Année politique Suisse 1991 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Stellung der Frau
print
Arbeitswelt
In der Schweiz gehen rund 70% der Frauen zwischen 15 und 62 Jahren einer bezahlten Arbeit nach. Dies war das unerwartete Ergebnis einer Arbeitskräfteerhebung, bei welcher das Bundesamt für Statistik (BfS) erstmals eine international gültige Definition der Erwerbstätigkeit anwandte, die weiter gefasst ist als bisher. Der Studie zufolge sind die Frauen in der Schweiz häufiger erwerbstätig als in den vier grossen Nachbarländern. Allerdings gehen sie auch mehr einer Teilzeitarbeit nach. Schätzungsweise 400 000 oder 53% der weiblichen Erwerbstätigen arbeiten weniger als 100% [56].
Nachdem der Bundesrat vom 1988 vorgelegten Bericht einer Arbeitsgruppe "Lohngleichheit" Kenntnis genommen hatte, beauftragte er das EJPD, Vorschläge zur Konkretisierung der dort gemachten Empfehlungen auszuarbeiten. Das Departement präsentierte anfangs Jahr zwei Varianten, einerseits ein 15 Artikel umfassendes eigentliches Gleichstellungsgesetz und andererseits Vorgaben für die Teilrevision bestehender Gesetze. Wie Bundesrat Koller bei der Pressekonferenz ausführte, sind die beiden Varianten inhaltlich praktisch identisch und unterscheiden sich nur in gesetzestechnischer Hinsicht. Hauptpunkte sind die Umkehr der Beweislast, wonach eine Arbeitnehmerin eine Lohndiskriminierung nur glaubhaft machen und der Arbeitgeber dann beweisen muss, dass er das Recht auf gleichen Lohn respektiert, ein Verbandsklagerecht, welches es Interessenorganisationen ermöglichen soll, auch unabhängig von der betroffenen Frau als Klägerin aufzutreten, sowie die Schaffung von kantonalen Schlichtungsstellen. Erst provisorisch in den Entwurf aufgenommen wurden ein Diskriminierungsverbot und Bestimmungen zum Kündigungsschutz, da der Bundesrat noch die Resultate einer Studie zu den wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Massnahmen abwarten wollte. Beide Varianten sehen zudem eine vermehrte Frauenförderung sowie eine Stärkung des eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann vor [57].
In der Vernehmlassung meldeten nur gerade die Arbeitgeberorganisationen, die Liberale Partei und die Kantone Appenzell-Innerrhoden, Waadt und Zug grundsätzlichen Widerstand an. Aufgrund des überwiegend positiven Echos zu einem eigentlichen Gleichstellungsgesetz erteilte der Bundesrat dem EJPD den Auftrag, dieses im Detail auszuarbeiten [58].
Seine Zustimmung zu einem der Hauptpunkte des geplanten Gleichstellungsgesetzes nahm der Nationalrat bereits vorweg indem er einer parlamentarischen Initiative Nabholz (fdp, ZH) praktisch diskussionslos Folge gab, welche eine Revision des Obligationenrechts im Sinn der Beweislastumkehr verlangte [59].
Einen Sieg im Kampf für die Lohngleichheit erzielten 22 Gewerkschafterinnen der Gewerkschaft Druck und Papier (GDP). Das Berner Obergericht hiess ihre Klage gegen die eigene Gewerkschaft vollumfänglich gut und erklärte den im Januar 1990 abgeschlossen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für ungültig. Die Gewerkschafterinnen hatten den zwischen der GDP und dem Arbeitgeberverband der Buchbindereien der Schweiz ausgehandelten GAV angefochten, weil er für die Hilfsarbeiterinnen einen Mindestlohn von nur 2200 Fr. vorsah, während für die Hilfsarbeiter ein solcher von 2680 Fr. festgelegt wurde. Die Lohngleichheit für die Frauen hätte laut GAV erst 1998 erreicht werden sollen [60].
Im Dezember erliess der Bundesrat eine "Weisung über die Verbesserung der Vertretung und der Stellung des weiblichen Personals in der allgemeinen Bundesverwaltung". Darin wird insbesondere festgehalten, dass bei gleichwertigen Bewerbungen Frauen solange Männern vorzuziehen sind, bis innerhalb einer grösseren Verwaltungseinheit (Bundesamt oder Abteilung) ein paritätisches Verhältnis der Geschlechter erreicht ist [61]. Mit der Brevetierung von 13 Beamtinnen des eidgenössischen Grenzwachtkorps fiel die letzte Männerbastion in der Bundesverwaltung. Nun können sich Frauen für alle Stellen in der Bundesverwaltung und den Regiebetrieben bewerben [62].
Unter dem Motto "Berufe haben kein Geschlecht" starteten das eidgenössische Gleichstellungsbüro zusammen mit den kantonalen und kommunalen Büros eine Kampagne, um junge Frauen zu motivieren, für sie bisher untypische Berufe zu ergreifen. Das Berufsspektrum der Mädchen ist immernoch viel enger als jenes der Jungen. Laut Bundesamt für Statistik wurden 1989/90 von 260 Berufslehren 29 ausschliesslich von Frauen gewählt und 64 ausschliesslich von Männern. In weiteren 50 Berufen betrug der Frauenanteil bloss 10% und in 15 anderen Berufen lag jener der Männer unter 10%. Insgesamt absolvierten mehr als die Hälfte der Männer eine vierjährige Berufslehre aber weniger als ein Zehntel der Frauen [63].
Auf die frauenspezifischen Probleme im Bildungssektor wird an anderer Stelle eingegangen (unten, Teil I, 8a), ebenso auf die geplante Aufhebung des Nachtarbeitsverbotes für Frauen in der Industrie (oben, Teil I, 7a, Arbeitszeit).
 
[56] Presse vom 7.12.91.
[57] Presse vom 17.1.91. Die vom BR in Auftrag gegebene Studie ergab, dass höhere Frauenlöhne aus wirtschaftlicher Sicht eine vorwiegend positive Wirkung hätten (Lit. Littmann-Wernli). Zu einer Untersuchung des Institutes für Arbeitspsychologie der ETH Zürich über die Ungleichheit der Löhne siehe Bund, 10.6.91.
[58] Bund, 27.2.92; Presse vom 15.6.91; TA, 25.7.91; NZZ, 30.7.91; Vat. 21.8.91; Plädoyer, 9/1991, Nr. 5, S. 38 ff.
[59] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 553 ff.; SPJ 1990, S. 244.
[60] TA, 7.2. (Lohngleichheitsklagen allgemein) und 12.2.91 (Klage im Kanton SG); BZ, 14.2.91 (Berner Arbeitslehrerinnen); Presse vom 27.2.91 (GDP-Frauen); LNN, 3.6.91 (Urteile Bundesgericht); TA, 15.11.91 (Zürcher Krankenschwestern); 24 Heures, 20.11.91; Baz, 5.12.91 (Klage gegen Migros). Zu den GDP-Frauen siehe auch M. Meyer, "GDP – Frauen gewinnen Lohngleichheitsprozess", in Emanzipation, 1991, Nr. 3, S. 10 f.; Plädoyer, 9/1991, Nr. 4, S. 65.
[61] BBl 1992, II, S. 604 ff. Bundespräsident Cotti war bereits anfangs Jahr mit gutem Beispiel vorangegangen und hatte für sein Departement eine Quotenregel bei der Personalauswahl eingeführt, mit welcher sowohl Frauen wie sprachliche Minderheiten gefördert werden sollen (JdG und NZZ, 26.1.91).
[62] SGT, 2.2.91.
[63] Frauenfragen, 14/1991, Nr. 3, S. 63; Presse vom 23.8.91. Für die Arbeit der bestehenden Gleichstellungsbüros siehe Presse vom 22.3.91. Für die Einrichtung neuer kantonaler oder kommunaler Büros oder Kommissionen vgl. jeweils die "Chronik der laufenden Ereignisse" in Frauenfragen.