Année politique Suisse 1991 : Wirtschaft / Geld, Währung und Kredit / Banken
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Stempelsteuer
Der schweizerische Finanzmarkt hat in den letzten Jahren wesentlich an Attraktivität eingebüsst. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Deregulierungspolitik der meisten westeuropäischen Staaten. Dazu gehörte, namentlich in der EG, neben der Offnung der Finanzmärkte auch der Abbau von steuerlichen Belastungen auf Finanzmarktgeschäften. Um die Position der Schweiz wieder zu stärken hatte das Parlament im Vorjahr einer Revision des Stempelsteuergesetzes zugestimmt, welche wesentliche steuerliche Wettbewerbsnachteile des schweizerischen Marktes aufhob. Im Sinne eines politischen Kompromisses sollten freilich diese Beschlüsse nur im Rahmen einer gesamten Neuordnung der Bundesfinanzen Gültigkeit erlangen [21].
Die Ablehnung der Neuordnung der Bundesfinanzen in der Volksabstimmung vom 2. Juni hatte demnach zur Folge, dass auch die Revision des Stempelsteuergesetzes nicht in Kraft treten konnte. In der Kampagne zu dieser Abstimmung war die teilweise Aufhebung der Stempelsteuer auf Finanzgeschäften an sich nicht bekämpft worden. Dies hatte seinen Grund sicher auch darin, dass die SP als wichtigster potentieller Gegner der Stempelsteuerrevision das Finanzpaket als akzeptablen Kompromiss unterstützte. Eine Befragung nach dem Urnengang ergab, dass die Stempelsteuerreform für die Ablehnung keine Rolle gespielt hatte. Umstritten gewesen war hingegen, zumindest in der Kampagne, die zur Kompensation der erwarteten Einnahmenausfälle vorgesehene Besteuerung der Prämien von Lebensversicherungen [22].
Nur eine Woche nach dieser Abstimmung reichte Nationalrat Feigenwinter (cvp, BL), der dieses Anliegen bereits früher mit Nachdruck vertreten hatte, eine neue parlamentarische Initiative für eine Reform des Stempelsteuergesetzes ein. Die zuständige nationalrätliche Kommission war mit ihm einig, dass der Abbau gewisser Stempelsteuersätze dringlich sei, um ein weiteres Abwandern der davon betroffenen Geschäfte ins Ausland zu stoppen. Da es der Kommission überflüssig erschien, nach den jahrelangen Vorarbeiten noch zusätzliche Abklärungen vorzunehmen, kürzte sie das Verfahren ab und beschloss mit 13 zu 5 Stimmen, dem Parlament ohne Verzug und noch vor der Herbstsession mit einer eigenen parlamentarischen Initiative eine neue Vorlage zu unterbreiten. Diese entsprach — sowohl in bezug auf die Entlastungen als auch in bezug auf die teilweise Kompensation durch neue Abgaben auf inländischen Obligationen und Geldmarktpapieren — weitgehend den Parlamentsbeschlüssen von Ende 1990, enthielt aber noch drei weitere Änderungen. Die Kommission beantragte, der EG-Rechtsentwicklung Rechnung zu tragen und die Stempelabgaben auf Umstrukturierungen und Sitzverlegungen ebenfalls aufzuheben. Im weiteren soll durch die Abschaffung der Emissionssteuer bei der Ausgabe von Anteilen an Anlagefonds ein weiteres Abwandern von Anlagefonds ins Ausland (v.a. nach Luxemburg) verhindert werden. Die Einnahmen aus dieser Abgabe hatten sich, zu einem guten Teil wegen der Konkurrenz durch das steuerfreie Ausland, von 1987 bis 1990 halbiert. Schliesslich forderte die Kommission den Verzicht auf die von den Versicherungsgesellschaften bekämpfte Einführung der Stempelabgabe auf Prämien von Lebensversicherungen [23].
Der Bundesrat anerkannte in seiner Stellungnahme im Prinzip die Notwendigkeit eines Abbaus der Stempelabgaben. Von den über den Parlamentsbeschluss von 1990 hinausgehenden Anträgen akzeptierte er die Abschaffung der Emissionsabgabe auf Fondsanteilen. Die angespannte Lage der Bundesfinanzen bewog ihn aber, den Verzicht auf die Stempelsteuer bei Umstrukturierungen und Sitzverlegungen abzulehnen. Ebenfalls aus Sorge um den Bundeshaushalt beantragte er, zu erwartende Einnahmenausfälle nicht allein durch neue Finanzmarktsteuern für Inländer teilweise auszugleichen, sondern zur Kompensation auch das Versicherungsgeschäft beizuziehen [24].
Beide Ratskammern berieten und verabschiedeten die Gesetzesrevision noch in der Herbstsession. Die SP und die GP erklärten sich angesichts der drohenden Löcher in der Bundeskasse grundsätzlich nicht bereit, einem Abbau der Finanzmarktsteuern ohne vollständige Kompensation durch neue Einnahmen zuzustimmen. Gegen ihre Opposition setzten sich aber sämtliche Anträge der Kommissionsmehrheit durch. In der Detailberatung fand ebenfalls ein von der SP, der GP und einem Teil des LdU unterstützter Antrag des Freisinnigen Salvioni (TI) keine Gnade, die Reform erst nach der Verabschiedung von Massnahmen zur vollständigen Kompensation der erwarteten Einnahmenausfälle in Kraft treten zu lassen. Nachdem sich der Ständerat den Beschlüssen der Volkskammer angeschlossen hatte, hiess das Parlament die Revision in den Schlussabstimmungen mit 105:54 resp. 28:4 Stimmen gut [25].
Nach dieser parlamentarischen Niederlage beschloss die SP, gemeinsam mit dem Gewerkschaftsbund gegen diese Steuerreform das Referendum zu ergreifen [26].
 
[21] Vgl. SPJ 1990, S. 110 und 127 ff.
[22] Vgl. zur Abstimmung unten, Teil I, 5 (Bundesfinanzordnung). Zu den .Entscheidmotiven siehe Vox, Analyse der eidgenössischen Abstimmung vorn 2. Juni 1991, Zürich 1991, S. 19 ff.
[23] BBl, 1991, IV, S. 497 ff. Zur alten Vorlage siehe SPJ 1989, S. 102 f. und 1990, S. 110. Zur Abwanderung der Anlagefonds vgl. auch TA, 30.10.91.
[24] BBl, 1991, IV, S. 521 ff.
[25] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1717 ff. und 2040; Amtl. Bull. StR, 1991, S. 853 ff. und 923; BBl, 1991, IV, S. 1584 ff. Vgl. auch wf, Dok., 47, 18.11.91.
[26] Presse vom 7.10.91.