Année politique Suisse 1993 : Parteien, Verbände und Interessengruppen
Parteien
Das Parlament erhöhte die Fraktionsbeiträge nur geringfügig. – Die Bundesratsersatzwahl rief wieder einmal die Frage auf, ob sich die SP an der Regierung beteiligen soll oder nicht. – Unter dem Schlagwort innere Sicherheit versuchten sich die bürgerlichen Regierungsparteien zu profilieren. – Zwischen der Zürcher und Berner SVP verschärfte sich der Konflikt um den Führungsanspruch. – Die Parolen zu den eidgenössischen Abstimmungen waren unter den drei bürgerlichen Regierungsparteien identisch. – Die FDP konnte bei kantonalen Wahlen weiter Terrain gutmachen und löste die CVP als bisher sitzmässig stärkste Partei in den kantonalen Parlamenten ab.
 
Das Parteiensystem
Eine Meinungsumfrage zur Einschätzung der Parteien in bezug auf ihre Fähigkeit, aktuelle Probleme zu lösen, zeigte auf, dass zwischen 44% und 69% der Befragten überhaupt nicht daran glaubten, dass die Parteien nur eines der zur Zeit aktuellen Probleme lösen könnten. Die CVP schnitt in dieser Befragung von den Regierungsparteien am schlechtesten ab [1]. Zwar haben die Regierungsparteien insgesamt auf nationaler Ebene in den letzten Jahren kontinuierlich Wähleranteile an die kleinen Gruppierungen und Splitterparteien verloren, sie konnten aber ihre Strukturen und Verankerungen auf lokaler Ebene aufrechterhalten oder sogar stärken. Aus diesem Grunde ist die Parteienverdrossenheit, welche von vielen Seiten beklagt wird, zu relativieren, da zwischen Anhängerschaft, aktiver Parteimitarbeit resp. Amtsausübung einerseits und Urnengängern andererseits, die gelegentlich oder regelmässig für Aussenseiterparteien oder populistische Bewegungen mobilisiert werden, zu unterscheiden ist. Eine soziologische Studie zeigte auf, dass rund 80 Prozent der 18 000 Sitze der kommunalen Exekutiven von Vertretern der traditionellen Parteien eingenommen werden. In bezug auf die Mitglied- oder Anhängerschaft der etablierten Parteien ergaben die Berechnungen, dass die CVP über eine Gefolgschaft von rund 340 000 und die FDP über eine solche von ca. 310 000 Anhängerinnen und Anhängern verfügt. Für die SVP und die SP wurde eine Parteianhängerschaft von 174 000 resp. 110 000 Personen berechnet. Die Bundesratsparteien würden damit über 930 000 Parteianhänger organisieren, was einem Ausschöpfungsgrad von 21 % der Stirnmberechtigten entspricht [2].
Zur Frage der Parteienfinanzierung einigten sich die Regierungsparteien anlässlich der Von-Wattenwyl-Gespräche darauf, eine Erhöhung der Fraktionsbeiträge sowie der Beiträge pro Fraktionsmitglied zu fordern. Die zu diesem Zweck eingereichte parlamentarische Initiative des Büros des Nationalrats verlangte, den Fixbetrag pro Fraktion von 50 000 auf 70 000 Fr. und jenen pro Fraktionsmitglied von 9000 auf 12 000 Fr. jährlich zu erhöhen. Ursprünglich hatten einzelne Generalsekretäre sogar von einer Erhöhung der Fraktionsbeiträge auf 100 000 und pro Mitglied auf 15 000 Fr. gesprochen. Die Gesamtentschädigung aus der Bundeskasse wäre somit gemäss den Forderungen der parlamentarischen Initiative von 2,6 auf rund 3,5 Mio Fr. angestiegen. In ihrer Begründung wiesen die Initianten auf die grosse Anzahl von eidgenössischen Urnengängen hin, welche mit enormen Kosten für die Parteisekretariate verbunden sind. Ebenso würden sich die Parteien in einer Konkurrenzsituation zu den Wirtschaftsverbänden, welche Millionenbeträge freistellen können, befinden. Zudem würde durch eine geringe Aufstockung der Mittel die relative Unabhängigkeit von Sponsorengeldern weiterhin bewahrt bleiben. Der Nationalrat unterstützte diese Forderungen, konnte sich aber gegen den Ständerat, welcher bloss eine Anpassung an die Teuerung gewähren wollte, nicht durchsetzen [3].
Als die auch im Rüstungssektor tätige Firma Oerlikon-Bührle AG beschloss, eine ungebundene und alljährlich wiederkehrende Spende an die Bundesratsparteien in der Höhe von je 15 000 Fr. und eine solche von je 3000 Fr. an die kleinen im Parlament vertretenen Parteien auszurichten, bot dies Anlass, das Thema der Interessenbindung durch Sponsoring seitens der Privatindustrie zur Diskussion zu stellen. Die Firma Oerlikon-Bührle begründete ihre Spende mit der wichtigen Funktion der Parteien für die Bildung der öffentlichen Meinung. Seitens der SP wurde das Geld für die Kampagne gegen Militärausgaben und gegen den Export von Kriegsmaterial verwendet. Die Grüne Partei, welche zum ersten Mal konkret mit der Problematik konfrontiert wurde, nahm die Spende erst nach einigem Zögern an [4].
In bezug auf die zukünftige Europapolitik blieben die Regierungsparteien im Berichtsjahr in ihren Äusserungen vorsichtig. Einzig die SP fragte den Bundesrat in einer Interpellation an, ob er bereit sei, für 1994 eine zweite EWR-Vorlage als Gegenvorschlag zur Volksinitiative des "Komitee geboren am 7. Dezember" vorzubereiten. Die CVP ihrerseits kündigte an, sie werde einen Gegenvorschlag zu dieser Initiative präsentieren [5].
Unter dem Schlagwort Innere Sicherheit forderten die bürgerlichen Regierungsparteien eine verstärkte direkte Bekämpfung der Kriminalität und die Prävention von Gewaltverbrechen. Mit der Wahl dieses Themas sollte nicht zuletzt auch die Attraktivität der bürgerlichen Parteien gegenüber den ganz rechts stehenden populistischen Parteien erhöht werden. Ausserdem wurde damit auch ein Schwerpunkt für die Kampagnen zu verschiedenen anstehenden kantonalen und kommunalen Wahlen gesetzt [6].
Zu den einzelnen Parteien vgl. auch die Tabelle Abstimmungsparolen 1993 am Ende diese Kapitels (parolen_1993.pdf) sowie oben, Teil I, 1 e und die verschiedenen Sachkapitel.
 
Freisinnig-demokratische Partei (FDP)
Die FDP machte sich im Berichtsjahr schon vor den letzten Verhandlungsrunden der GATT-Verträge im Rahmen der Urugay-Runde stark für eine breite Unterstützung des Vertragswerks. Ihrer Ansicht nach könnte die Ablehnung der GATT-Verträge in einer Volksabstimmung sehr viel tiefgreifendere Folgen für die schweizerische Wirtschaft haben, als die Verwerfung des EWR-Vertrags. In ihrem Positionspapier betonte die Partei aber auch, dass neben dem freien Welthandel eine aktive Menschenrechtspolitik auf internationaler Ebene realisiert werden müsse. Im übrigen dürfen in ihren Augen auch die globalen Umweltprobleme, die durch ein Anwachsen des Welthandels verschärft werden könnten, nicht in Vergessenheit geraten [7].
Bezüglich der Umweltpolitik nahm die FDP an einer Fachtagung über marktwirtschaftliche Lenkungsabgaben ähnlich wie der Vorort die Position ein, derartige Abgaben grundsätzlich zu befürworten, falls sie staatsquoten- und indexneutral seien und zudem die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland nicht beeinträchtigten. Anders als 1991 forderten Exponenten der FDP eine strikte Trennung von Umwelt- und Fiskalpolitik und plädierten für eine volle Rückerstattung der Abgabeerträge. Sie gaben wie die Vertreter der Wirtschaftsverbände einer europäisch harmonisierten CO2-Abgabe den Vorzug gegenüber einer umfassenden Energieabgabe [8].
Eine länger dauernde Polemik zwischen CVP und FDP entstand, nachdem freisinnige Politiker vorgeschlagen hatten, mit einem dringlichen Bundesbeschluss gegen kriminelle Asylbewerber vorzugehen. Vergeblich versuchte daraufhin Bundesrat Koller darauf hinzuweisen, dass Instrumente zur Eindämmung des Drogenhandels durch Asylbewerber bereits bestehen oder in Vorbereitung sind. Die CVP konterte mit dem Argument, die Freisinnigen würden sich bloss mittels aufsehenerregender Forderungen, welche im übrigen internationale Rechtsvereinbarungen verletzten würden, auf Kosten der CVP und ihres Bundesrats profilieren. Neben der Drogen- und Asylpolitik machten die Freisinnigen ebenso wie die übrigen bürgerlichen Parteien die innere Sicherheit zu einem wichtigen Thema; sie publizierten dazu ein umfassendes Thesenpapier [9].
Die freisinnige Fraktion reichte im Zusammenhang mit dem Revitalisierungsprogramm eine Reihe von Vorstössen in den Bereichen Umschulung, Weiterbildung resp. Forschung, Bodenrecht, regionale grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Steuerpolitik, Deregulierung im Fernmeldewesen, Transitabkommen sowie Arbeitsmarkt. Der Nationalrat überwies zudem verschiedene Fraktionsmotionen der FDP zum Abbau von Vorschriften in der Argrarpolitik [10].
Zu den eidgenössischen Abstimmungen beschlossen die Delegierten resp. der Delegiertenrat einstimmig die Ablehnung der beiden Armee-Initiativen. Unbestritten war auch die Ablehnung der Initiativen für Werbeverbote. Sämtliche zur Abstimmung gelangenden Parlamentsbeschlüsse wurden befürwortet. Allerdings sprachen sich verschiedene Kantonalsektionen gegen den höheren Satz der Mehrwertsteuer sowie gegen die Möglichkeit, diesen zur Sicherung der AHV um 1% zu erhöhen, aus. Auf nationaler Ebene entsprachen sämtliche Parolen, wie im übrigen auch bei der CVP und der SVP, dem Ausgang der jeweiligen Volksabstimmungen [11].
Bei den kantonalen Wahlen konnte die FDP weiter Terrain gutmachen. Ausser im Kanton Aargau legte sie überall zu und gewann insgesamt fünf Mandate. Damit wurde die FDP sitzmässig die stärkste Partei in den Kantonalparlamenten und verdrängte die CVP auf den zweiten Platz. Auch die Anteile der gewählten Frauen, konnten in allen Kantonen zum Teil massiv erhöht werden. An der Delegiertenversammlung in Genf wurden zudem interne Frauenförderungsmassnahmen beschlossen: auf allen Listen bei Wahlen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene soll eine Zielvorgabe von 30 bis 60% Frauenanteil erreicht werden. Trotz den verschiedenen Erfolgen bei kantonalen Wahlen machte die Partei Schlagzeilen durch Austritte von Prominenten aus der Wirtschaft. Der ehemalige Nationalbank-Präsident Leutwiler sowie der Grossindustrielle Thomas Schmidheiny traten, enttäuscht von dem ihrer Ansicht nach geringen Einfluss der FDP in der Wirtschaftspolitik, aus der Partei aus [12].
 
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
Von allen Regierungsparteien leidet die CVP seit einigen Jahren am meisten an Wählerschwund und, unter anderem durch den gesellschaftlichen Wertewandel bedingt, an allgemeinem Attraktivitätsverlust in der Bevölkerung. Um in der politischen Mitte ihre Integrations- und Klammerfunktion wieder verstärkt auszuüben, versuchte sie nach der Ablehnung des EWR-Vertrages mit einem durch ihre Studienkommission für Wirtschaftspolitik ausgearbeiteten Massnahmenkatalog das bundesrätliche Revitalisierungsprogramm zu unterstützen und dadurch eine Vorreiterrolle innerhalb der bürgerlichen Regierungsparteien zu übernehmen. Einzelne Exponenten erwogen allerdings auch die Möglichkeit, die Partei wieder in die beiden konservativen und christlichsozialen Flügel als eigenständige Parteiorganisationen wie vor 1971 aufzuspalten. Konkrete Massnahmen zur Behebung des Malaise waren die Verbesserung der Kommunikation sowohl innerhalb der Partei als auch zwischen Parteiapparat und Wählerschaft sowie die Neuorganisation des Generalsekretariats [13].
In bezug auf die Drogenproblematik forderte die CVP an einer Tagung eine stärkere Führungsrolle des Bundes und verlangte die Ablösung des Betäubungsmittelgesetzes durch ein umfassendes Suchtpräventionsgesetz, wozu sie auch eine Fraktionsmotion einreichte. In ihrem 21 Thesen umfassenden Grundlagenpapier konnte sie jedoch nichts grundlegend Neues vorschlagen [14].
In einem Thesenpapier für mehr Wettbewerb, flexibleren Arbeitsmarkt, bessere Bildung und Massnahmen gegen die Arbeitslosigkeit von Frauen, Jugendlichen und älteren Arbeitnehmern versuchte die Partei, auf verschiedene Forderungen nach Revitalisierung des schweizerischen Arbeitsmarktes einzugehen [15]. Die nach der Ablehnung des EWR-Vertrags eingereichte und vom Nationalrat teilweise überwiesenen Motion zur Verbesserung der Rahmenbedingungen verlangte Verbesserungen im Bereich des Bildungs- und Forschungsstandortes Schweiz, die Vermeidung von Diskriminierungen bezüglich Berufsausübung und Diplomanerkennung innerhalb der Schweiz, die Beschleunigung von Bewilligungs- und Einspracheverfahren, die schnellere Erschliessung von Bauland sowie Erleichterungen der Kapitalbeschaffung. Diskussionslos überwies der Nationalrat auch die zum gleichen Zeitpunkt eingereichten Motionen der CVP-Fraktion zum Abbau von Marktzutrittsbarrieren sowie zur Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik. Eine Motion zur Finanzierung von Risikokapital für kleine und mittlere Unternehmen wurde als Postulat überwiesen [16].
Nach der FDP und der SVP setzte auch die CVP einen Schwerpunkt in ihrer Politik auf die innere Sicherheit. Die Delegiertenversammlung hiess Ende Oktober ein Thesenpapier gut, welches unter anderem Massnahmen in den Bereichen Strafnormen gegen das organisierte Verbrechen, Zwangsmassnahmen gegen kriminelle Ausländer sowie präventive Massnahmen zur Erhöhung der Sicherheit vorsieht [17].
Der schwelende Konflikt zwischen konservativen Teilen der CVP und Gewerkschaftskreisen trat anlässlich der Delegiertenversammlung im August, an welcher unter anderem bei der Parolenfassung zur Revision der Arbeitslosenversicherung (ALV) auch über die zukünftige Ausgestaltung der ALV diskutiert wurde, offen zutage. Dabei schlug die Parteikommission Wirtschaft und Finanzen unter der Leitung von Peter Buomberger, Chefökonom bei der Schweizerischen Bankgesellschaft, vor, nur noch einen Minimalbetrag des Einkommens über die ALV zu versichern, die restliche Vorsorge aber falls gewünscht über, private Versicherungen abzuwikkeln [18].
In der Stadt Zürich kam der seit längerer Zeit bestehende Zwist zwischen CVP und CSP zum Vorschein. Anlässlich der Nomination für die stadtzürcherischen Exekutivwahlen, welche im März 1994 stattfinden, verweigerte die Präsidentenkonferenz der städtischen CVP dem Bisherigen Willy Küng die Nominierung für eine weitere Amtsperiode. Anlass für diese Verweigerung bildete einerseits der Vorwurf der parlamentarischen Untersuchungskommission, welche Küng für Fehler bei der Führung der städtischen EDV-Abteilung verantwortlich gemacht hatte. Andererseits wurde ihm von der Präsidentenkonferenz vorgeworfen, in wichtigen Fragen systematisch mit den rot-grünen Parteien zu stimmen. In ihren Augen würden dadurch die Werte der CVP zu stark in den Hintergrund rücken. Als Küng darauf von der CSP-Gruppe für die Kandidatur nominiert wurde, schloss ihn die CVP aus der Partei aus [19].
Im Gefolge der Bundesratsersatzwahl forderten die CVP-Frauen Schweiz die Einführung von Quoten für beide Geschlechter auf allen Stufen der Parteihierarchie und in allen Gremien. In der Frage der Unterstützung der im Berichtsjahr lancierten Volksinitiative für Geschlechterquoten in den Bundesbehörden blieben die CVP-Frauen jedoch gespalten [20].
Zu den eidgenössischen Abstimmungen wurden von den Delegiertenversammlungen dieselben Parolen ausgegeben wie von der FDP. Sämtliche Parlamentsbeschlüsse wurden unterstützt, die Volksinitiativen hingegen, mit Ausnahme jener für einen arbeitsfreien Bundesfeiertag, abgelehnt [21]. Die Kantonalsektionen befolgten die Parolen relativ treu: Im Falle der Treibstoffzollerhöhung scherte nur der Kanton Waadt aus und bei der 1. August-Initiative die Sektionen Aargau, Jura und Oberwallis.
Bei den kantonalen Wahlen konnte die CVP den seit mehreren Jahren anhaltenden Erosionsprozess nicht stoppen. Mit insgesamt 13 Sitzverlusten verlor sie auch ihre Position als gesamtschweizerisch stärkste Partei in den kantonalen Parlamenten an die FDP.
 
Sozialdemokratische Partei (SP)
Die Bundesratsersatzwahl für René Felber bot erneut Anlass zu Diskussionen über das Verbleiben der SP in der Regierung resp. über die Möglichkeit, in die Opposition zu gehen. Nachdem die Parteileitung angekündigt hatte, für den Fall einer Nicht-Wahl von Bundesratskandidatin Brunner (GE) keine Krisenszenarien öffentlich zu diskutieren, unternahmen verschiedene Partei-Exponenten dennoch entsprechende Schritte. Die Nichtwahl Brunners hatte bei der SP im übrigen einen starken Zuwachs an Partei-Mitgliedschaftsgesuchen zur Folge. In Anlehnung an den ausserordentlichen Parteitag, welcher 1984 nach der Nicht-Wahl Lilian Uchtenhagens als Bundesrätin durchgeführt worden war, plante die Parteileitung nach dem Scheitern Brunners erneut einen derartigen Parteitag zum Thema der Regierungsbeteiligung. Da sich die Begeisterung für das Thema nach der Bundesratsersatzwahl relativ rasch legte, kam gegen Ende des Berichtsjahres nur eine kleinere Tagung zu diesem Thema zustande, an welcher sich eine Mehrzahl der Beteiligten für das Verbleiben in der Regierung aussprach [22].
Die Vorwürfe gegen SP-Nationalrat Ziegler (GE), bei der Diffamierungskampagne gegen Christiane Brunner mitgewirkt zu haben, erregten grosses Aufsehen. Nach heftigen und lange währenden Auseinandersetzungen mit dem Fraktionsvorstand und der Parteispitze sowie nach Einreichung einer Klage wegen Persönlichkeitsverletzung gegen die Journalistin Duttweiler, welche die Diffamierungsgeschichte rund um Brunner in Buchform publiziert hatte, entschuldigte sich Ziegler dafür, mit seinen Äusserungen zum anonymen Brief gegen Brunner für Spannungen und Verwirrungen gesorgt zu haben [23].
Die interne Kritik, welche im Umfeld der Bundesratsersatzwahl am Führungsstil von Parteipräsident Bodenmann angebracht worden war, wuchs auch im Zusammenhang mit der Kursbestimmung der Partei in bezug auf den europäischen Integrationsprozess. Nachdem Bodenmann im September eine Wiederholung der EWR-Abstimmung gefordert hatte, protestierten die in der aussenpolitischen Kommission des Nationalrats vertretenen SP-Fraktionsmitglieder gegen die dirigistische Zielformulierung des Parteipräsidenten. Die Option des EU-Beitritts war in ihren Augen durch Bodenmann allzustark in den Hintergrund gedrängt worden [24].
In der Drogenpolitik fand die Parteileitung keine Mehrheit zum Beitritt zur Trägerorganisation der "DroLeg"-Volksinitiative [25].
Die SP präsentierte eine neue agrarpolitische Zielvorstellung, in welcher das "Bio-Land Schweiz" das langfristige Ziel darstellt. Das Programrn sieht vor, die Richtlinien für die Integrierte Produktion (IP) zu verschärfen und Beiträge oder Direktzahlungen des Bundes nur noch an diejenigen Bauern zu bezahlen, welche auf biologische Weise wirtschaften [26].
In den Entwurf des neuen SP-Wirtschaftsprogramms wurden der soziale, ökologische und feministische Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft als programmatische Schwerpunkte für die nächsten zwölf Jahre aufgenommen. Dieser Entwurf sieht auch vor, mit verschiedenen fiskalischen Massnahmen eine Umverteilung der Steuern zu Lasten der Wohlhabenden und der florierenden Unternehmen vorzunehmen. Parteiinterne Kritiker warfen den Autoren des Papiers allerdings vor, sich allzu wirtschaftsfreundlich zu geben und die Grundsätze der Sozialdemokratie aufs Spiel zu setzen; insbesondere könne nicht einfach hingenommen werden, dass der Bruch mit dem Kapitalismus kein ausdrückliches Ziel mehr sei. Der Entwurf wurde in die Sektionen zur Stellungnahme gegeben [27].
Die welschen Kantonalsektionen der SP lancierten auf den 1. Mai hin eine Wochenzeitung mit dem Titel "Jet d'Encre". Diese sollte den sieben Kantonalparteien (inkl. Berner Jura) einerseits als gemeinsame publizistische Plattform dienen, andererseits aber auch Sprachrohr der gesamten Linken in der Romandie sein. Dass die neue Wochenzeitung mehr als nur Parteiorgan sein wollte, bekräftigte auch die Tatsache, dass der sechsköpfigen Redaktion journalistische Unbhängigkeit zugestanden wurde. Finanziert wurde das Blatt vorerst von den Kantonalsektionen. In den Kantonen Genf, Neuenburg und Wallis wollten die jeweiligen Parteisektionen ihr kantonales Organ jedoch nicht aufgeben, was den Start der neuen Publikation erschwerte. Da bis Jahresende nicht genügend Abonnenten gefunden werden konnten und die Kantonalparteien keine Defizitgarantie leisten wollten, musste das Blatt sein Erscheinen im Dezember wieder einstellen [28]. Die endgültige Einstellung der "Solothurner AZ", ehemaliges Organ der SP, führte im Kanton Solothurn ähnlich wie im Aargau zu einem bürgerlichen P ressemonopol [29].
Bei den eidgenössischen Abstimmungen unterstützte die SP mit Ausnahme der Tierschutzinitiative alle Volksinitiativen. Die Zustimmung zum Mehrwertsteuerpaket machte sie abhängig von der Zustimmung der bürgerlichen Parteien zum höheren Steuersatz sowie zur Verabschiedung eines Konjunkturförderungsprogramms. Die Revision der Arbeitslosenversicherung bekämpfte sie vergeblich mit dem Referendum. Die übrigen Beschlüsse des Parlaments empfahl sie, mit Ausnahme der Aufhebung des Spielbankenverbots, wo sie auf eine Empfehlung verzichtete, zur Annahme [30].
Zwar verlor die SP bei kantonalen Wahlen in den Kantonen Genf und Neuenburg zwölf Parlaments- und zwei Regierungssitze, sie gewann hingegen zwölf Sitze in den Kantonsparlamenten Aargau, Solothurn und Wallis, so dass sie ihre Bilanz zumindest in bezug auf die Parlamentssitze ausgeglichen abschliessen konnte. Im Kanton Genf waren die Verluste in Parlament und Regierung zu einem grossen Teil dem Konflikt um ihren bisherigen, aber statutengemäss nicht mehr nominierten Staatsrat Grobet zuzuschreiben. Die Anteile der gewählten SP-Frauen konnten weiterhin erhöht werden und erreichten im Aargau den Rekordwert von 65,9%. In die revidierten Parteistatuten wurde übrigens als wichtigste Neuerung eine Vorschrift eingeführt, welche in allen Organen der Partei einen Anteil von mindestens 40% Frauen verlangt [31].
 
Schweizerische Volkspartei (SVP)
Die Heterogenität der SVP-Exponenten, inbesondere in der Frage des Europa-Kurses der Schweiz, liess die internen Spannungen verstärkt offen zutage treten. Bundesrat Ogi wehrte sich zusammen mit Vertretern der Berner, Bündner und Waadtländer Kantonalparteien gegen den Einfluss der zürcherischen SVP, die unter Nationalrat Blocher einen immer stärkeren Rechtskurs steuerte [32]. Verärgert über die neue Führungsrolle der zürcherischen Sektion und deren arrogantes Vorgehen anlässlich der SVP-Pressekonferenz nach der EWR-Abstimmung, diskutierte der Zentralvorstand der bernischen SVP das Verhältnis der Mutterpartei zu den Kantonalsektionen. Aus der Sicht der Berner Parteispitze kann die SVP nicht gleichzeitig Regietangs- und Oppositionspartei sein. Eine grosse Mehrheit des bernischen Zentralvorstands sprach sich für den Verbleib in der Regierung auf eidgenössischer Ebene aus und grenzte sich von rechtspopulistischen Strömungen im Stil der zürcherischen Sektion ab. Dabei wurde auch Kritik an Parteipräsident Uhlmann (TG) und Fraktionschef Fischer (AG) geäussert, welche durch das Gewährenlassen Blochers Führungsschwäche an den Tag legen würden [33].
Während die meisten Sektionen der Ostschweiz Unverständnis gegenüber der bernischen Kritik an den Tag legten, unterstützte die Bündner Kantonalpartei die Berner und forderte, die SVP müsse eine sozialliberale, offene Partei der Mitte bleiben resp. wieder werden. Die waadtländische Sektion ging an der gesamtschweizerischen Delegiertenversammlung in Payerne (VD) sogar so weit, mit dem Austritt aus .der gesamtschweizerischen Partei zu drohen, falls die Mutterpartei einen rechtsextremen populistischen Kurs ansteuere [34]. Bundesrat Ogi vertrat an der Albisgüetli-Tagung der Zürcher Sektion die Meinung, wenn die SVP Regierungspartei bleiben wolle, müsse sie die Politik der andern Bundesratsparteien mittragen [35]. Die am 20. Februar einberufene Aussprache des Zentralvorstands brachte die Bereitschaft aller Beteiligten zu einer weiteren Zusammenarbeit zutage, ohne jedoch die Grundkonflikte lösen zu können. Dabei wurden weder die Regierungsbeteiligung noch die unterschiedliche Ausrichtung der einzelnen Kantonalparteien in Frage gestellt. Eine Arbeitsgruppe wurde mit dem Auftrag eingesetzt, parteiinterne Abläufe und Strukturen zu untersuchen und gegebenenfalls zu verbessern [36].
Gegen Ende des Berichtsjahres erregte die Zürcher SVP erneut Unmut bei der gesamtschweizerischen Parteileitung sowie bei anderen Kantonalsektionen, als sie die Ermordung eines Mädchens am Zollikerberg (ZH) im Hinblick auf die städtischen Wahlen im Frühling 1994 für eine Inseratekampagne missbrauchte. Darin bezeichnete sie die "Linken und Netten" — mit den Netten waren die anderen bürgerlichen Regierungsparteien gemeint — als verantwortlich für die Kriminalität sowie Asylmissbrauch in Stadt und Kanton und empfahl sich selbst als Alternative für mehr Sicherheit. Bundesrat Stich verglich die Inseratekampagne mit der Nazi-Propaganda und sagte seine Teilnahme an der Albisgüetlitagung im Januar 1994 in seiner Funktion als Bundespräsident ab [37].
Die Westschweizer Sektionen Waadt und Freiburg forderten das Zentralsekretariat eindringlich auf, interne Dokumente zu übersetzen und einen französischsprachigen Informationsdienst aufzuziehen, welcher bisher bei der SVP als einziger Regierungspartei inexistent sei [38].
Die SVP nahm eine positive Haltung gegenüber dem GATT-Vertragswerk ein, weil die Exportwirtschaft von den GATT-Regeln profitiere und im übrigen Ausgleichsinstrumente wie z.B. Direktzahlungen an die Landwirtschaft berücksichtigt würden. Ein Teil der Basis übte allerdings Kritik am Entscheid der Parteispitze [39].
Mit 110 000 Unterschriften hat die SVP die Volksinitiative "gegen die illegale Einwanderung" eingereicht; sie hat damit dieses Instrument zum ersten Mal benutzt [40].
Zu den eidgenössischen Abstimmungen empfahl die SVP dieselben Parolen wie die FDP und die CVP. Sehr knapp fiel der Entscheid für den Kantonswechsel des Laufentals aus. Abweichungen ergaben sich bei den Kantonalparteien vor allem bei den Vorlagen zur Mehrwertsteuer, insbesondere bei der Satzerhöhung und den Massnahmen zur Erhaltung der Sozialversicherung [41].
Bei kantonalen Wahlen verzeichnete die Partei zwei Sitzgewinne im Aargau. Im Kanton Genf, wo sie zusammen mit dem rechtsnationalistischen Mouvement patriotique genevois antrat, blieb sie mit 2,3% weit unter dem geforderten Quorum von 7%. Auch im Kanton Solothurn schaffte sie den Einzug ins Parlament nicht.
 
Liberale Partei (LP)
Die LP hat nach der EWR-Ablehnung die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU gefordert, um der politischen und wirtschaftlichen Isolation in Europa zu entgehen. Ihr Ziel ist es, den Beitritt der Schweiz bis zum Jahr 2000 zu realisieren [42].
Der ehemalige Neuenburger Regierungs- und Nationalrat François Jeanneret übernahm die Nachfolge von Claude Bonnard als neuer Parteipräsident [43].
Zu den eidgenössischen Abstimmungen gab die LP mit Ausnahme von drei Vorlagen dieselben Parolen wie die FDP heraus. Die Ausnahmen betrafen die SD-Initiative für einen arbeitsfreien Bundesfeiertag, den Mehrwertsteuersatz von 6,5% und die Möglichkeit, diesen Steuersatz zugunsten der AHV um 1 % zu erhöhen, welche sie allesamt ablehnte. Der Beitrag zur Sanierung der Bundesfinanzen und die rasche Fertigstellung des Nationalstrassennetzes — insbesondere in der Romandie — überzeugten die Delegierten von der Ja-Parole für die die Treibstoffzollerhöhung, welche mit 67 zu 35 Stimmen gefasst wurde [44].
In ihren Hochburgen Genf und Neuenburg sowie im Wallis konnte die LP bei kantonalen Wahlen insgesamt elf Sitze gewinnen und überall ihre Wähleranteile verbessern. In der Genfer Kantonsregierung konnte sie sogar einen dritten Sitz hinzugewinnen und mit Martine Brunschwig Graf auch die erste Frau in der Genfer Exekutive stellen.
 
Landesring der Unabhängigen (LdU)
Als neue Fraktionspräsidentin LdU/EVP wurde die Zürcher Nationalrätin Verena Grendelmeier gewählt, während Max Dünki (evp, ZH) das Vizepräsidium übernahm [45].
Im LdU sorgten die Asyl- und Drogenproblematik für Unruhe, als Ständerätin und Parteipräsidentin Weber (ZH) eine härtere Gangart gegen kriminelle Asylbewerber forderte. Weber hatte sich im übrigen auch als Gegnerin der beiden Armeeinitiativen innerhalb der Partei, welche diese beiden Begehren unterstützte, exponiert [46].
Die Delegierten resp. der Delegiertenrat sprachen sich für die Ja-Parole zu allen eidgenössischen Abstimmungen mit Ausnahme der Initiative zur Abschaffung der Tierversuche, für welche Stimmfreigabe beschlossen wurde, aus [47].
Bei kantonalen Wahlen verlor der LdU im Aargau von seinen sechs bisherigen einen Sitz.
 
Evangelische Volkspartei (EVP)
Der Zentralvorstand befürwortete sowohl die Schaffung eines Kontingents von Schweizer UNO-Blauhelmen als auch einen späteren Beitritt der Schweiz zur UNO. Letzteren hatte die EVP 1986 noch kategorisch abgelehnt [48].
Im Gegensatz zum Fraktionspartner lehnte die EVP die beiden Armeevorlagen, die Aufhebung des Spielbankenverbots sowie die Initiative zur Abschaffung der Tierversuche ab. Zu allen übrigen Vorlagen der eidgenössischen Abstimmungen empfahl sie die Ja-Parole [49].
Wie der LdU verlor auch die EVP in den aargauischen Kantonalwahlen einen ihrer bisher neun Sitze.
 
Grüne Partei
Am Jubiläumskongress zu ihrem 10jährigen Bestehen änderte die GP ihren Namen in "Grüne — Grüne Partei der Schweiz" um, mit dem sie ihre Einheit als grosse Sammelbewegung symbolisieren will. Das bisherige Logo, eine Sonnenblume in einem quadratischen Rahmen, wurde durch eine rahmenlose unvollständige Blume mit drei geschwungenen Linien, die an ein Auge erinnern, ersetzt. In der Bilanz ihrer bisherigen Entwicklung stellte sie fest, dass immer noch zentrifugale Kräfte in der vielfältig zusammengesetzten Partei, welche seit Mitte der 80er Jahre Zustrom seitens verschiedenster links-grün-alternativer Gruppierungen erhalten hat, bestehen. Die Verlagerung des politischen Diskurses von umweltrelevanten Themen zur Auseinandersetzung mit der Arbeitslosigkeit zwinge die Partei, eine breitere Abstützung in der Öffentlichkeit anzuvisieren, wenn sie nicht weitere Verluste bei kantonalen Wahlen in Kauf nehmen wolle. Eine Mehrheit der Delegierten befürwortete die Bestrebungen, mittels pragmatischer grüner Politik Regierungsbeteiligung anzustreben. Die Delegierten beschlossen ferner, die Energie-Umwelt-Initiative der verschiedenen Umweltorganisationen zu unterstützen und auf ihr eigenes Vorhaben zur Besteuerung der Energie vorläufig zu verzichten. Hingegen soll die Wirtschafts- und Sozialkommission der Grünen die Vorschläge für ein garantiertes Existenzminimum konkretisieren [50].
Im Nationalrat löste die Luzernerin Cécile Bühlmann den Aargauer Thür als Fraktionschefin ab [51].
Die GP beteiligt sich an der im Juni in Helsinki gegründeten Föderation der Grünen Europas, welcher bisher 23 grüne Parteien aus allen Teilen Europas angehören. Die Programmrichtlinien beinhalten die Bereiche Umweltentwicklung im allgemeinen, die gemeinsame Sicherheit und die neuen Bürgerrechte. Als erste grüne Partei Europas hat die GP im September die Programmrichtlinien und die Statuten der Föderation ratifiziert [52].
Bei den eidgenössischen Abstimmungen sprach sich die GP mit grosser Mehrheit für die Treibstoffzollerhöhung aus; die Befürwortung der Initiative zur Abschaffung der Tierversuche war hingegen sehr umstritten. Bei der Aufhebung des Spielbankenverbots gab die Abstimmung der Kantonalsektionen mit 6 zu 6 den Ausschlag für die Stimmfreigabe. Die Grünen konnten sich auch bezüglich der von den SD lancierten Initiative für einen arbeitsfreien Bundesfeiertag zu keiner Parole durchringen, unterstützten jedoch alle übrigen Vorlagen des Abstimmungspakets vom 26. September. Beim Systemwechsel zur Mehrwertsteuer gab die GP Stimmfreigabe heraus, den höheren Steuersatz und die übrigen Vorhaben unterstützte sie jedoch [53].
In allen Kantonen, in welchen die Grünen zu Wahlen antraten, verloren sie Mandate, am meisten in Genf und im Aargau. Auch im Stadtparlament von Lausanne mussten sie fünf Sitze abgeben. Damit schien sich die Trendwende, welche sich im Vorjahr mit ersten Rückschlägen bemerkbar gemacht hatte, zu bestätigen. In der Romandie konnte vor allem die PdA von den Verlusten der Grünen profitieren.
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Andere grüne Organisationen
Gegen Ende des Berichtsjahres wurde das ursprünglich als ausserparlamentarische Opposition gegründete Kritische Forum Uri (kfu) aufgelöst. Im Kantonsparlament war das kfu mit drei Mitgliedern schon seit 1992 eine Fraktionsgemeinschaft mit der SP eingegangen. Offen blieb, ob nach der Auflösung des kfu eine Parteisektion der GP gegründet wird oder nicht [54].
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Progressive Organisationen (POCH)
Die einzige noch überlebende POCH-Sektion Basel (POB) beschloss nach knapp 25jähriger Existenz an einer ausserordentlichen Generalversammlung mit einer Zweidrittelsmehrheit ihre Auflösung. Prominente ehemalige POCH-Mitglieder sind unter anderem die Nationalräte Herczog (ZH), welcher seit Ende 1990 der SP-Fraktion angeschlossen ist, sowie die Grünen Thür (AG) und Misteli (SO) [55].
 
Partei der Arbeit (PdA)
Die PdA konnte im Berichtsjahr ihr 50jähriges Bestehen feiern. Sie war am 8. Juni 1943 unter dem Namen Arbeiterpartei/Parti ouvrier in Genf gegründet worden. Erst ein Jahr später wurde sie in PdA umbenannt. Ihre Vorgängerorganisationen "Kommunistische Partei der Schweiz" und "Sozialistische Jugend" waren bei Kriegsausbruch im September 1939 vom Bundesrat verboten worden [56].
Die Auswertung des Archivmaterials der Komintern ergab weitere interessante Befunde über die Beziehungen zwischen Schweizer Kommunisten und sowjetischen Exponenten des Parteiapparats, insbesondere auch über das Schicksal von exilierten nicht linientreuen Schweizern, die Opfer des stalinistischen Machtapparats geworden waren, und die Einschleusung von ausländischen Kommissaren der KOMINTERN als Ideologiegaranten in die Schweiz [57].
Die erste Tageszeitung der Schweizer Arbeiterbewegung, der "Vorwärts", Organ für die "Interessen des arbeitenden Volkes", konnte im Berichtsjahr unter seinem neuen Namen "Sozialistische Wochenzeitung" sein 100jähriges Bestehen feiern. Während über vier Jahrzehnten war der "Vorwärts" das Organ der PdA gewesen; nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums hat der in der PdA eingeläutete Reformprozess auch Auswirkungen auf die Ausrichtung der Parteizeitung ausgeübt. Die "Sozialistische Wochenzeitung" ist offiziell nicht mehr Organ der PdA, sondern eine unabhängige linke Zeitung [58].
Bei den eidgenössischen Abstimmungen gab die PdA die Nein-Parole zur Erhöhung des Treibstoffzolls, zu den Bundesbeschlüssen über die Arbeitslosenversicherung und über die Kostensteigerung in der Krankenversicherung, gegen welche sie das Referendum ergriffen hatte, sowie zu sämtlichen vier Vorlagen über die Mehrwertsteuer heraus [59].
Anlässlich der Genfer Kantonalwahlen konnte die PdA durch die Schaffung einer grossen Koalition der Linken 21 Sitze und 19% Wähleranteil erobern. Erfolg hatte sie auch bei den städtischen Wahlen in Lausanne, wo sie drei Sitze und vier Prozent Wähleranteil hinzugewann.
 
Schweizer Demokraten (SD)
Die SD unterstützten das von der Lega dei Ticinesi lancierte Referendum gegen ein Schweizer Kontingent von UNO-Blauhelmen [60]. Die von der SD lancierte Initiative für einen arbeitsfreien Bundesfeiertag wurde mit Ausnahme der Liberalen und der Grünen von allen Parteien unterstützt und mit grossem Mehr in der Volksabstimmung angenommen.
Zu den eidgenössischen Abstimmungen empfahlen die SD ein Nein zur Aufhebung des Spielbankenverbots, zur Erhöhung des Treibstoffzolls, zu den beiden Armeeinitiativen, zum Kantonswechsel des Laufentals sowie – aus europapolitischen Gründen – zu allen Mehrwertsteuervorlagen. Die Werbeverbotsinitiativen unterstützten sie hingegen zusammen mit den linken Parteien [61]. Bei den kantonalen Wahlen stagnierten die SD.
 
Lega dei Ticinesi
Der wegen verschiedenster Vergehen wie z.B. Betrug, Ehrverletzung und Verleumdung sowie Verstössen gegen das Sozialversicherungsgesetz angeklagte Giuliano Bignasca, Präsident der Lega, wurde mit bedingter Haft und einer symbolischen Busse von 5000 Fr. bestraft. Mit einem theatralischen Prozessauftritt des Präsidenten profitierte die Lega von der grossen Medienpräsenz [62].
Auch Nationalrat und Verleger Maspoli wurde einmal mehr wegen übler Nachrede und Beschimpfung in Artikeln seiner Gratis-Sonntagszeitung zu einer Busse verurteilt. Er lancierte kurz darauf unter dem Titel "L'altra notizia" eine neue Tageszeitung. Sie soll unter anderem als Propaganda-Instrument für seine Kandidatur bei den Tessiner Regierungsratswahlen 1995 dienen [63].
Im Berichtsjahr kamen erstmals direkte Kontakte zwischen der italienischen Lega Nord und der Lega dei Ticinesi zustande, als der neu gewählte Mailänder Bürgermeister einen Besuch bei der Tessiner Lega abstattete [64].
Bei den Parolen zu den eidgenössischen Abstimmungen ergaben sich neun Abweichungen zum Fraktionspartner SD. Insbesondere unterstützte sie zusammen mit den links-grünen Parteien die Volksinitiative "Für eine Schweiz ohne neue Kampfflugzeuge" und gab Stimmfreigabe für die zweite Armeeinitiative "40 Waffenplätze sind genug" heraus. Die Werbeverbote für Tabak und Alkohol lehnte sie dagegen ab. Die Lega lancierte ein Referendum gegen ein Schweizer Kontingent von UNO-Blauhelmen, wobei sie von den SD unterstützt wurde.
 
Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU)
Die EDU unterstützte trotz europapolitischen Bedenken die Mehrwertsteuervorlage, allerdings nur den tieferen Satz und die Umwandlung der Zölle in Verbrauchssteuern [65].
Die EDU des Kantons Bern machte von sich reden, als sie die neue bernische Verfassung zur Ablehnung empfahl, weil der Begriff "Gott" nicht explizit in der Präambel erwähnt ist [66].
 
Auto-Partei (AP)
Fraktionschef Dreher (ZH) gab sein Amt an Steinemann (SG) weiter. Der geplante Rücktritt Scherrers (BE) als Präsident wurde wieder rückgängig gemacht, nachdem dieser administrative Aufgaben an die neu geschaffene Stelle eines geschäftsführenden Vizepräsidiums unter Nationalrat Borer (SO) abgeben konnte. In der Öffentlichkeit wurde der Wechsel in der Fraktionsspitze als Versuch der AP interpretiert, vom Bild einer Poltererpartei wegzukommen und dadurch zumindest bei den grossen bürgerlichen Parteien einen Image-Gewinn zu verbuchen [67].
Ohne Gegenstimmen lehnte die AP die Treibstoffzollerhöhung, die Initiative zur Abschaffung der Tierversuche und die beiden Armeeinitiativen ab. Ablehnung wurde auch zum Bundesbeschluss gegen den Waffenmissbrauch, gegen den Kantonswechsel des Laufentals, gegen alle vier Teile der Mehrwertsteuer sowie die Werbeverbotsinitiativen beschlossen [68]. Die AP unterstützte das von der Lega lancierte Referendum gegen die Blauhelmvorlage; Nationalrat Steinemann (SG) wurde Co-Präsident des Referendumskomitees [69].
Bei kantonalen Wahlen konnte die AP im Aargau sieben zusätzliche Sitze erobern und erreichte insgesamt 19 Mandate und 9,4% Wähleranteil. Im Kanton Solothurn hingegen stagnierte sie. Eine neue Sektion wurde im Kanton Zug, in welchem 1994 Wahlen stattfinden, gegründet [70].
 
Weiterführende Literatur
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Allgemeines
M. Satineau / J. Hottinger, Eléments de communication et du comportement des partis politiques, Lausanne 1993 (Travaux de science politique).
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Zu einzelnen Parteien
B. Degen, Sozialdemokratie: Gegenmacht?, Opposition?, Bundesratspartei? Die Geschichte der Regierungsbeteiligung der schweizerischen Sozialdemokraten, Zürich 1993.
M. Jufer / P. Anderegg, 75 Jahre SVP Kanton Bern, Bern 1993.
L. Rölli-Alkemper, Die Schweizerische Konservative Volkspartei 1935-1943. Politischer Katholizismus zwischen Emanzipation und Integration, Freiburg 1993.
SP Schweiz, Mit radikalen Reformen die Zukunft gestalten. Entwurf eines Wirtschaftsprogramms der SP-Schweiz für die Jahre 1993 bis 2005, erstellt von einer Arbeitsgruppe zuhanden des Parteivorstandes, Bern 1993.
K. Waldvogel, 75 Jahre SVP Kanton Schaffhausen. Von der Standes- zur Volkspartei. 1918-1993, Hallau 1993.
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M.R.
 
[1] BZ, 5.2.93; BüZ, 6.2.93.
[2] NZZ, 31.3.93. Siehe auch den ausführlichen Artikel zur Entwicklung der Parteienlandschaft in LZ, 11.5.93.
[3] Vgl. dazu oben, Teil I, 1c (Parlament).
[4] Presse vom 13.8.93.
[5] Verhandl. B.vers. 1993, V, S. 57 f.; NZZ, 22.9.93.
[6] SoZ, 17.8.93; BZ, 29.10.93; Bresche Magazin, 1993, Nr. 6, S. 7 ff. Vgl. dazu oben, Teil I, 1b (Strafrecht).
[7] NZZ und BZ, 24.4.93. Vgl. auch Politische Rundschau, 72/1993, Nr. 1 sowie Freisinn FDP, 1993, Nr. 5, S. 6 f.
[8] Presse vom 28.6.93.
[9] Presse vom 30.7.93; Bund, 17.8.93; NZZ und TA, 23.8.93; BZ, 24.8.93 (Polemik); Presse vom 29.10.93 (Innere Sicherheit). Vgl. auch Politische Rundschau, 72/1993, Nr. 4.
[10] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 978 ff. und 1689 f.; Verhandl. B.vers., 1993, V, S. 53 ff.
[11] Presse vom 26.4., 23.8. und 18.10.93.
[12] Presse vom 26.4.93 (Frauenförderung); Ww, 26.8.93; Presse vom 27.8. und 28.8.93 (Austritte).
[13] Bund und SGT, 29.1.93 (Revitalisierungsprogramm); Bund, 3.4.93; 24 Heures, 13.4.93; TA, 29.5.93; NQ, 1 1.8.93 (Profil); LNN und LZ 31.1.93; NQ, 16.4.93; BaZ, 17.4.93 (Aufspaltung); Presse vom 16.8.93 (Massnahmen).
[14] NZZ und Bund, 1.2.93 (Tagung); NZZ, 15.10.93 (Thesenpapier); Verhandl. B.vers., 1993, V, S. 53 (Motion).
[15] Presse vom 21.8.93.
[16] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 576 ff., 1387, 1958 f. und 2144 f.
[17] CVP-Pressedienst, 27.10.93; Presse vom 1.11.93.
[18] Presse vom 23.8.93.
[19] LNN, 1.9.93; TA, 4.10.93.
[20] NZZ, 22.3.93; TA, 22.10.93; Presse vom 25.10.93. Zur Volksinitiative vgl. oben, Teil I, 1c (Einleitung).
[21] Presse vom 8.2., 19.4., 23.8. und 1.11.93.
[22] WoZ, 19.2.93; TA, 20.2.93; SP-Pressedienst, 23.2. und 16.3.93; BZ, 4.3. und 5.3.93; Ww, 11.3.93 (Regierungsbeteiligung); Bund und LM, 13.3.93 (Mitgliedschaft); Presse vom 1.11.93; SGT, 2.11.93 (Tagung). Vgl. dazu SPJ 1984, S. 19 ff. und 213 ff.; oben, Teil I, 1c (Regierung) sowie Lit. Degen.
[23] BZ, 12.6., 14.6. und 17.6.93; TG, 11.6.93; Suisse und NQ, 14.6.93; TA, 15.6.93; Presse vom 17.6. und 11.9.93; WoZ, 18.6.93; L'Hebdo, 24.6.93.
[24] Blick, 4.11.93; Cash, 5.11.93; L'Hebdo, 25.11.93.
[25] NZZ, 26.4.93. Vgl. auch oben, Teil I, 7b (Suchtmittel).
[26] Presse vom 27.2.93.
[27] TA, 26.6.93; Presse vom 28.6., 7.9. und 18.10.93; SP-Pressedienst, 21.9.93; Ww, 23.9.93; SoZ, 10.10.93; Bresche Magazin, 1993, Nr. 12, S. 7 ff. (Kritik).
[28] SGT, 6.4.93; NQ und JdG, 29.4.93; WoZ, 30.4.93; SP-Pressedienst, 5.5.93; DP, 13.5.93; Presse vom 22.12.93.
[29] TW und SZ, 1.6.93; WoZ, 4.6.93.
[30] Presse vom 25.1., 26.4., 23.8. und 11.10.93.
[31] Zu den Wahlen siehe oben, Teil I, 1e. Statuten: BZ, 17.5.93.
[32] Presse vom 6.1.93; SGT, 9.1.93.
[33] Presse vom 9.1. und 11.1.93; NQ, 10.1.93. Vgl. auch SPJ 1992, S. 343 f. Zum Populismus siehe auch SGT, 1.2.93.
[34] Presse vom 12.1. und 25.1.93; NQ, 24.1.93. Vgl. auch SPJ 1992, S. 343 f.
[35] Presse vom 30.1.93; WoZ, 5.2.93; SVP-ja, 1993, Nr. 2, S. 12.
[36] Presse vom 22.2.93.
[37] Presse vom 15.11., 24.11. und 25.11.93; Ww, 2.12.93.
[38] Presse vom 14.6.93.
[39] Blick, 11.8.93; Presse vom 12.8. und 16.8.93; L'Hebdo, 19.8.93; SVP ja, 1993, Nr. 5/6, S. 2 f. Vgl. auch SVP-Broschüre "GATT. Klipp und klar", Bern 1993.
[40] Presse vom 12.10.93. Vgl. auch oben, Teil I, 7d (Flüchtlinge).
[41] Presse vom 25.1., 19.4., 16.8. und 25.10.93.
[42] Presse vom 27.9.93.
[43] JdG, 20.2.93; Presse vom 22.2.93.
[44] Presse vom 22.2., 17.5., 6.9. und 8.11.93.
[45] NZZ, 4.1.93.
[46] SoZ, 29.8.93.
[47] Presse vom 1.2., 26.4., 6.9. und 25.10.93.
[48] TA, 29.7.93.
[49] NZZ, 8.2. und 25.10.93; BZ, 30.8.93.
[50] Ww, 2.9.93; Presse vom 3.9., 4.9. und 6.9.93; Bresche Magazin, 1993, Nr. 10, S. 27 ff. Zur Absatzbewegung bei der Wählerschaft siehe auch Ww, 4.11.93 und BZ, 25.11.93.
[51] LZ, 16.12.93; LNN, 18.12.93.
[52] TA, 21.6.93; Info Grüne, 1993, Nr. 15.
[53] Presse vom 1.2. und 6.9.93.
[54] TA, LZ und LNN, 21.12.93.
[55] Bund, 22.1.93; Presse vom 3.2.93; Ww, 4.2.93; WoZ, 5.2.93.
[56] VO, 27.5.93; Suisse, 9.6.93.
[57] LZ, 12.7.93; NQ, 27.8.93; VO, 2.9.93. Vgl. auch SPJ 1991, S. 352 f. und 1992, S. 347.
[58] TA, 18.10.93.
[59] Bund, 31.8.93; JdG, 17.11.93.
[60] BZ, 23.7.93.
[61] NZZ, 8.2.93; JdG, 10.5.93; BaZ, 30.8.93; NZZ, 30.10.93.
[62] Presse vom 25.1. und 27.1.93; NZZ und CdT, 26.1.93; Suisse, 29.1.93.
[63] CdT, 25.5., 28.5. und 29.5.93; Bund 1.6.93 (Verurteilung); NZZ, 3.11.93; L'Hebdo, 4.11.93; WoZ, 5.11.93 (altra notizia).
[64] CdT, 11.9.93; Presse vom 13.9.93.
[65] Zu den Parteitagen: DAZ, 8.2.93; BaZ, 26.4.93; Bund, 11.10.93 (MWSt).
[66] Bund, 22.4.93. Siehe auch oben, Teil I, 1a (Kantonale Verfassungen).
[67] SGT, 23.2. und 14.4.93; WoZ, 19.3.93; NZZ, 29.3.93.
[68] NZZ, 8.2., 3.5., 6.9. und 8.11.93.
[69] BZ, 21.7.93.
[70] LZ, 30.1.93.
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