit, die sich rapide verschlechternde Wirtschaftsund Beschäftigungslage zu diskutieren. Alle Parteien waren sich einig, dass der Zeitpunkt für ein konjunkturpolitisches Ankurbelungsprogramm noch nicht gekommen sei; immerhin verlangten die Sozialdemokraten diesbezügliche Vorbereitungen. Während die SP neben verstärkten Bemühungen auf dem Ausbildungssektor auch eine Lockerung der Geldpolitik anregte, betonten sowohl der freisinnige Fraktionssprecher Schüle (SH) als auch Widrig für die CVP und Fischer (AG) für die SVP die Bedeutung von Massnahmen zur Belebung des Wettbewerbs und forderten zudem den Staat zum Masshalten sowohl bei den Ausgaben als auch bei der Produktion von gesetzlichen Vorschriften auf. Konkret kritisierte die FDP namentlich die relativ schlechter gewordenen Rahmenbedingungen für den Finanzplatz. Vertreter der CVP und der SVP prangerten insbesondere die zeitraubenden Baubewilligungsverfahren an, welche verantwortlich seien, dass investitionswillige Unternehmen ins Ausland abwandern würden.
Der Bundesrat verteidigte seinen bisherigen Kurs, der darin besteht, trotz des wirtschaftlichen Einbruchs weiterhin der
Teuerungsbekämpfung das Primat einzuräumen. Eine Lockerung der Geldpolitik lehnte er deshalb als kontraproduktiv ab. Gestützt auf die Annahme, dass sich die Konjunktur im Jahre 1992 wieder erholen werde, lehnte er auch spezielle Beschäftigungsprogramme, die in der Debatte allerdings auch von niemandem gefordert worden waren, ab. Er verwies zudem auf die positiven Wirkungen der vom Bund bereits beschlossenen Massnahmen zur Förderung des Wohnungsbaus und die auf Anfang 1992 in Kraft tretenden Verbesserungen bei der Arbeitslosenversicherung, welche es den Unternehmen erleichtern werde, konjunkturelle Schwächen mit Kurzarbeit statt mit Entlassungen zu überbrücken. Überdies kündigte er eine Freigabe der Arbeitsbeschaffungsreserven an
[11] .
Einen Tag nach dieser Debatte überwies der Nationalrat diskussionslos ein Postulat Leuenberger (sp, SO), welches den Bundesrat aufforderte, für den Fall einer Rezession Beschäftigungsprogramme vorzubereiten. Diese sollten den Hauptakzent nicht auf die traditionellen Aufträge in den Bereichen Strassenbau und militärische Ausrüstung legen, sondern — neben der Förderung der beruflichen Umschulung und Weiterbildung — beschäftigungswirksame Massnahmen in den Gebieten Energiesparen und öffentlicher Verkehr enthalten
[12]. Der einzige Ruf im Parlament nach dem sofortigen Einsatz eines staatlichen Investitionsprogramms kam von einem Vertreter der Zürcher SVP. Bundesrat Delamuraz lehnte jedoch in der Dezembersession das in der Fragestunde vorgetragene Begehren des neu in den Nationalrat gewählten Präsidenten des kantonalen Gewerbeverbandes Neuenschwander ab
[13].
Auf den 1. Dezember gab der Bundesrat die freiwillig gebildeten
steuerbegünstigten Arbeitsbeschaffungsreserven der Unternehmen frei. Damit wurden rund 700 Unternehmen ermächtigt, blockierte Mittel im Betrag von rund 400 Mio Fr. für Investitionen einzusetzen. In den von Arbeitslosigkeit besonders betroffenen Regionen (v.a. französische Schweiz und Tessin) verlängerte er die Anspruchsberechtigung für den Bezug von Arbeitslosengeldern
[14].
Eine Eingabe des Konsumentinnenforums Schweiz an den Bundesrat, welche angesichts der ungebremsten Teuerung die Einführung einer allgemeinen
konjunkturpolitischen Preisüberwachung mittels dringlichem Bundesbeschluss forderte, wurde von der Regierung abschlägig beantwortet. Ständerätin Weber (ldu, ZH) hatte in einer im Juni eingereichten Interpellation ebenfalls eine derartige Intervention angeregt, erwähnte diese jedoch bei der mündlichen Begründung ihres Vorstosses anfangs Oktober nicht mehr
[15].
[9] NZZ, 12.9.91. Siehe SPJ 1990, S. 100 f.
[10] Amtl. Bull. StR, 1991, S. 808 f.
[11] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1861 ff. Zur Geldmengenpolitik siehe unten, Teil I, 4b (Geld- und Währungspolitik). Zu den Massnahmen im Baubereich siehe unten, Teil I, 6c (Wohnungsbau).
[12] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1987.
[13] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2190 f.
[14] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2190 f.; TA und NQ, 30.11.91. Vgl. dazu auch unten, Teil I, 7a (Arbeitsmarkt).
[15] Eingabe: TA, 19.8.91. Interpellation: Amtl. Bull. StR, 1991, S. 822 f.
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