Année politique Suisse 1993 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Volksrechte
Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats veröffentlichte ihren Bericht zur parlamentarischen Initiative Zwingli (fdp, SG) für ein
Verbot von rückwirkenden Bestimmungen in Volksinitiativen. Die Kommissionsmehrheit beantragte, durch eine Revision von Art. 121 BV derartige Bestimmungen zu verbieten, da diese rechtsgültige Entscheide annullierten und damit die Rechtssicherheit gefährdeten. Eine praktisch gleich starke Minderheit sprach sich für die Beibehaltung der bisherigen liberalen Praxis aus. Ein Grund, weshalb Volksinitiativen in letzter Zeit oft mit Rückwirkungsklauseln versehen waren, bestand darin, dass sich nach Ansicht der Initianten die Behandlung ihres Begehrens ungebührlich verzögert hat. In der Kommission war der Antrag unbestritten, dass die maximale Behandlungsfrist für Volksinitiativen nicht mehr bis zum Abschluss der parlamentarischen Behandlung, sondern bis zur Volksabstimmung vier Jahre betragen soll. Der Bundesrat stellte sich in seiner Stellungnahme in bezug auf die Rückwirkung hinter den Nichteintretensantrag der Minderheit und schlug zudem vor, die Behandlungsfristen nicht auf Verfassungsstufe sondern im Rahmen der Revision des Gesetzes über die politischen Rechte zu regeln (s. oben)
[56].
Im
Nationalrat plädierten die Fraktionen der SP, der Grünen, von LdU/EVP und der SD/Lega sowie auch Bundeskanzler Couchepin im Namen des Bundesrates für Nichteintreten, blieben aber mit 95:69 Stimmen in der Minderheit. In der Detailberatung stimmte der Rat dem Verbot der Rückwirkungsklauseln zu. In bezug auf die maximale Behandlungsfrist für Initiativen beschränkte er sich darauf, in die Verfassung nur das Prinzip aufzunehmen, die Bestimmung dieser Frist jedoch dem Ausführungsgesetz zu überlassen
[57].
Die
Staatspolitische Kommission des Ständerats beschloss mit 6 zu 3 Stimmen, dem Plenum Nichteintreten auf das vom Nationalrat beschlossenen Verbot der Rückwirkung zu beantragen. Ein gewisser Handlungsbedarf ist allerdings auch für die Kommission gegeben, unter anderem auch bei der Behandlung von Initiativen, welche völkerrechtliche Verpflichtungen tangieren. Sie reichte deshalb eine Motion für eine umfassende Regelung der Gültigkeit von Volksinitiativen ein
[58].
Aus den Reihen der nationalrätlichen Gegner eines Verbots von rückwirkenden Bestimmungen wurde der Vorschlag gemacht, dass Geschäftsverkehrsgesetz dahingehend zu ändern, dass die Bundesversammlung auch Verwaltungsakte von ausserordentlicher Tragweite wieder in der Form eines referendumsfähigen allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses verabschieden kann, wie dies bis 1962 möglich war. Die Fronten im Nationalrat waren dieselben wie in der Frage des Verbots rückwirkender Bestimmungen: die bürgerliche Mehrheit lehnte die mit einer parlamentarischen Initiative Rechsteiner (sp, SG) angestrebte Erweiterung der direktdemokratischen Rechte ab
[59].
Der Nationalrat lehnte auf Antrag einer Mehrheit seiner Staatspolitischen Kommission auch die beiden parlamentarischen Initiativen Rychen und Seiler (beide svp, BE) für eine
Erhöhung der Unterschriftenzahl bei Referenden resp. Volksinitiativen ab. Hauptargument für die Initianten, die auch von den Mehrheiten der Fraktionen der FDP, der CVP und der SVP unterstützt wurden, war die Tatsache, dass seit der Einführung dieser Instrumente der geforderte Anteil der Unterzeichnenden am Total der Stimmberechtigten von 4,6% auf 1,1% (Referendum) resp. von 7,7 % auf 2,2% (Initiative) abgesunken ist
[60].
Im
Kanton Bern hiess das Volk in einer Variantenabstimmung zur neuen Kantonsverfassung die
Einführung des Konstruktiven Referendums gut. In Zukunft werden damit Referendumskomitees nicht bloss eine Volksabstimmung über einen Parlamentsbeschluss verlangen, sondern diesem auch einen konkreten Gegenvorschlag gegenüberstellen können
[61].
[56] BBl, 1993, Il, S. 204 ff. und 222 ff.; Presse vom 8.4.93; Bund, 27.4.93. Vgl. SPJ 1992, S. 41 f. Siehe auch Lit. Graf und Wili.
[57] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 793 ff. und 818 ff.; Presse vom 29.4.93.
[59] BBl, 1993, II, S. 204 ff. und 222 ff.; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 821 ff. Vgl. SPJ 1992, S. 42.
[60] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1293 ff. und 1342 ff.; BZ, 17.6.93; Presse vom 18.6.93. Vgl. SPJ 1992, S. 42.
[61] Vgl. dazu unten, Teil II, 1a. Siehe auch SPJ 1992, S. 41 sowie Lit. Bolz und Longchamp.
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