Année politique Suisse 1991 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Ausländerpolitik
Die
Gewalt gegen Asylsuchende hat in den letzten vier Jahren massiv zugenommen. Von 1989 bis 1991 registrierte die Bundesanwaltschaft über 200 fremdenfeindliche oder vermutlich xenophob motivierte Gewalttaten, 90 allein 1991. Dabei handelte es sich in erster Linie um Übergriffe auf Asylunterkünfte (fast die Hälfte der Fälle). Die meisten von ihnen blieben unaufgeklärt. Aber auch dort, wo es zu keiner direkten Gewaltanwendung kommt, fühlen sich die Asylsuchenden und ihre Betreuer in zunehmendem Mass verängstigt und bedroht
[9].
Nach einer Serie von
Anschlägen auf Asylbewerberunterkünfte verurteilte der Vorsteher des EJPD im Namen des Bundesrates diese kriminellen Handlungen und erklärte, dass er mit grosser Sorge die zunehmende Gewalt gegen Asylbewerber verfolge. Da er aber gleichzeitig erklärte, Verständnis für das Unbehagen zu haben, das die zunehmende Immigration in der Bevölkerung auslöse, musste er sich – wie viele andere Behördenmitglieder und Politiker – vorwerfen lassen, mit der immer wieder praktizierten Unterscheidung zwischen "echten" und "unechten" Flüchtlingen und der Schaffung des Begriffs der "Wirtschaftsflüchtlinge" Öl ins Feuer zu giessen und so bei aller humanitärer Beteuerungen mitverantwortlich für den zunehmenden Fremdenhass zu sein
[10].
Trotz steigender Fremdenfeindlichkeit kam die von einer Splittergruppe der SD lancierte
Volksinitiative "gegen die Masseneinwanderung von Ausländern und Asylanten" nicht zustande. Den Hauptgrund sahen die Initianten in der abwartenden bis ablehnenden Haltung ihrer Partei, welche anfangs Jahr eine eigene Volksinitiative "für eine vernünftige Asylpolitik" lancierte
[11].
Die
SVP des Kantons Zürichs beschloss ebenfalls, eine
eidgenössische Volksinitiative gegen die illegale Einwanderung zu lancieren. Danach soll auf Asylgesuche von illegal Eingereisten – zur Zeit rund 90% – nicht eingetreten werden; Asylbewerber sollen zudem kein Geld mehr in ihre Heimat schicken dürfen. Der Vorstoss wurde damit begründet, dass Bundesrat und Parlament offensichtlich nicht im Stande seien, gegen den zunehmenden Asylmissbrauch einzuschreiten. Die Zürcher brachten damit die nationale Partei in Zugzwang; anfangs November kündigte der SVP-Zentralvorstand an, er werde der Delegiertenversammlung vom Januar 1992 eine modifizierte, für alle Kantonalsektionen akzeptable Initiative vorlegen
[12].
Unterschiedlicher Erfolg war einer
Anti-Rassismus-Kampagne der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV) beschieden. Während die unter dem Motto "Gib dem Rassismus keine Chance" durchgeführten Anlässe auf reges Interesse stiessen, harzte es bei der Unterschriftensammlung für eine entsprechende Petition. Die Eidgenössische Kommission für Jugendfragen (EKJ), welche in ihrem ersten Teilbericht zur Situation der Jugendlichen in der Schweiz unter anderem den Rassismus untersuchte, kam zum Schluss, dass für verunsicherte Jugendliche das rechtsextreme Angebot mit seinen einfachen Erklärungen politischer Vorgänge sehr attraktiv sein kann. Die Vermittlung negativ formulierter Werte (Antirassismus) genügt hier nach Ansicht der EKJ nicht mehr, nötig wären neben verbesserter Information vielmehr positive Ansätze, so etwa der alltägliche Umgang mit Demokratie, gelebter Solidarität und Toleranz. Die EKJ regte deshalb die Durchführung einer Rassismuspräventionskampagne an, die ähnlich breit angelegt sein müsste wie jene zum Thema Aids
[13].
Für allgemeine Fragen des Rassismus und die Verzögerungen bei der Ausarbeitung des Extremismusberichts sowie einer neuen Strafnorm gegen rassistisches und fremdenfeindliches Verhalten siehe oben, Teil I, 1b (Grundrechte).
[9] LNN, 28.12.91; Presse vom 24.3.92. Für mögliche Ursachen von Fremdenhass siehe Lit. Mäder; BZ, 13.8.91; LNN, 14.8.91.
[10] Ww, 15.8.91; Presse vom 16.8.91; LNN, 6.9.91. CVP und SP beschuldigten in erster Linie die SVP, sich zu wenig von fremdenfeindlichen Parteien – und ihrer eigenen Zürcher Sektion – abzugrenzen und mit ihrer ambivalenten Haltung mitzuhelfen, den Fremdenhass zu schüren (Bund und LNN, 9.8.91).
[11] BBl, 1991, III, S. 1227; Presse vom 12.I.91; SPJ 1990, S. 231 f.
[12] Presse vom 11.10.91 ; LNN, 4.11.91. V.a. die Bündner SVP distanzierte sich von der Initiative ihrer Zürcher Parteikollegen (BüZ, 19.12.91). Die Zürcher Kantonalpartei hatte bereits im Juni dem BR eine Petition mit rund 100 000 Unterschrift übergeben, in welcher sie härteres Vorgehen gegen "unechte" Flüchtlinge und eine Kontingentsregelung verlangte (Presse vom 4.6.91).
[13] Lit. Eidg. Kommission; Bund, 7.8.91; Presse vorn 17.12.91.
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