Année politique Suisse 1993 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
 
Raumplanung
In der Märzsession behandelte der Nationalrat eine Motion des Ständerats, welche auf eine Standesinitiative des Kantons Wallis zurückging und eine Vereinfachung und Beschleunigung der Baugenehmigungsverfahren forderte. Auf Antrag seiner Kommission und gegen den Willen Bundesrat Kollers, der rechtliche Massnahmen im Bereich der Raumplanung sowie die Erstellung der Machbarkeitsstudie "Verbesserung der Koordination der Entscheidverfahren für bodenbezogene Grossprojekte" durch die Verwaltungskontrolle des Bundesrates ankündigte, überwies der Rat die Vorlage als Motion [1].
Eine Motion von Nationalrat Baumberger (cvp, ZH) für die Schaffung eines Rahmengesetzes des Bundes für baurechtliche Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren, welche 65 Ratsmitglieder hinter sich vereinen konnte, wurde von Haering-Binder (sp, ZH) bekämpft und damit der Diskussion vorläufig entzogen [2].
Ende September gab der Bundesrat die versprochene Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG) in die Vernehmlassung. Darin sieht er, durch Anpassungen und Vereinheitlichung der kantonalen Gesetzgebungen, Massnahmen im Bereich der Behandlungsfristen sowie der Koordination der Bewilligungsverfahren vor. Zum einen wären danach die heute oft vielfältigen Bewilligungsverfahren zu koordinieren, wobei dazu von den Kantonen eine Koordinationsstelle geschaffen werden soll. Auch für Beschwerden sollen entweder einheitliche kantonale Rekursinstanzen eingerichtet werden, welche die verschiedenen Verfahren in einem einzigen Entscheid beurteilen, oder ein einheitliches Verfahren soll bei der letzten kantonalen Instanz sichergestellt werden. Zum anderen wären verbindliche Fristen zur Behandlung der Bewilligungsverfahren, mit der Möglichkeit von Sanktionen, in die kantonalen Gesetzgebungen einzufügen [3].
In der Vernehmlassung wurden die bundesrätlichen Vorschläge unterschiedlich beurteilt. Unter den Bundesratsparteien erachteten die drei bürgerlichen Gruppierungen die Massnahmen als grundsätzlich richtig, wenn sie auch nur Minimalforderungen entsprächen und in der eingeschlagenen Richtung fortzuführen seien, während die SP sie generell ablehnte. Nach ihrer Meinung, die sie mit den Grünen sowie den Umweltschutzverbänden teilte, dürfe die Forderung nach Vereinfachung der Verfahren nicht auf Kosten des Umwelt- und Landschaftsschutzes gehen. Der Schweizerische Baumeisterverband dagegen forderte eine stärkere Einschränkung des Beschwerderechts. Unter den Kantonen reagierten die meisten positiv, waren sich jedoch in der Frage der Umsetzung der Massnahmen nicht einig. Völlig ablehnend äusserte sich vor allem der Zürcher Regierungsrat [4].
In mehreren Kantonen, namentlich Bern, Freiburg, Obwalden und Thurgau, legten die Regierungen Gesetzesanträge zur Vereinfachung der Bewilligungsverfahren vor. Als erster Kanton versuchte der Aargau, die Baubewilligungsfristen rechtlich festzuschreiben. In dem vom Aargauer Regierungsrat vorgelegten "Fristen-Dekret" sind Grenzen von insgesamt höchstens acht Monaten für die Bewilligung von Baugesuchen und allfällige Einsprachen vorgesehen. Das Dekret ist Ausfluss des am 6. Juni in der kantonalen Volksabstimmung angenommenen neuen Baugesetzes [5].
Ebenfalls im Aargau sowie den angrenzenden südbadischen Gebieten (BRD) wurde im Sommer 1993 ein zweijähriges Pilotprojekt für eine grenzüberschreitende raumplanerische Zusammenarbeit eingeleitet. Mit dem "Strukturmodell Hochrhein" soll in den Regionen Mumpf-Säckingen sowie Zurzach-Waldshut/Tiengen erstmals über reinen Informationsaustausch hinausgehende konkrete Planungsarbeit zur Schaffung einer Grundlage für die Entwicklung günstiger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und ökologisch verträglicher Raumplanung geleistet werden. Das Projekt wird zu 40% von der EU finanziert [6].
Im November nahm der Bundesrat von dem von ihm in Auftrag gegebenen Realisierungsprogramm zur Schliessung der Vollzugslücken in der Raumplanung Kenntnis. Das Programm, welches nützliche departementsübergreifende Impulse ausgelöst habe, soll dem Parlament zusammen mit den Grundzügen der Raumordnung vorgelegt werden [7].
Eine umfassende Regelung der Raumplanung hatte Nationalrätin Haering Binder (sp, ZH) mit einer bereits 1991 eingereichten Motion verlangt, welche die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen für die Erarbeitung eines Sachplans "Siedlung" im Rahmen des Bundesgesetzes über die Raumplanung (RPG) verlangt. Durch diesen periodisch zu überarbeitenden Plan soll der Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen vorschreiben, wo und in welchem Umfang sich das Siedlungsgebiet der Schweiz entwickeln soll. Dabei wäre von einer Richtgrösse von 80% der heutigen Bauzone — etwa 200 000 ha — auszugehen. Der Bundesrat anerkannte zwar, dass in der Schweiz gesamthaft gesehen zu grosszügig bemessene Bauzonen beständen, verwies jedoch auf die in den letzten Jahren ergriffenen Schutzmassnahmen im Bereich der Sicherung von Kulturland durch den Sachplan "Fruchtfolgeflächen", des Natur- und Heimatschutzes durch die Erstellung eidgenössischer und kantonaler Schutzinventare nach Artikel 18 des Natur- und Heimatschutzgesetzes sowie die vom Bundesgericht gedeckten rechtlichen Möglichkeiten der Gemeinden, ohne übermässige Entschädigungsansprüche Rückzonungen überdimensionierter Bauzonen vorzunehmen. Solche punktuellen Massnahmen, meinte Bundesrat Koller, seien wirksamer als die von der Motionärin geforderte Globallösung, welche sich allein aufgrund der fehlenden politischen Akzeptanz nicht durchsetzen liesse. Die Mehrheit des Rates teilte diese Ansicht und verwarf die Motion [8].
Am 27. August feierte die Schweizerische Vereinigung für Landesplanung (VLP) in einem Festakt in Zürich ihr 50-jähriges Bestehen. Der am 26. März 1943 in der Limmatstadt gegründete Verband ist heute die bedeutendste schweizerische Privatorganisation auf dem Gebiet der Raumplanung. In ihr sind alle Kantone, über 1600 Gemeinden sowie zahlreiche übrige Mitglieder vertreten. Die VLP setzt sich auf Gemeinde-, Kantons- und Landesebene für eine geordnete räumliche Entwicklung sowie eine sinnvolle Nutzung des Bodens für die bestehende und die nachfolgenden Generationen ein. Sie wird derzeit vom Baselbieter Regierungsrat Eduard Belser präsidiert [9].
 
[1] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 54 ff.; vgl. SPJ 1992, S. 181.
[2] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2527 f.
[3] Presse vom 21.9.93.
[4] Presse vom 27.12.93.
[5] Vgl. unten, Teil II, 4d; das Aargauer "Fristendekret" wurde am 17.5.1994 vom Grossen Rat abgelehnt (SGT, 28.12.93; AT, 22.3., 27.4. und 18.5.94).
[6] NZZ, 11.2.93.
[7] NZZ, 18.11.93.
[8] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 976 ff.
[9] Presse vom 27.8. und 28.8.93; vgl. auch das Interview mit VLP-Direktor Muggli in BaZ, 26.8.93.