Année politique Suisse 1993 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
Verwaltung
In der Dezembersession des Vorjahres hatten beide Parlamentskammern mit Motionen verlangt, dass in Zeiten angespannter Bundesfinanzen und schlechter Wirtschaftslage der
Teuerungsausgleich für das Bundespersonal nicht mehr vollständig gewährt werden muss
[29]. Im Oktober legte der Bundesrat eine Botschaft vor, in welcher er die Aufhebung des im Sommer 1992 erneuerten Bundesbeschlusses über den Teuerungsausgleich beantragte und vorschlug, mit einer entsprechenden neuen Bestimmung im Beamtengesetz der Regierung die Kompetenz zur Festlegung dieses Ausgleichssatzes zu erteilen. Die Bestimmung selbst ist dabei allgemein gehalten; in der Botschaft wird aber versichert, dass die Regierung, wie vom Parlament gefordert, bei der Festsetzung des Teuerungsausgleichs auf die Bundesfinanzen und die wirtschaftliche Lage Rücksicht nehmen werde.
Mit dieser
Revision des Beamtengesetzes soll auch die 1990 vom Parlament verlangte
Flexibilisierung der Anstellungsverhältnisse bei Kaderstellen ermöglicht und die Grundlage für die Einführung einer Leistungskomponente bei Lohnerhöhungen geschaffen werden. Das wichtigste Element bei der Flexibilisierung besteht in der Ersetzung der vierjährigen Amtsdauer für die zur Zeit knapp 500 Kaderstellen der Überklasse (inkl. PTT und SBB) durch ein kündbares öffentlichrechtliches Anstellungsverhältnis. Allzuweit soll diese Flexibilisierung allerdings nach dem Willen des Bundesrates nicht gehen. Die durch eine Abgangsentschädigung im Umfang von maximal zwei Jahreslöhnen versüsste Auflösung des Dienstverhältnisses ist nur für politisch und strategisch wichtige Kaderposten vorgesehen. Bei allen übrigen soll ein Anspruch auf eine Weiterbeschäftigung in anderer Funktion bestehen, wobei noch zwei Jahre lang der bisherige Lohn ausbezahlt wird
[30].
Das stark angewachsene Budgetdefizit veranlasste den Bundesrat im November zu
Sofortmassnahmen in der Frage des Teuerungsausgleichs für das Bundespersonal. Er beantragte einen dringlichen Bundesbeschluss, um bereits für das Budget 1994 ein Abweichen vom vollen Ausgleich zu ermöglichen und den für 1994 auszubezahlenden Teuerungsausgleich bei einer erwarteten Teuerung von 2,7% auf 1,7% festzusetzen. Gegen den Widerstand der Sozialdemokraten Onken (TG) und Plattner (BS) sowie der beiden Tessiner Vertreter Salvioni (fdp) und Morniroli (lega) fand dieser Antrag im Ständerat Zustimmung. Auch im Nationalrat blieben die Sozialdemokraten mit ihrem Nichteintretensantrag mit 106 zu 43 Stimmen in der Minderheit. Der Nationalrat wollte vorerst noch weiter gehen, und den Bundesrat explizit dazu ermächtigen, auf hohen Einkommensteilen keinen Teuerungsausgleich zu entrichten. Schliesslich fügte er sich aber dem Ständerat, der damit argumentiert hatte, dass diese Option bereits mit der durch ihn in den Beschluss eingeführten Bestimmung gewährleistet sei, dass soziale Aspekte zu berücksichtigen seien. Gegen den Widerstand der Linken und der Lega stimmten beide Räte der Dringlichkeitsklausel zu. Mit dem Verzicht auf den vollen Ausgleich der Teuerung folgte der Bund dem Beispiel, das mehr als die Hälfte der Kantone bereits 1992 gegeben hatten
[31].
Die
sprachliche Zusammensetzung des Personals der allgemeinen Bundesverwaltung hat sich in den letzten Jahren der Verteilung der Sprachgruppen unter den Schweizer Bürgern angepasst: die Deutschsprachigen waren im Dezember 1993 bei einem Bevölkerungsanteil von 73,4% mit einer Quote von 74,4% nur noch geringfügig übervertreten. Diese Entwicklung ist zu einem guten Teil gezielten Massnahmen bei der Rekrutierung zu verdanken. Der Nationalrat überwies eine Motion Comby (fdp, VS), welche verlangt, dass die entsprechenden Weisungen präzisiert und verbindlich erklärt werden, um den Anteil der Nichtdeutschsprachigen weiter zu verbessern
[32].
Das Parlament hatte 1989 mit der Überweisung einer Motion der PUK-EJPD die Trennung der bis jetzt in der Funktion des
Bundesanwalts vereinigten Aufgaben des öffentlichen Anklägers und des Leiters der Ermittlungen der gerichtlichen Polizei verlangt. Um dieses Ziel zu verwirklichen, schlug der Bundesrat nun eine Änderung des Gesetzes über die Bundesrechtspflege vor. Er beantragte dabei, die gerichtliche und die präventive (politische) Polizei vollständig der Bundespolizei zuzuordnen und die Bundesanwaltschaft zu einer kleinen, vom Parlament gewählten und vom Bundesrat unabhängigen Anklagebehörde des Bundes umzugestalten
[33]. Im Dezember wählte der Bundesrat
Carla del Ponte als Nachfolgerin für den auf Ende Jahr zurücktretenden Willy Padrutt zur neuen Bundesanwältin. Die Tessinerin hatte sich als kantonale Staatsanwältin einen ausgezeichneten Ruf als mutige Kämpferin gegen das internationale organisierte Verbrechen geschaffen
[34].
Die vom Nationalrat im Vorjahr überwiesene Motion, welche den Bundesrat beauftragt, die von der Verwaltung ausgeübten Tätigkeiten systematisch auf Einsparungsmöglichkeiten hin zu überprüfen, überwies der Ständerat bloss als Postulat, da seiner Ansicht nach entsprechende Aufträge bereits erteilt und rechtlich festgeschrieben worden sind
[35].
Für eine offenere Informationspolitik der Bundesverwaltung setzte sich Nationalrat Hess (cvp, ZG) ein. Mit einer Motion verlangte er die
Ersetzung des heute geltenden Vertraulichkeitsprinzips durch den Grundsatz Öffentlichkeit mit Geheimnisvorbehalt, wie ihn Schweden, Frankreich, die Niederlande, die USA, Kanada, Australien und — mit der neuen Verfassung — auch der Kanton Bern kennen. Nachdem Arnold Koller angekündigt hatte, dass der Bundesrat noch in dieser Legislatur über ein Modell für eine verbesserte Transparenz über Verwaltungsvorgänge entscheiden werde, wandelte der Rat den Vorstoss in eine Postulat um
[36].
[29] Vgl. SPJ 1990, S. 39 und 1992, S. 36 f. Die Motion des NR fand auch im StR Zustimmung (Amtl. Bull. StR, 1993, S. 362). Diejenige des StR, welche auf die explizite Erwähnung der Berücksichtigung der sozialen Aspekte verzichtet hatte, wandelte der NR in ein Postulat um (Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1178).
[30] BBl, 1993, IV, S. 512 ff.; Presse vom 22.10.93.
[31] BBl, 1993, IV, S. 249 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 851 ff., 961, 985 und 1132; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2212, 2286 ff. und 2591; BBl, 1993, IV, S. 565; AS, 1993, S. 3294; Presse vom 2.11.93. Vgl. SPJ 1992, S. 35 f. Siehe auch unten, Teil I, 5 (Voranschlag 1994). Kantone: AT, 6.1.93; NZZ, 30.10.93.
[32] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2521. Unter den im Frühjahr grösstenteils neu gewählten 3063 Mitgliedern der 255 ausserparlamentarischen Kommissionen sind die Französischsprachigen mit einem Anteil von 28% zu Lasten der Deutschsprechenden überproportional vertreten (AT, 12.8.93).
[33] BBl, 1993, III, S. 669 ff.; Presse vom 19.8.93. Vgl. SPJ 1989, S. 23 f.
[35] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 362 ff.
[36] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 981 f. Siehe auch unten, Teil I, 8c (Offizielle Informationstätigkeit) sowie Teil II, 1a (Berner Verfassung).
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