Année politique Suisse 1991 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Familienpolitik
Im April kündigte der Bundesrat an, dass er die UNO-
Konvention über die Rechte der Kinder unterzeichnen werde. Bestehenden Unstimmigkeiten zur schweizerischen Rechtsordnung — beispielsweise in Zusammenhang mit dem fehlenden Recht auf Familiennachzug für bestimmte Ausländerkategorien — möchte er mit einem Vorbehalt begegnen
[69]. Die Regierung bekräftigte damit ihre Stellungnahme zu einer Motion Longet (sp, GE), welche den Bundesrat aufforderte, den Räten die Ratifizierung der UNO-Konvention zu beantragen und gleichzeitig die nötigen Anpassungen des Landesrechts vorzulegen. Bei dieser Gelegenheit erklärte der Bundesrat, dass er dieses Übereinkommen den Räten erst nach Vorliegen der Botschaften zu den internationalen Abkommen über die Menschenrechte und die Rassendiskriminierung unterbreiten werde. Da die Motion im Rat bekämpft wurde, musste die Diskussion verschoben werden
[70].
In der Herbstsession zeigte sich der Nationalrat aber bereit, in dieser Frage eine härtere Gangart einzuschlagen. Gemäss dem Antrag der Petitions- und Gewährleistungskommission zeigte er zwar wenig Neigung, einer parlamentarischen Initiative Spielmann (pda, GE), welche eine vorbehaltlose Unterzeichnung der Konvention verlangt hatte, Folge zu geben, verabschiedete aber eine entsprechende Kommissionsmotion. Gleichzeitig überwies er eine analoge Petition der Schweizer Kirchen zur Kenntnisnahme an den Bundesrat
[71].
In einem überwiesenen Postulat nahm Nationalrätin Fankhauser (sp, BL) das gesellschaftliche Tabu der
sexuellen Ausbeutung von Kindern auf. Sie erinnerte daran, dass gemäss ernstzunehmenden Quellen in der Schweiz jährlich 40 000 bis 45 000 Kinder sexuell missbraucht werden, wobei der Täter in sehr vielen Fällen im unmittelbaren Umfeld des Kindes zu finden ist. Sie verlangte deshalb eine öffentliche Enttabuisierung des Themas sowie Hilfestellung für die Opfer und deren Familien
[72].
[69] NZZ, 13.4.91. Mit der Broschüre "Versteckt und alleingelassen" machten das Schweizerische Komitee für Unicef, die Pro Juventute, die Pro Familia und der Schweizerische Kinderschutzbund auf die Situation der versteckten Saisonnier-Kinder aufmerksam und verlangten, dass die Schweiz im Rechtskonflikt zwischen dem universalen Recht auf Bildung und Familienleben und dem nationalen Unrecht des illegalen Aufenthalts eine Lösung suchen müsse (Lit. Müller; Presse vom 10.5. und 3.10.91; Bund, 24.3.92). Siehe auch oben, Ausländer/Zulassungspolitik.
[70] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 750 f. Siehe dazu auch SPJ 1989, S. 223 und 1990, S. 244 f.
[71] NR Spielmann zog seine Initiative schliesslich zurück, so dass es darüber zu keiner Abstimmung kam (Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1931 ff.). Der StR nahm die Petition ebenfalls an, behandelte die NR-Motion aber noch nicht (Amtl. Bull. StR, 1991, S. 1099 f.). Noch nicht traktandiert wurde auch eine Standesinitiative des Kantons Jura (Verhandl. B. vers., 1991, VI, S. 20).
[72] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1349; SGT, 11.3.91; Express, 25.4.91; Ww, 30.5.91. Im November lancierten rund 30 Hilfswerke und weitere Organisationen aus den Bereichen Entwicklungspolitik, Kinderschutz und Kirche eine Kampagne gegen die weltweite sexuelle Ausbeutung von Kindern, wie sie sich am spektakulärsten mit der Kinderprostitution in der dritten Welt manifestiert (Presse vom 5.11.91).
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