Année politique Suisse 1992 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport / Suchtmittel
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Tabak und Alkohol
Der Bundesrat beantragte dem Parlament die Ablehnung der "Zwillingsinitiativen" zur Verminderung der Alkohol- und Tabakprobleme, welche 1989 mit der Forderung nach einem totalen Werbeverbot für Alkoholika und Tabakwaren eingereicht worden waren, und leitete den Räten seine Botschaft für einen indirekten Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe zu. Dabei zeigte er Bereitschaft, den in der Vernehmlassung vorgebrachten Bedenken der betroffenen Kreise (Industrie, Gewerbe, Medien) zumindest teilweise Rechnung zu tragen und seinen ursprünglichen Vorschlag etwas zu lockern. Als Erklärung für diesen partiellen Rückzieher – beispielsweise bei der Tabakwerbung in den Printmedien oder beim Sponsoring – führte er an, dass neben der hohen Priorität, welche dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung gebühre, auch die Handels- und Gewerbefreiheit, die Rechtsgleichheit und das Informationsbedürfnis der Konsumentinnen und Konsumenten berücksichtigt werden müssten.
Strikt verboten sein soll die Werbung am Schweizer Radio und Fernsehen, bei den Lokalradios, in den Kinos und auf Plakatwänden. In allen anderen Bereichen würde die Werbung bloss eingeschränkt. An den Verkaufsstellen darf informativ geworben werden. Degustationen bleiben hier – mit Ausnahme der gebrannten Wasser – erlaubt, hingegen dürfen keine Gratismuster von Raucherwaren mehr abgegeben werden. Sachbezogene Werbung für Alkoholika und Tabak soll auch in den Printmedien mit Ausnahme der Jugendzeitschriften möglich sein. Ebenfalls zugelassen bleiben das Sponsoring und die Markendiversifizierung, sofern damit nicht die Förderung des Verkaufs von Alkohol und Tabakwaren bezweckt wird [47].
Zu heftigen Wortgefechten kam es, als der Nationalrat im Rahmen der Revision des Lebensmittelgesetzes Werbeeinschränkungen für Tabak und Alkohol behandelte. Der Ständerat hatte 1990 einer Kompetenznorm, wonach der Bundesrat zum Schutz der Gesundheit insbesondere von Jugendlichen die Werbung für alkoholische Getränke sowie für Tabak- und Raucherwaren einschränken kann, nach langer Diskussion zugestimmt. Im Nationalrat versuchten Vertreter des bürgerlichen Lagers, angeführt von Nationalrat Oehler (cvp, SG), Präsident des Verbandes der schweizerischen Tabakindustrie, mit vielfältigen Argumenten einen völligen Verzicht auf Werbebeschränkungen zu erreichen. So weit wollte der Rat nicht gehen, doch schwächte er den Beschluss des Ständerates ab. Gemäss nationalrätlicher Variante kann der Bundesrat die Werbung für alkoholische Getränke und für Tabakartikel nur dann einschränken, wenn sie sich speziell an die Jugend richtet. Der Ständerat stimmte dieser Version zu [48].
Um den einschneidenden Forderungen der Volksinitiative den Wind aus den Segeln zu nehmen, erlegte sich der Verband Schweizerischer Zigarettenfabrikanten freiwillig Einschränkungen bei der Zigarettenwerbung auf. Die Einhaltung dieses "Werbekodexes", der sich in erster Linie an den Anliegen des Jugendschutzes orientiert, wird von der Kommission für Lauterkeit in der Werbung kontrolliert [49].
Zum erstenmal in der Schweiz erstellte das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern im Auftrag des BAG eine epidemiologische Studie über rauchenbedingte Todesfälle. Die Studie ergab, dass in der Schweiz jährlich rund 10 000 Raucherinnen und Raucher an den Folgen ihres Tabakkonsums sterben. Dies entspricht einem Anteil von 16,6% aller Todesfälle. Das BAG erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass Rauchen die wichtigste vermeidbare Einzelursache von Krankheit und vorzeitiger Mortalität in Europa ist [50].
Recht knapp wurden im Ständerat zwei Motionen (Seiler, svp, SH und Weber, Idu, ZH) abgelehnt, welche ein verschärftes Strafmass für Fahren in angetrunkenem Zustand bzw. die Absenkung des Alkoholpromille-Grenzwerts auf 0,5 Promille verlangten. In beiden Fällen hatte der Bundesrat Umwandlung in ein Postulat beantragt, ein Ansinnen, dem sich die Motionäre angesichts der hohen Anzahl von Verkehrsunfällen unter Alkoholeinfluss nicht anschliessen konnten. Hingegen war der Bundesrat bereit, eine Motion Gonseth (gp, BL), welche systematische Atemluftkontrollen verlangt, zumindest teilweise anzunehmen, worauf der Nationalrat den unbestrittenen Teil des Vorstosses überwies [51].
 
[47] BBl, 1992, II, S. 1149 ff.; Presse vom 23.1. und 10.3.92. Siehe auch SPJ 1991, S. 219 f. Das Aktionskomitee zeigte sich enttäuscht vom Gegenvorschlag und beschloss, seine Initiativen nicht zurückzuziehen (Presse vom 24.1.92).
[48] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 73 ff., 1092 ff. und 2217; Amtl. Bull. StR, 1992, S. 305 ff. und 1069. Vgl. SPJ 1990, S. 213.
[49] Presse vom 9.9.92; SHZ, 29.10.92.
[50] BAG-Bulletin, 1992, Nr. 8; Presse vom 4.3.92.
[51] Amtl. Bull. StR, 1992, S. 41 ff.; Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2158.