Année politique Suisse 1993 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Freisinnig-demokratische Partei (FDP)
Die FDP machte sich im Berichtsjahr schon vor den letzten Verhandlungsrunden der GATT-Verträge im Rahmen der Urugay-Runde stark für eine breite Unterstützung des Vertragswerks. Ihrer Ansicht nach könnte die Ablehnung der GATT-Verträge in einer Volksabstimmung sehr viel tiefgreifendere Folgen für die schweizerische Wirtschaft haben, als die Verwerfung des EWR-Vertrags. In ihrem Positionspapier betonte die Partei aber auch, dass neben dem freien Welthandel eine aktive Menschenrechtspolitik auf internationaler Ebene realisiert werden müsse. Im übrigen dürfen in ihren Augen auch die globalen Umweltprobleme, die durch ein Anwachsen des Welthandels verschärft werden könnten, nicht in Vergessenheit geraten [7].
Bezüglich der Umweltpolitik nahm die FDP an einer Fachtagung über marktwirtschaftliche Lenkungsabgaben ähnlich wie der Vorort die Position ein, derartige Abgaben grundsätzlich zu befürworten, falls sie staatsquoten- und indexneutral seien und zudem die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland nicht beeinträchtigten. Anders als 1991 forderten Exponenten der FDP eine strikte Trennung von Umwelt- und Fiskalpolitik und plädierten für eine volle Rückerstattung der Abgabeerträge. Sie gaben wie die Vertreter der Wirtschaftsverbände einer europäisch harmonisierten CO2-Abgabe den Vorzug gegenüber einer umfassenden Energieabgabe [8].
Eine länger dauernde Polemik zwischen CVP und FDP entstand, nachdem freisinnige Politiker vorgeschlagen hatten, mit einem dringlichen Bundesbeschluss gegen kriminelle Asylbewerber vorzugehen. Vergeblich versuchte daraufhin Bundesrat Koller darauf hinzuweisen, dass Instrumente zur Eindämmung des Drogenhandels durch Asylbewerber bereits bestehen oder in Vorbereitung sind. Die CVP konterte mit dem Argument, die Freisinnigen würden sich bloss mittels aufsehenerregender Forderungen, welche im übrigen internationale Rechtsvereinbarungen verletzten würden, auf Kosten der CVP und ihres Bundesrats profilieren. Neben der Drogen- und Asylpolitik machten die Freisinnigen ebenso wie die übrigen bürgerlichen Parteien die innere Sicherheit zu einem wichtigen Thema; sie publizierten dazu ein umfassendes Thesenpapier [9].
Die freisinnige Fraktion reichte im Zusammenhang mit dem Revitalisierungsprogramm eine Reihe von Vorstössen in den Bereichen Umschulung, Weiterbildung resp. Forschung, Bodenrecht, regionale grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Steuerpolitik, Deregulierung im Fernmeldewesen, Transitabkommen sowie Arbeitsmarkt. Der Nationalrat überwies zudem verschiedene Fraktionsmotionen der FDP zum Abbau von Vorschriften in der Argrarpolitik [10].
Zu den eidgenössischen Abstimmungen beschlossen die Delegierten resp. der Delegiertenrat einstimmig die Ablehnung der beiden Armee-Initiativen. Unbestritten war auch die Ablehnung der Initiativen für Werbeverbote. Sämtliche zur Abstimmung gelangenden Parlamentsbeschlüsse wurden befürwortet. Allerdings sprachen sich verschiedene Kantonalsektionen gegen den höheren Satz der Mehrwertsteuer sowie gegen die Möglichkeit, diesen zur Sicherung der AHV um 1% zu erhöhen, aus. Auf nationaler Ebene entsprachen sämtliche Parolen, wie im übrigen auch bei der CVP und der SVP, dem Ausgang der jeweiligen Volksabstimmungen [11].
Bei den kantonalen Wahlen konnte die FDP weiter Terrain gutmachen. Ausser im Kanton Aargau legte sie überall zu und gewann insgesamt fünf Mandate. Damit wurde die FDP sitzmässig die stärkste Partei in den Kantonalparlamenten und verdrängte die CVP auf den zweiten Platz. Auch die Anteile der gewählten Frauen, konnten in allen Kantonen zum Teil massiv erhöht werden. An der Delegiertenversammlung in Genf wurden zudem interne Frauenförderungsmassnahmen beschlossen: auf allen Listen bei Wahlen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene soll eine Zielvorgabe von 30 bis 60% Frauenanteil erreicht werden. Trotz den verschiedenen Erfolgen bei kantonalen Wahlen machte die Partei Schlagzeilen durch Austritte von Prominenten aus der Wirtschaft. Der ehemalige Nationalbank-Präsident Leutwiler sowie der Grossindustrielle Thomas Schmidheiny traten, enttäuscht von dem ihrer Ansicht nach geringen Einfluss der FDP in der Wirtschaftspolitik, aus der Partei aus [12].
 
[7] NZZ und BZ, 24.4.93. Vgl. auch Politische Rundschau, 72/1993, Nr. 1 sowie Freisinn FDP, 1993, Nr. 5, S. 6 f.
[8] Presse vom 28.6.93.
[9] Presse vom 30.7.93; Bund, 17.8.93; NZZ und TA, 23.8.93; BZ, 24.8.93 (Polemik); Presse vom 29.10.93 (Innere Sicherheit). Vgl. auch Politische Rundschau, 72/1993, Nr. 4.
[10] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 978 ff. und 1689 f.; Verhandl. B.vers., 1993, V, S. 53 ff.
[11] Presse vom 26.4., 23.8. und 18.10.93.
[12] Presse vom 26.4.93 (Frauenförderung); Ww, 26.8.93; Presse vom 27.8. und 28.8.93 (Austritte).