Année politique Suisse 1993 : Allgemeine Chronik / Landesverteidigung / Militärorganisation
In Ausführung einer 1991 von beiden Kammern angenommenen Standesinitiative des Kantons Jura betreffend Abschaffung des Militärpflichtersatzes für Invalide legte der Bundesrat dem Parlament seinen
Vorschlag für eine entsprechende Gesetzesrevision vor. Anders als der Initiativtext wollte er die Befreiung jedoch nicht generell gewähren, sondern nur grosszügigere Berechnungskriterien einführen. So sollte der Militärpflichtersatz entfallen, wenn die Einkünfte des Behinderten das betreibungsrechtliche Minimum um nicht mehr als 100% übersteigen (bisher 50%). Für die weiterhin ersatzpflichtigen Behinderten wollte der Bundesrat die Abgabe um die Hälfte reduzieren, das Minimum jedoch von 120 auf 150 Fr. anheben
[26].
Die Argumentation des Bundesrates, eine völlige Befreiung der Invaliden würde de facto zur Aufgabe des Militärpflichtersatzes führen, da damit jede Dienstuntauglichkeit im weitesten Sinn als Invalidität qualifiziert werden könnte, stiess bei den Behindertenorganisationen auf Unverständnis. Sie verlangten, dass für die Erlassung des Militärpflichtersatzes nicht eine Einkommenslimite festgesetzt, sondern eine Liste jener Gebrechen erstellt werde, die Anrecht auf Befreiung geben. Schliesslich sei es ja das Militär, welches die Invaliden aufgrund ihrer Behinderung ausgrenze. Stossend sei auch, dass Gruppen wie Parlamentarier, Bahn-, Zoll- und Polizeibeamte, Spital- und Gefängnisverwalter sowie Pfarrer ohne Massgabe ihres Einkommens befreit seien, die Forderung der Behinderten aber mit Verweis auf den Wehr- und Gleichheitsartikel der Verfassung abgeschlagen werde
[27].
Der
Ständerat schlug einen Mittelweg ein. Er lehnte eine generelle Befreiung, wie sie ein Antrag Plattner (sp, BS) verlangte, zwar ebenfalls ab, wählte als Abgrenzungskriterium jedoch zusätzlich den Bezug einer Invalidenrente oder Hilflosenentschädigung, um sicherzustellen, dass inskünftig nur noch leichter Behinderte in gutsituierten Verhältnissen eine Ersatzabgabe leisten müssen. Für Bund und Kantone würde die neue Regelung jährliche Mindereinnahmen von fünf bis zehn Mio Fr. bedeuten
[28].
Linksgerichtete Kreise aus der Romandie — unter ihnen alt Nationalrätin Françoise Pitteloud (sp, VD) und Nationalrat Jean Ziegler (sp, GE) — starteten eine
Volksinitiative für "eine Schweiz ohne Militärpflichtersatz". Das Volksbegehren, welches die Unterstützung der GSoA und der Genfer SP geniesst, visiert nicht nur die Behinderten, sondern alle an, die — aus welchen Gründen auch immer — keinen Militär- oder Ersatzdienst leisten, und versteht sich als Beitrag zu einer Entmilitarisierung der Schweiz
[29].
[26] BBl, 1993, II, S. 730 ff. Siehe auch SPJ 1991, S. 102 und 256 sowie 1992, S. 95.
[28] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 775 ff.
[29] BBl, 1993, I, S. 1594.
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