Année politique Suisse 1991 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen / Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV)
Für den Vorsteher des federführenden Departements des Innern, Bundespräsident Cotti, wurde die
ständerätliche Eintretensdebatte zur 10. AHV-Revision zu einer wahren Zitterpartie. Die Mehrheit der vorberatenden Kommission beantragte dem Rat zwar Eintreten, doch verlangten sowohl eine sozialdemokratische Kommissionsminderheit (Bührer/SH und Miville/BS) wie auch der Freisinnige Schoch (AR) Rückweisung an den Bundesrat; Jagmetti (fdp, ZH) wollte die Vorlage zur Überarbeitung an die Kommission zurückgeben. Alle diese Antragsteller stiessen sich daran, dass die
10. AHV-Revision der Gleichstellung der Geschlechter nicht Rechnung trägt. Während aber der Antrag Bührer/Miville das Rentensplitting ohne Schlechterstellung der Frauen beim Rentenalter wollte, tendierten die beiden freisinnigen Anträge auf eine Angleichung des Rentenalters zuungunsten der Frauen. Nur dank der geschlossenen Front der CVP-Abgeordneten, welche zwar vereinzelt auch Kritik am mangelnden Mut des Bundesrates übten, die aber ihren Regierungsvertreter offenbar nicht durch eine Rückweisung brüskieren wollten, wurde schliesslich Eintreten beschlossen. Hauptargument Cottis war, dass bei Nichteintreten die Verbesserungen für die weniger begüterten Rentner weiter auf sich warten lassen müssten. Nach dieser recht emotional geführten Grundsatzdebatte schien es, als würden die Kritiker in der kleinen Kammer resignieren. In der Detailberatung verabschiedete der Ständerat die bundesrätliche Vorlage mit einigen unbedeutenden Änderungsvorschlägen. Insbesondere hielt er — entgegen anderslautenden Anträgen — an dem vom Bundesrat vorgeschlagenen ungleichen Rentenalter (65/62) für Männer und Frauen und an der gemeinsamen Ehepaarrente fest
[9].
Das Unbehagen an der
erneut ausgeklammerten Gleichstellung der Geschlechter veranlasste die Ständeräte Küchler (cvp, 0W) und Schoch (fdp, AR) zur Einreichung von zwei Motionen, welche beide die unverzügliche Ausarbeitung einer 11. AHV-Revision verlangten. Während die Motion Küchler sehr allgemein gehalten war, forderte die Motion Schoch als Preis für
Rentensplitting und Betreuungsgutschriften auch die Gleichstellung der Geschlechter beim Rentenalter durch die Heraufsetzung des Pensionierungsalters der Frauen auf 65 Jahre. Dieser Punkt war es denn auch, der in der Herbstsession zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen der Schaffhauser SP-Ständerätin Bührer und dem Motionär führte. Beide Motionen wurden schliesslich als Postulat überwiesen
[10].
Nachdem bereits im Frühjahr die meisten Parteien wenig Begeisterung für Cottis Revisionsvorschläge signalisiert hatten, scherte die
vorberatende Kommission des Nationalrates — die aufgestockte Kommission für soziale Sicherheit unter dem Zürcher Freisinnigen Allenspach — dann definitiv aus und beschloss, die Einführung einer zivilstandsunabhängigen Rente ohne Verzug einlässlich zu prüfen. Sie unterbrach deshalb ihre Beratungen und beauftragte das BSV, bis im Herbst einen Zusatzbericht zu den verschiedenen Splitting-Modellen vorzulegen. Obgleich das BSV in diesem Bericht die Ansicht vertrat, das Splitting würde zu massiven Einkommenseinbussen für Rentner mit ehemals mittleren Einkommen führen, bildete die Kommission im September einen Ausschuss mit dem Auftrag, innerhalb von sechs Monaten ein konsensfähiges Splitting-Modell mit Betreuungsgutschriften auszuarbeiten. Die Arbeitsgruppe kann sich dabei, neben dem Bericht des BSV, auf die bereits vorliegenden Modelle von SP und Gewerkschaften, der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen, einer Arbeitsgruppe der FDP sowie auf Vorschläge der Nationalrätinnen Haller (sp, BE) und Nabholz (fdp, ZH) abstützen
[11].
Bei der Behandlung der Revision von Art. 33ter des AHV-Gesetzes (s. unten) wurden im Nationalrat in letzter Minute mehrere Anträge eingebracht mit dem Ziel, die 10. AHV-Revision aufzuspalten und die kaum bestrittenen Punkte (Rentenformel und Hilflosenentschädigung sowie die — allerdings kontroverser beurteilte — Frage der Besserstellung der geschiedenen Frauen) vorwegzunehmen, damit diese termingemäss auf den 1.1.1992 in Kraft treten könnten. Die Frage des Systemwechsels sollte dann gesondert angegangen werden. Dieses Vorprellen wurde vom Rat wenig goutiert und — wenige Wochen vor den Erneuerungswahlen — als wahltaktisches Manöver qualifiziert. Die grosse Kammer stimmte denn auch mit deutlichem Mehr einem Ordnungsantrag auf Nichteintreten zu und überwies die Anträge der vorberatenden Kommission
[12].
[9] Amtl. Bull. StR, 1991, S. 232 ff. Die Vorlage war bereits in den Kommissionsberatungen sehr umstritten: NZZ, 2.2.91; Presse vom 18.3.91. Siehe auch SPJ 1990, S. 220 f.
[10] Amtl. Bull. StR, 1991, S. 779 ff.
[11]Presse vom 1.5. und 2.5.91; Bund, 2.9.91; SZ, 3.9.91; Presse vorn 11.9.91; SoZ, 15.9.91; BZ, 21.9.91; Frauenfragen, 14/1991, Nr. 2, S. 99 und Nr. 3, S. 64. Siehe auch SPJ 1990, S. 220 f.
[12] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1536 ff.; Presse vom 19.9. und 20.9.91; TA, 28.9.91. In der vorberatenden Kommission war der Antrag auf eine zweistufige Behandlung der Vorlage nur ganz knapp abgelehnt worden (Bund, 1.5.91).
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