Année politique Suisse 1993 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung / Strafrecht
Erstmals seit 1988 ist 1992 die Gesamtheit der bei der Polizei angezeigten Verbrechen und Vergehen wieder zurückgegangen. Ausschlaggebend für diese Entwicklung war eine Abnahme bei den gemeldeten Diebstählen; die angezeigten Gewaltdelikte wie Raub oder Körperverletzung nahmen jedoch weiterhin zu
[25]. Die wachsende Angst eines Teils der Bevölkerung, Opfer eines Verbrechens zu werden, liess die öffentliche resp. die
innere Sicherheit auch zu einem wichtigen politischen Thema werden. Nach einer recht emotionalen Debatte im Sommer präsentierten im Oktober sowohl die FDP als auch die CVP ihre Thesen und Vorschläge zu dieser Problematik. Bei der Ursachenforschung vermieden beide Parteien Schuldzuweisungen an politische Gegner oder bestimmte Bevölkerungsgruppen. Sie machten für die wachsende Kriminalität eher allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen wie zunehmende Anonymität und Wertewandel verantwortlich. Als Gegenmittel schlugen sie einen Ausbau der Strafverfolgungs- und -vollzugsbehörden vor, was freilich nicht ohne zusätzliches Personal und neue Strafvollzugsanstalten zu bewerkstelligen wäre. Auch Exponenten der SVP äusserten sich in ähnlicher Weise. Bundesrat Koller beauftragte eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe mit der Abklärung der Frage, welche Beiträge das EJPD zur Verbesserung der Situation leisten kann
[26]. Wenig Resonanz fand dieses Thema bei der SP, die zwar ebenfalls Vollzugsprobleme konstatierte, sonst aber den Verdacht äusserte, dass dieses Thema von den bürgerlichen Parteien hochgespielt werde, um von den wirtschaftlichen Problemen abzulenken und um Wählerstimmen zu erobern. Zumindest im lokalen Rahmen wurde ihre Anschuldigung bestätigt, als die Zürcher SVP in Wahlkampfinseraten die "Linken und Netten" für die zunehmende Kriminalität verantwortlich machte
[27].
Besondere
Vollzugsprobleme zeigten sich im Kanton Zürich. Vor allem als Folge der Konzentration des schweizerischen Drogenmarktes auf die Stadt Zürich waren die Gefängnisse oft dermassen überfüllt, dass die Polizei auf Verhaftungen verzichten musste, oder dass Gefangene, bei denen die Landesverweisung vollzogen werden konnte, vorzeitig entlassen wurden. Der Zürcher Regierungsrat Leuenberger (sp) kündigte gegen Jahresende den Bau von neuen Vollzugsanstalten an. Die von Zürcher Politikern aufgestellte Forderung nach einem Einsatz der Armee im Strafvollzug wurde von EMD-Chef Villiger umgehend und kategorisch abgelehnt
[28].
[26] FDP: NZZ, 29.10.93; Politische Rundschau, 72/1993, Nr. 4. CVP: Presse vom 1.11.93. SVP: BZ, 13.10.93. Koller: SGT, 29.10.93; BaZ, 28.12.93. Siehe auch A. Koller in Documenta, 1993, Nr. 3, S. 18 ff.
[27] BaZ, 29.10.93; TA, 10.11. und 12.11.93; NZZ, 16.11.93.
[28] Entlassungen: TA, 2.6. und 7.9.93. Bauprogramm: TA, 9.12. und 17.12.93. Militär-Einsatz: SoZ und Sonntags-Blick, 12.12.93; Presse vom 14.12.93. Vgl. zur Belegung der Gefängnisse auch NZZ, 27.12.93 sowie D. Droesch, "Strafvollzug. Es darf gebaut werden", in Plädoyer, 11/1993, Nr. 5, S. 10 ff.
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