Année politique Suisse 1991 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft / Bodenrecht
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Dringliche Massnahmen im Bodenrecht
Bei Einführung seiner dringlichen Massnahmen im Bodenrecht sowie bei der Unterstellung der Hypothekarzinsen unter eine wettbewerbspolitische Kontrolle hatte der Bundesrat ein Anschlussprogramm in Aussicht gestellt und verschiedene Arbeitsgruppen mit der Überarbeitung des Bodenrechts, der Wohnungspolitik sowie einer Analyse des Hypothekarmarktes betraut. Gestützt auf deren Ergebnisse kündigten die Bundesräte Delamuraz und Koller an einer Pressekonferenz vom 16. September weitere gesetzliche Massnahmen auf den betreffenden Gebieten an.
Sofort angehen möchte der Bundesrat dabei die Massnahmen, welche in seinem eigenen Kompetenzbereich liegen. Dazu gehören die Erhebung der Baulandreserven, die Verwendung von Geldern der beruflichen Vorsorge für Wohneigentum sowie Bewertungsvorschriften für Grundstücke institutioneller Anleger. Darüber hinaus soll eine Vernehmlassung zur Änderung des Pfandbrief-, Anlagefonds-, Stempelsteuer- und Verrechnungssteuergesetzes stattfinden.
Neben dem Übergang zur Marktmiete, mit deren Prüfung eine Expertenkommission betraut wurde, sieht das bundesrätliche Konzept weitere Massnahmen im Bodenrecht vor. Angestrebt wird die Einführung eines unlimitierten Vorkaufsrechts für Mieter und eines Vorkaufsrechts für Gemeinwesen, die Veröffentlichung der Grundstückspreise bei Eigentumsübertragungen, die Offenlegung der Eigentumsverhältnisse an Immobiliengesellschaften sowie die Beibehaltung der Sperrfrist zur Veräusserung nichtlandwirtschaftlicher Grundstücke.
Mittelfristig — d.h. im Jahr 1993 — sollen nach dem Willen des Bundesrats vernehmlassungsreife Entwürfe zur Mehrwertabschöpfung, zum Erschliessungsrecht, zu den Erschliessungsbeiträgen zu Wohnanteilsplänen sowie zur Vereinfachung des Baubewilligungsverfahrens vorliegen. Für 1994 schliesslich sind Entwürfe für die Einführung eines Grundbuches als Bodeninformationssystem sowie ein Muster- und Modellerlass für das kantonale Bau- und Planungsrecht und das kantonale Fiskalrecht vorgesehen [13].
Von den Parteien und den betroffenen Interessengruppen wurden die Vorschläge des Bundesrates mit Zurückhaltung aufgenommen. Einstimmig begrüsst wurde von den Regierungsparteien einzig die Verwendung von Pensionskassengeldern zur Finanzierung von Wohneigentum. Dagegen beurteilte die SP den geplanten Übergang zur Marktmiete als "jenseits von gut und böse", währenddem die FDP und vor allem die SVP — unterstützt vom Hauseigentümerverband — mit der Einführung des Vorkaufsrechts für Mieter und Gemeinwesen Mühe bekundeten. Der Mieterverband anerkannte zwar die ernsthaften Anstrengungen des Bundesrates zu einer besseren Bodennutzung, vermisste jedoch Massnahmen zur Schaffung oder Erhaltung günstigen Wohnraums [14].
Unter Verweis auch auf die 1989 angenommenen drei dringlichen Bundesbeschlüsse erklärte der Ständerat im Sommer dieses Jahres eine Standesinitiative des Kantons Freiburg zur Bodenspekulation für abgeschrieben [15]. Jene Beschlüsse selbst sollten das Parlament im Verlaufe des Jahres allerdings noch mehrfach beschäftigen.
Zunächst legte der Bundesrat im Spätsommer eine Revisionsbotschaft zu den dringlichen Massnahmen vor, von welchen freilich nurmehr die Sperrfrist für die Weiterveräusserung nichtlandwirtschaftlicher Grundstücke sowie die Festlegung einer Pfandbelastungsgrenze von 80% zur Debatte standen. Die Beschränkung der Anlagemöglichkeiten für Pensionskassen war auf Veranlassung gleich dreier überwiesener Motionen — der Nationalratskommission, der freisinnigen sowie der liberalen Fraktion — bereits im März vom ihm selber wieder aufgehoben worden [16]. In ihrer Botschaft beantragte die Landesregierung beiden Kammern, die Dauer der Sperrfrist von fünf auf drei Jahre zu verkürzen [17]. Sie ging damit nicht auf die Forderung ihrer Kommission für Konjunkturfragen ein, beide verbliebenen Bundesbeschlüsse gänzlich aufzuheben, um dem von der Konjunkturflaute besonders betroffenen Baugewerbe bessere Rahmenbedingungen zu bieten [18].
Als erster stimmte der Nationalrat zu Beginn der Wintersession dem Vorschlag des Bundesrats zu. Der Antrag auf völlige Aufhebung der Sperrfrist scheiterte, freilich nur knapp, mit 99 gegen 90 Stimmen [19]. Genau dafür sprach sich jedoch unterdessen der Ständerat — auf Antrag seiner Kommission — aus, indem er den betreffenden Bundesbeschluss deutlich mit 27 gegen elf Stimmen aufhob. Das Gesuch auf Abschaffung auch des Beschlusses über die Pfandbelastungsgrenze wurde nach einer engagierten Intervention Bundesrat Kollers zwar wieder zurückgezogen, doch kündigte der Antragsteller Salvioni (fdp, TI) die Einreichung einer entsprechenden Motion an [20].
Eine Woche später bestätigte der Nationalrat das Urteil der kleinen Kammer: Mit 93 gegen 88 Stimmen hob er in einer Abstimmung unter Namensaufruf gegen den Antrag der Mehrheit seiner Kommission den Bundesbeschluss über die fünfjährige Sperrfrist für die Wiederveräusserung nichtlandwirtschaftlicher Grundstücke auf. Den Ausschlag für diese Kursänderung gab, neben mehreren Absenzen der früheren Befürworter, der Gesinnungswandel ausgerechnet zweier Vertreter derjenigen Partei, welche sich letztes Jahr noch öffentlich gegen eine "Hüst-undHott-Politik" im Bodenrecht gewehrt hatte [21].
Bei der zwei Tage später stattfindenden Schlussabstimmung waren dann allerdings die Befürworter der Sperrfrist wieder in der Mehrheit. Mit 87 zu 85 Stimmen wurde deren Abschaffung vom Nationalrat wieder aufgehoben. Ein Antrag der FDP, die Abstimmung zu wiederholen, setzte sich nicht durch. Somit blieb der seit 1989 geltende ursprüngliche Zustand weiter bestehen [22].
Bereits nächstes Jahr dürften die Räte jedoch Gelegenheit haben, die Materie wieder aufzunehmen. Noch vor Ende des Jahres gelangte nämlich Nationalrat Ducret (cvp, GE) in einem Schreiben mit der Forderung an den Bundesrat, dem Parlament den Beschluss über die Verkürzung der Sperrfrist von sich aus noch einmal vorzulegen [23].
Umstritten bleibt auch die Auslegung des betreffenden Bundesbeschlusses. Die nach einem Urteil des Bundesgerichtes in dieser Angelegenheit eingereichten Motionen der Nationalratskommission und V. Spoerrys (fdp, ZH) sowie eine ähnlich gerichtete Motion Ducret (cvp, GE) wurden vom Nationalrat mit deutlicher Mehrheit überwiesen [24].
 
[13] Presse vom 17.9.91. Zu den dringlichen Massnahmen siehe SPJ 1989, S. 158 ff. und 1990, S. 172 f. resp. 178 f. (Hypothekarmarkt).
[14] Presse vom 17.9.91. Vgl. auch den Kommentar in NZZ, 18.9.91.
[15] Amtl. Bull. StR, 1991, S. 734 f.
[16] AS, 1991, S. 918. Zu den Motionen vgl. Amtl. Bull. NR, 1991, S. 155 ff.
[17] BBl, 1991, IV, S. 449 ff.
[18] BaZ, 14.9.91.
[19] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2104 ff.
[20] Amtl. Bull. StR, 1991, S. 996 ff. und 1012 ff.
[21] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2349 ff.; vgl. die entsprechende Äusserung aus der CVP in SPJ 1990, S. 172.
[22] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2530; Amtl. Bull. StR, 1991, S. 1103.
[23] Bund, 24.12.91.
[24] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 163 ff.; vgl. SPJ 1990, S. 172.