Année politique Suisse 1993 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen / Bundesfinanzordnung
Rund vier Monate vor der Volksabstimmung
eröffneten die grossen Wirtschaftsverbände die Kampagne für ein Ja zur Mehrwertsteuer. Der Arbeitgeberverband, der Vorort, die Wirtschaftsförderung, der Gewerbeverband (SGV) und auch der Verband Schweizerischer Maschinenindustrieller (VSM) äusserten sich grundsätzlich positiv zum Systemwechsel, liessen aber — abgesehen vom SGV, der den Satz von 6,2% unterstützte — noch nichts zur Höhe des Satzes verlauten, den sie ihren Mitgliedern empfehlen wollten
[7].
Die
Dachverbände des Gastgewerbes und der Coiffeure, deren Dienstleistungen der bisherigen WUSt nicht unterstellt waren, empfahlen ihren Mitgliedern die Ablehnung des Systemwechsels. Die Gegnerschaft gruppierte sich hauptsächlich um den Schweizerischen Wirteverband, der Führungsfunktion übernahm. Daneben engagierten sich auch die politischen Randparteien wie zum Beispiel die
Schweizer Demokraten (SD) und die
PdA. Exponenten der
Grünen Partei — vorwiegend aus der deutschsprachigen Schweiz — bildeten ein links-grünes gegnerisches Komitee, weil sie einen verstärkten Arbeitsplatzabbau durch die bevorzugte Behandlung von kapitalintensiven Investitionen befürchteten. Schützenhilfe erhielten die bürgerlichen Gegner von gewissen Kantonalsektionen der FDP und der SVP vor allem betreffend die Satzerhöhung und die Massnahmen zugunsten der Sozialversicherung. Der Schweizer Tourismus-Verband (STV) machte seine Zustimmung zum Systemwechsel und zur Höhe des Steuersatzes von der Einführung eines Sondersatzes in der Höhe von zwei Prozent zugunsten seiner Branche abhängig. Im Rahmen des Artikels acht der Übergangsbestimmungen der Vorlage hätte der Bundesrat die Kompetenz, für exportabhängige Dienstleistungszweige einen tieferen Satz vorzuschlagen, der vom Parlament noch bewilligt werden müsste. In der Annahme, der Bundesrat würde den Hoteliers einen reduzierten Satz gewähren, hatte der Hotelierverein seinen. Mitgliedern ein Ja zum Systemwechsel empfohlen, musste aber auf seinen Entscheid zurückkommen, um wie der Tourismus-Verband die Zustimmung vom Versprechen eines niedrigeren Satzes zugunsten der Hotellerie abhängig zu machen. Die Tourismusbranche hoffte darauf, ihre Anliegen mittels einer Motion Nationalrat Bezzolas (fdp, GR) durchzusetzen; im Ständerat wurde eine gleichlautende Motion von Küchler (cvp, OW) eingereicht
[8].
Der Schweizerische Bauernverband (SBV) empfahl seinen Mitgliedern die Annahme der Mehrwertsteuer mit dem höheren Satz. Der Gewerkschaftsbund unterstützte ebenfalls den Systemwechsel und den höheren Satz, obwohl sich durch die lineare Verbrauchssteuer — relativiert durch den niedrigeren Steuersatz für lebensnotwendige Güter des täglichen Gebrauchs — gewisse Nachteile für die Konsumenten und Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen ergeben. Der Beschluss blieb deshalb vor allem innerhalb des linken Flügels umstritten. Auch die Bankiervereinigung empfahl den Systemwechsel zum höheren Satz
[9].
Im Schweizerischen Aktionskomitee "Für eine moderne Finanzordnung", an dem sich die drei bürgerlichen Bundesratsparteien, die LP und der LdU beteiligten, fehlten die SP und die GP. Letztere hatte Stimmfreigabe zum Systemwechsel beschlossen, unterstützte jedoch die drei übrigen Vorlagen zur Ausgestaltung der Mehrwertsteuer. Nachdem die Wirtschaftsförderung der SP zugesichert hatte, sich einer Empfehlung für den tieferen Steuersatz zu enthalten, empfahl die Parteispitze dem Vorstand den Systemwechsel zur Annahme. Alle vier Regierungsparteien sowie der LdU und die EVP empfahlen viermal Ja zu den Mehrwertsteuervorlagen. Innerhalb der SVP scherten allerdings drei kleine Kantonalparteien in bezug auf den Systemwechsel aus, wobei die Sektionen Luzern und Zug ein Nein empfahlen und Genf Stimmfreiheit herausgab. Die Liberalen befürworteten hingegen nur den Systemwechsel und die Umwandlung der Zölle in Verbrauchssteuern
[10].
[7] Presse vom 9.7.93. Vgl. auch wf, Dok., 12.7., 20.9., 18.10. und 29.11.93; DP, 11.11.93.
[8] Gastgewerbe, Coiffeure: NQ, 13.7.93; NZZ, 28.10.93; Bund, 30.10.93. Tourismus: Presse vom 3.9.93; NZZ, 4.9.93; Bund, 2.11.93. Hoteliers: BüZ, 14.9.93. Links-grüne: NQ, 5.11.93; WoZ, 19.11.93. Vgl. auch VO, 24.6.93; NQ, 6.7.93; SoZ, 31.10.93 (Gegnerschaft allgemein). Motionen: Verhandl. B.vers., 1993, V, S. 65 und 146.
[9] NZZ, 24.9.93 (SBV). SGB: Presse vom 7.9.93. Bankiers: Bund, 8.9.93.
[10] TA, 7.10.93 (SP, wf); BZ, 25.10.93 (Regierungsparteien).
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