Année politique Suisse 1991 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit
Arbeitszeit
1991 verringerte sich die betriebsübliche Arbeitszeit um 0,1 Stunden und betrug im Mittel 42,1 Stunden. In den sechs Jahren von 1985 bis 1991 sank sie gesamthaft um 1,3 Stunden. Dabei wiesen die verarbeitende Produktion, der Transport- und Kommunikationsbereich sowie die öffentliche Verwaltung mit 1,5 Stunden den höchsten Rückgang auf. Im Gegensatz dazu verzeichnete der Bereich Banken, Versicherungen, Immobilien und Beratung mit 0,9 Stunden die geringste Abnahme
[12].
Der Bundesrat beschloss, ab 1992
Pilotversuche mit flexiblen Arbeitszeitmodellen durchzuführen. Bundesbedienstete können demzufolge ihre Wochenarbeitszeit versuchsweise zwischen 40 und 44 Stunden frei wählen. Wer sich für eine Wochenarbeitszeit von über 42 Stunden entscheidet, kann pro Stunde Mehrarbeit jährlich fünf (aber höchstens zehn) Ausgleichstage beziehen. Wer wöchentlich weniger als 42 Stunden arbeiten will, muss mit einer entsprechenden Besoldungskürzung rechnen
[13].
Eine breite, geschlossene Front, bestehend aus gewerkschaftlichen, kirchlichen und frauenpolitischen Organisationen sagte weiterhin klar nein zum
Revisionsentwurf des Arbeitsgesetzes, zur Kündigung des Übereinkommens 89 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) (Verbot der Nachtarbeit für Frauen in der Industrie) und zum Ausbau jeglicher Nacht- und Sonntagsarbeit. Sie argumentierten damit, dass es nicht angehe, die Frauen, die ohnehin die Doppelbelastung von Beruf und Familie zu tragen hätten, zu benachteiligen, nur um die Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen. Eher, so ihre Auffassung, müsse die erwiesenermassen physisch und psychisch schädliche Nachtarbeit auch für Männer verboten werden
[14].
Dass diese Interessengruppen aber bereits auf recht verlorenem Posten standen, ging aus Äusserungen von Biga-Direktor Hug hervor, der eine Kündigung des Abkommens 89 nicht mehr ausschliessen mochte, sowie aus dem Umstand, dass die Arbeitgeberverbände immer vehementer die Aufhebung des Nachtarbeitsverbots für Frauen in industriellen Betrieben verlangten mit der Begründung, der Wirtschaftsstandort Schweiz werde sonst gefährdet. Auch der Bundesrat liess mehrfach durchblicken, dass für ihn eine Weiterführung des Abkommens ohne breite Ratifizierung des Zusatzprotokolls von 1990, welches weitreichende Ausnahmeregelungen erlaubt, kaum noch denkbar sei. Im Zeichen der Ausrichtung auf Europa wollte er zudem seine Haltung von einem Entscheid des
EG-Gerichtshofes abhängig machen. Dieser erfolgte im Laufe des Sommers und bezeichnete ein französisches Gesetz, das ein
Nachtarbeitsverbot für Frauen vorsah, als
unvereinbar mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter. In seiner Antwort auf die Interpellationen von zwei Mitgliedern der SP-Fraktion versprach Bundesrat Delamuraz aber, vor einer eventuellen Kündigung des Abkommens noch eine weitere Konsultationsrunde unter Einbezug von interessierten Frauenorganisationen durchzuführen
[15].
Dabei anerkannte der Bundesrat selber die gesundheitliche Mehrbelastung bei Nachtarbeit. In einer Revision des Arbeitszeitgesetzes beantragte er deshalb dem Parlament, allen Bediensteten im öffentlichen Verkehr die gleichen Zeitzuschläge für Nachtarbeit zuzugestehen wie sie 1990 bereits den PTT- und SBB-Angestellten gewährt worden waren. Die vorberatende Kommission des Ständerates beschloss mit klarem Mehr, die Vorlage an den Bundesrat zurückzuweisen mit dem Auftrag, die verschiedenen Revisionspunkte noch einmal mit den Personalverbänden auszuhandeln. Insbesondere soll der Bundesrat die Auswirkungen der bei den Regiebetrieben seit 1990 gültigen Regelungen abklären
[16].
[12] F. Revaz, "Anstieg der Reallöhne – Rückgang der betriebsüblichen Arbeitszeit 1991", in Die Volkswirtschaft, 65/1992, Nr. 5, S. 45 ff.; J.-C. Dubey, "Betriebsübliche Arbeitszeit in den Unternehmen nach Kantonen", in Die Volkswirtschaft, 65/1992, Nr. 6, S. 34 ff.
[13] NZZ, 28.6.91. Für die allgemeinen Arbeitsbedingungen der Bundesbeamten siehe oben, Teil I, 1c (Verwaltung).
[14] JdG, 16.4.91; TW, 30.4.91; TA, 17.5.91. Eine Petition gegen die Aufhebung des Nachtarbeitsverbots wurde anfangs Dezember mit nahezu 18 000 Unterschriften an den BR eingereicht (NZZ, 2.12.91).
[15] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1399 f. und 1650 ff.; siehe dazu auch Amtl. Bull. StR, 1991, S. 622 ff. (Interpellation Jaggi, sp, VD); Bund, 2.2.91; BaZ, 8.4.91; BZ, 16.4.91; Vat., 19.4. und 4.6.91; Presse vom 8.8.91 (EG-Gerichtsurteil); CdT, 16.10.91; VO, 14.11.91; NZZ, 2.12.91. Siehe auch SPJ 1990, S. 199 f.
[16] BBl, 1991, III, S. 1285 ff.; NZZ, 15.8. und 13.11.91.
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