Année politique Suisse 1991 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Jugendliche
Zum 700-Jahr-Jubiläum der Eidgenossenschaft setzten die Schweizer Stimmberechtigten ein Zeichen für die aktive Beteiligung der Jugend an der Demokratie und hiessen mit deutlichem Mehr die Herabsetzung des Stimm- und Wahlrechtsalters auf 18 Jahre gut [73].
Dass das Interesse der Schweizer Jugend am politischen Geschehen nur noch sehr bedingt vorhanden ist, zeigten allerdings die Ergebnisse einer Umfrage unter 829 repräsentativ ausgewählten Deutschschweizer Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren. Während 1980 noch 38% der befragten Jugendlichen erklärt hatten, politisch ziemlich interessiert zu sein, waren es 1991 nur noch 21 %. Einzig gewisse Sachthemen (Umwelt, Drogen, Jugend) scheinen die Jugendlichen noch anzusprechen. Zwei Drittel der Befragten bezweifelten zudem, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz die Politik wirklich beeinflussen können. Mehr politische Macht schrieben sie den Medien, den Parteien, der Wirtschaft und dem Militär zu [74].
Jene Jugendliche, die sich noch für Politik interessieren, tun es aber oft mit vollem Engagement. So etwa jene rund 150, die sich Ende September auf Einladung der Solothurner Jungparteien in Grenchen zum ersten schweizerischen "Polittreffen" einfanden, um gemeinsam über Sprach- und Parteigrenzen hinweg in fünf Workshops Visionen und Perspektiven für die Zukunft der Schweiz zu entwickeln [75]. Höhepunkt der politischen Beteiligung der Jugend am schweizerischen Staatsgeschehen war aber zweifellos die von der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV) organisierte "Jugendsession 1991", in der am 25. September 246 Jugendliche im Saal des Nationalrates die für gewöhnlich dort tagenden Parlamentarier und Parlamentarierinnen auf die Zuschauertribünen verwiesen. Die Jugendlichen debattierten die Themen "Abfall", "Schweiz in der Welt" und "Zivildienst". Zum Abschluss forderten sie in einer Petition die Schaffung einer dauernden Institution, um sicherzustellen, dass die an der Jugendsession gemachten Vorschläge und Forderungen auch nach dem Jubiläumsjahr direkt in das politische Leben im Bundeshaus einfliessen werden [76].
Von der heutigen Verunsicherung im Zusammenleben sind die Jugendlichen ganz besonders betroffen. Ein erster Teilbericht der Eidgenössischen Kommission für Jugendfragen (EKJ) zur Situation der Jugendlichen in der Schweiz zeigte dies an den Problemen Wohnen, Rassismus, Geschlechterrollenverteilung und Aids. Zwei weitere Teilberichte zu den Themen Bildung und Freizeit sowie ein Schlussbericht sollen bis im Frühjahr 1992 erscheinen. Ziel der Arbeit ist es, das Sensorium allgemein und vorab der politischen Behörden für die Anliegen der Jugend neu zu schärfen [77].
Der Ständerat verabschiedete eine Motion des Nationalrates für eine Revision des Zivilgesetzbuches mit dem Ziel einer Herabsetzung des Mündigkeit- und Ehemündigkeitsalters auf 18 Jahre [78].
Gegen das revidierte Sexualstrafrecht, welches das Schutzalter senken und die "Jugendliebe" unter gewissen Bedingungen zulassen will, wurde von der EDU und dem Verein "Ja zum Leben" erfolgreich das Referendum ergriffen [79].
 
[73] Presse vom 4.3.91. Vgl. oben, Teil I, 1b (Stimmrecht).
[74] NZZ, 30.10.91.
[75] Baz, 15.8.91; SZ, 16.8.91; Presse vom 23.9.91.
[76] Amtl. Bull. der Bundesversammlung, Jubiläumssessionen 1991, S. 65 ff.; Bund, 18.1.91; Presse vom 19.6.91; NZZ, 12.9.91; Presse vom 26.9.91. Für das europäische Jugendtreffen, welches aus Anlass der Jubiläumsfeierlichkeiten der Eidgenossenschaft im Engadin stattfand, siehe oben, Teil I, 1a (700-Jahr-Feier).
[77] Lit. Eidgenössische Kommission; Presse vom 17.12.91. Zum aufkommenden Rassismus unter einem Teil der Jugendlichen siehe oben, Fremdenfeindlichkeit.
[78] Amtl. Bull. StR, 1991, S. 301 f. Siehe dazu oben, Teil I, 1b (Privatrecht).
[79] Presse vom 1.10.91. Siehe dazu oben, Teil I, 1b (Strafrecht).