Année politique Suisse 1991 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit
 
Löhne
In letzter Zeit hat sich der Trend verstärkt, wonach sich immer mehr Arbeitgeber weigern, den automatischen Teuerungsausgleich zu gewähren. Stattdessen sollen individuelle Lohnerhöhungen ausgehandelt werden, die von der Leistung des einzelnen Arbeitnehmers abhängig gemacht werden. Als Schrittmacher bei dieser neuen Lohnpolitik erwiesen sich die Banken sowie die Migros, der grösste private Arbeitgeber der Schweiz. Aber auch vor den öffentlichen Verwaltungen machte diese Entwicklung nicht Halt; so wurde für die Reallohnerhöhung des Bundespersonais erstmals eine Leistungskomponente eingeführt [17].
Nominal erhöhten sich die Löhne im Berichtsjahr um einen Mittelwert von 6,9%, wodurch der Reallohnverlust des Vorjahres (–0,5%) kompensiert wurde. Unter Einbezug der durchschnittlichen Teuerung von 5,9% ergab sich damit allerdings nur ein reales Lohnplus von 0,9%. Mit 7,4% stiegen die Frauenlöhne stärker an als jene der Männer (+6,7%) [18].
Da sich gegen Ende Sommer die Fortsetzung der anhaltend hohen Teuerung verbunden mit einer Konjunkturflaute abzeichnete, waren harte Lohnverhandlungen für 1992 angesagt. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) ging als erster in die Offensive und verlangte zumindest den vollen Teuerungsausgleich. Die Arbeitgeber konterten, dies würde viele Firmen in Schwierigkeiten bringen und somit die Arbeitslosigkeit fördern. Schliesslich wurde die Teuerung sehr unterschiedlich ausgeglichen. Trotz Kampfdrohungen der Gewerkschaften und Protesten der Betroffenen (siehe unten) gewährten einige Branchen und öffentliche Verwaltungen (so etwa in den Kantonen Bern, Genf und Schaffhausen) den Teuerungsausgleich nicht vollständig. Die gesamthaft positive Entwicklung der Reallöhne kam in erster Linie durch jene Branchen zustande, in denen laufende Gesamtarbeitsverträge (GAV) die Lohnindexierung sowie jährliche Erhöhungen der Reallöhne vorschreiben bzw. durch Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit kompensieren. Auch wurden überdurchschnittlich oft die in den GAV vorgesehenen Schlichtungsstellen angerufen. Ende Jahr zeigten sich aber sowohl Arbeitnehmer- wie Arbeitgeberverbände relativ zufrieden [19].
Eine breitangelegte Lohnerhebung des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeitnehmerverbandes (SMUV) ergab, dass in der schweizerischen Maschinen- und Uhrenindustrie fast die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weniger als 3500 Fr. im Monat verdienen. Zudem klaffen die Löhne von Frauen und Männern nach wie vor weit auseinander: Während der Monatslohn 1990 bei 88% der Frauen unter dem Durchschnitt lag, galt dies nur für 27% der Männer. Besonders betroffen von tiefen Löhne erwiesen sich Frauen mit mangelnder beruflicher Bildung. Eine Umfrage des Schweizerischen Kaufmännischen Verbandes (SKV) führte zu ähnlichen Ergebnissen: Frauen verdienen im kaufmännischen Bereich bis zu 30%, im Verkauf bis zu 36% weniger als ihre männlichen Kollegen – ungelernte Verkäuferinnen müssen sich vielerorts mit 2700 Fr. pro Monat begnügen [20].
 
[17] TW, 9.8.91; Suisse, 14.8.91; Presse vom 7.11.91; Ww, 21.11.91; NQ, 1.12.91; CdT, 3.12.91; AT, 9.12.91. Die Migros gewährte nur 3,7%Teuerungsausgleich und stellte weitere 2% für individuelle Lohnerhöhungen zur Verfügung; Coop dagegen glich die Teuerung mit 5,7% praktisch vollständig aus und sah für individuelle Lohnanpassungen nur 0,3% vor (Bund, 14.11.91; SGT, 19.11.91; TW, 25.11.91). Für das Bundespersonal siehe auch oben, Teil I, 1c (Verwaltung).
[18] Presse vom 9.1. und 8.6.91; TA, 15.6.91; Presse vom 13.7.91; Presse vom 10.1. und 25.3.92; F. Revaz, "Anstieg der Reallöhne – Rückgang der betriebsüblichen Arbeitszeit 1991", in Die Volkswirtschaft, 65/1991, Nr. 5, S. 45 ff.
[19] Presse vom 30.8., 5.9., 9.9., 10.9., 21.9., 13.11., 3.12., 24.12. und 28.12.91.
[20] SMUV: Presse vom 29.5.91; VO, 13.6.91. KVS: Presse vom 4.7.91. Auf das Gleichstellungsgesetz, mit welchem die Lohndiskriminierung der Frauen verringert werden soll, wird in Teil I, 7d (Frauen/Arbeitswelt) detaillierter eingegangen.