Année politique Suisse 1993 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Bürger- und Stimmrecht
print
Bürgerrecht
Beide Parlamentskammern hiessen den im Vorjahr vom Bundesrat vorgeschlagenen Verfassungsartikel für eine Erleichterung der Einbürgerung junger Ausländer und Ausländerinnen gut. Gemäss den Ausführungen von Bundesrat Koller im Ständerat ist vorgesehen, dass für in der Schweiz geborene oder in die Schule gegangene Jugendliche im Alter zwischen 16 und 24 Jahren das Verfahren vereinfacht, die vorgeschriebene Wohnsitzdauer in der Einbürgerungsgemeinde verkürzt und die Gebühren reduziert werden sollen. Im Ständerat erwuchs dem Vorschlag keine Gegnerschaft; im Nationalrat opponierten SD/Lega, die AP sowie der Freisinnige Giger (SG). Der neue Verfassungsartikel wurde hier mit 113 zu 19 Stimmen angenommen [8].
Nachdem der Nationalrat im Vorjahr der parlamentarischen Initiative Ducret (cvp, GE) für eine Halbierung der für die Einbürgerung geforderten minimalen Wohnsitzpflicht Folge gegeben hatte, arbeitete eine Kommission einen konkreten Vorschlag aus. Sie schlug vor, die erforderliche Wohnsitzdauer für die ordentliche Einbürgerung von 12 auf 6 Jahre (wovon 3 während der letzten 5 Jahre vor der Gesuchseinreichung) zu halbieren. Dabei sollen aber die zwischen dem 10. und 20. Altersjahr in der Schweiz verbrachten Jahre nicht mehr wie heute doppelt angerechnet werden. Eine bürgerliche Minderheit in der Kommission beantragte hingegen eine Verkürzung auf 8 Jahre unter Beibehaltung der doppelten Anrechnung der Jugendjahre. Die Fristen bei den verschiedenen Formen der erleichterten Einbürgerung möchte die Kommission nicht generell verkürzen, sondern nur für Kinder mit einem schweizerischen Elternteil [9].
Der Nationalrat gab auf Antrag der vorberatenden Kommission und gegen den Widerstand der beiden St. Galler Giger (fdp) und Steinemann (ap) auch einer parlamentarischen Initiative Zisyadis (pda, VD) Folge, welche verlangt hatte, dass sich staatenlose, in der Schweiz geborenen Kinder bereits vor dem 16. Altersjahr einbürgern lassen können [10].
top
 
print
Stimmrecht
Das Anliegen der Einführung des Wahl- und Stimmrechts für niedergelassene Ausländer konnte auch im Berichtsjahr keinen Durchbruch verzeichnen. In Genf empfahl das Parlament zwei Volksinitiativen für die Einführung des integralen resp. lediglich des aktiven Stimm- und Wahlrechts zur Ablehnung. Die beiden Begehren wurden vom Volk am 6. Juni resp. am 28. November mit jeweils 71% Nein-Stimmen abgelehnt [11]. Im Kanton Bern beantragte die Regierung immerhin, der 1992 eingereichten Volksinitiative einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen, der die fakultative Einführung auf Gemeindeebene erlaubt. Sie entsprach damit einer vom Parlament im Rahmen der Totalrevision der Verfassung überwiesenen Motion. Im Kanton Zürich folgte das Volk der Empfehlung von Regierung und Parlament und lehnte eine Volksinitiative für das fakultative kommunale Ausländerstimmrecht mit 74% Nein-Stimmen deutlich ab. In Basel-Stadt sprachen sich Regierung und Parlament gegen eine Volksinitiative für das kantonale Ausländerstimmrecht aus [12]. Neue Volksinitiativen für das Ausländerstimmrecht auf kantonaler Ebene resp. für die fakultative gemeindeweise Einführung wurden im Berichtsjahr in den Kantonen Freiburg und Aargau eingereicht. Die im Tessin im Vorjahr lancierte Initiative erreichte die erforderliche Unterschriftenzahl nicht [13].
Auf Bundesebene lehnte der Nationalrat zwei Vorstösse zum Ausländerstimmrecht ab. Zum einen die parlamentarische Initiative Zisyadis (pda, VD) für die Einführung des Stimm- und Wahlrechts für seit mindestens 10 Jahre ansässige Ausländer, zum anderen aber auch eine Motion der linken Kommissionsminderheit, welche dieses Recht vorerst nur auf Gemeindeebene einführen wollte [14].
 
[8] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 663 ff. und 1132; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2346 ff. und 2591; BBl, 1993, IV, S. 564. Vgl. SPJ 1992, S. 24 f.
[9] BBl, 1993, III, S. 1388 ff. Vgl. SPJ 1992, S. 24.
[10] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1944 ff.
[11] JdG, 13.3., 7.6. und 29.11.93. Vgl. auch unten, Teil II, 1b sowie SPJ 1992, S. 25.
[12] BE: Bund, 11.8.93. ZH: TA, 20.4. und 27.9.93. BS: BaZ, 2.6. und 16.9.93.
[13] FR: Lib., 20.3. und 30.6.93. AG: AT, 22.1.93. Tl: CdT, 14.1.93.
[14] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1364 ff. und 1368. Vgl. SPJ 1992, S. 25.