Année politique Suisse 1991 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport / Gesundheitspolitik
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Aids
1991 sind in der Schweiz 615 neue Fälle von Aids-Erkrankungen registriert worden, ein Drittel mehr als im Vorjahr. Immer häufiger sind auch Heterosexuelle von der Immunschwächekrankheit betroffen. Seit 1983, dem Beginn der Erfassung von Aids-Erkrankungen, starben 1378 Menschen an den Folgen der HIV-Infektion, davon allein 429 im Berichtsjahr. Aufgrund der gemeldeten positiven Bluttests und der angenommenen Dunkelziffer schätzte das BAG den Anteil der HIV-Positiven an der Gesamtbevölkerung auf zwei bis vier Promille, womit die Schweiz nach wie vor Spitzenreiter in Europa ist [17].
Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms "Die Gesundheit des Menschen in seiner heutigen Umwelt" (NFP 26) widmeten sich verschiedene interdisziplinäre Untersuchungen dem Ausmass, den Mechanismen und den Auswirkungen der gesellschaftlichen Ausgrenzung von HIV-Infizierten und Aids-Kranken. Fazit der Studien war, dass dieses Thema nur zusammen mit der wachsenden Intoleranz gegenüber den Randgruppen ganz allgemein angegangen werden kann [18]. Im November lief eine vom BAG und der Stiftung zur Förderung der Aidsforschung unterstützte Studie zur Frage an, ob bei HIV-Positiven. Ausbruch und Verlauf der Krankheit von virusunabhängigen Faktoren beeinflusst wird. Im Zentrum des Interesses stehen zusätzliche Faktoren, welche die Funktionsweise des Immunsystems beeinträchtigen können, wie etwa Stress, Konsum von Drogen oder Alkohol, mangelhafte Ernährung und Rauchen [19].
In Beantwortung einer Einfachen Anfrage Steffen (sd, ZH) bekräftigte der BR seine Auffassung, wonach restriktive Massnahmen gegen bestimmte Kategorien von einreisenden Ausländern (HIV-Screening, Einreisesperren) als ineffizient und diskriminierend einzustufen wären und deshalb für die Schweiz nicht in Frage kommen [20].
Zur Diskussion steht auch immer wieder die Stellung der HIV-Positiven und Aids-Kranken in den Sozialversicherungen. In seiner Stellungnahme zu einer Motion von Feiten (sp, BS) verwies der Bundesrat auf das im Vorjahr vom Eidgenössischen Versicherungsgericht gefällte Urteil, wonach eine HIV-Infektion als Krankheit im Rechtssinne zu bezeichnen sei. HIV-Positive würden demzufolge bei Vorbehalten oder der Verweigerung von Zusatzversicherungen nicht speziell diskriminiert, sondern lediglich wie andere Kranke behandelt. Er bekräftigte erneut seinen Wunsch nach einem Obligatorium in der Krankenversicherung, womit die Vorbehalte bei der Grundversicherung dahinfallen würden, und erinnerte daran, dass im BVG Mindestleistungen ohne Vorbehalt garantiert sind. Im überobligatorischen Bereich und bei den Zusatzversicherungen lehnte er spezifische Ausnahmen für HIV-Positive und Aids-Kranke hingegen ab, da dies nach seiner Auffassung eher noch zu einer weiteren Ausgrenzung der von Aids Betroffenen führen könnte. Auf seinen Antrag hin wurde die Motion nur als Postulat angenommen [21].
Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) und sein Blutspendedienst übernahmen die Mitverantwortung für die rund 200 bis 300 Bluter und Transfusionsempfänger, die durch HIV-verseuchte Blutkonserven mit dem Virus angesteckt worden sind. Zusätzlich zum bestehenden Notfall-Fonds wurden Rückstellungen von 1 Mio Fr. für Aids-Betroffene getätigt. Das SRK betonte, dass sich in der Schweiz im Vergleich zum Ausland bedeutend weniger HIV-Infektionen auf diesem Weg ereignet hätten. Ein Grossteil der Infizierungen sei vor Mitte 1985 erfolgt, zu einem Zeitpunkt also, da noch keine Möglichkeit bestand, sämtliche Blutspenden auf eine eventuelle HIV-Positivität hin zu kontrollieren [22].
Die Stop-Aids-Kampagnen des BAG zeigen Wirkung: Der Gebrauch von Präservativen ist seit 1987 sprunghaft angestiegen; zudem verzichten offenbar immer mehr Jugendliche auf häufigen Partnerwechsel. Zu diesem Schluss kam der dritte Evaluationsbericht über die Wirksamkeit der getroffenen Massnahmen. Mit Genugtuung vermerkte der Bericht zudem, dass die wichtigsten Übertragungswege des HI-Virus (Sexualkontakte und Spritzentausch) in der ganzen Bevölkerung gut bekannt sind. Was die Drogenabhängigen betrifft, so scheinen sie von der gefährlichen Mehrfachverwendung gebrauchter Spritzen abzusehen, sofern entsprechendes sauberes Material zugänglich ist. Die Gesundheitsbehörden erachteten deshalb die freie Spritzenabgabe an Drogensüchtige für nötiger denn je [23].
Zur besseren Aufklärung der bei uns lebenden Ausländer legten die Eidgenössische Kommission für Ausländerfragen (EKA) und das BAG gemeinsam eine neue Aids-Informationsbroschüre in 14 Sprachen auf, um möglichst vielen fremdsprachigen Bevölkerungsgruppen die grundlegenden Kenntnisse zur Aids-Prävention in ihrer Muttersprache näherzubringen. Zudem lancierte das BAG zusammen mit der Aids-Hilfe Schweiz (AHS) drei auf die jeweiligen kulturellen und religiösen Bedürfnisse abgestimmte Kampagnen zur gezielten Information der türkischen, spanischen und portugiesischen Bevölkerungsgruppen in unserem Land [24].
Von den rund 3500 Frauen und Männern, die durchschnittlich die Schweizer Strafanstalten belegen, sind zwischen 10% und 15% HIV-positiv. Wie aus einer Studie des BAG hervorging, sind die Strafgefangenen aber über Aids nur ungenügend informiert. Das BAG rügte, dem Ansteckungsrisiko über gebrauchte Spritzen, die in Haftanstalten erwiesenermassen zirkulierten, werde zu wenig Rechnung getragen und die Häftlinge würden kaum zum Thema "safer sex" aufgeklärt [25].
 
[17] Bulletin des BAG, 1992, S. 18 ff.; Presse vom 29.1.92. Eine Motion Günter (]du, BE) zur systematischen Erfassung von Aids bei Rekruten wurde in der Wintersession abgeschrieben, da der Urheber aus dem Rat ausgeschieden war (Verhandl. B.vers., 1991, VI, S. 78).
[18] NZZ, 10.10.91; Suisse, 1.12.91.
[19] Bund, 19.6.92.
[20] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1422 f.
[21] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2478 ff. (die Motion war ursprünglich von Longet (sp, GE) eingereicht worden); Presse vom 24.5.91; LNN, 15.6.91. Vgl. SPJ 1990, S. 208.
[22] Presse vom 25.11.91. Für das Restrisiko, das bei Bluttransfusionen immer noch besteht, siehe Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2186 und 2282.
[23] Dritter Evaluationsbericht der Aids-Präventionsstrategie in der Schweiz 1989/90, Bern 1991; Bulletin des BAG, S. 261 ff.; Presse vom 7.5.91. Das BAG unterstützte ein dreimonatiges Pilotprojekt im Kanton St. Gallen, wo in den ländlichen Gebieten versuchsweise sauberes Spritzenmaterial in Apotheken und Drogerien, bei Amten sowie in einzelnen Kiosken und Zigarettenautomaten abgegeben wurde (LNN, 8.8.91).
[24] NZZ, 5.4. und 30.10.91.
[25] Lit. Harding e.a.; Bulletin des BAG, 1991, S. 10 ff.; BüZ und Suisse, 23.1.91 ; Aids lnfolhek, 1991, Nr. 3, S. 1 ff. und 20 ff.