Année politique Suisse 1993 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
Bodenrecht
Im März gab der Bundesrat die von ihm beschlossenen
Massnahmen zur Ablösung der 1989 vorgelegten befristeten Eingriffe im Bodenrecht in die Vernehmlassung. Diese beruhen auf vier Grundpfeilern: 1) Dem Recht auf Privaterschliessung, falls die bis anhin dafür allein zuständigen kantonalen oder kommunalen Instanzen der Erschliessungspflicht nicht nachkommen; 2) der Einführung eines unlimitierten Vorkaufsrechts für Mieterinnen und Mieter sowohl bei Wohn-, wie auch Geschäftsräumen; 3) der Festschreibung des unlimitierten Vorkaufsrechts der Gemeinden für Wohngebäude im Bundesrecht und 4) der Pflicht, die Preise veräusserter Grundstücke zu veröffentlichen
[10].
Am promptesten reagierte die
SVP auf die bundesrätlichen Vorstellungen. Noch am gleichen Tag gab sie ihre Ablehnung des Gesetzespakets bekannt. Insbesondere die geplante
Einführung der Vorkaufsrechte stelle einen unverhältnismässigen Staatseingriff dar, durch welchen keine Steigerung der Eigentumsquote zu erreichen sei, sondern im Gegenteil die Eigentumsfreiheit grundsätzlich eingeschränkt und die Bereitschaft zur Erstellung von Wohnraum geschmälert werde. Statt weiterer Regulierungen des Marktes sollten vielmehr die Bewilligungsverfahren gestrafft und die Regelungsdichte abgebaut werden. Ebenso argumentierten FDP und LP sowie die Verbände von Gewerbe, Baumeistern und Hauseigentümern. Letzterer sah in den neuen Bundesvorschriften gar eine schrittweise Annäherung an den Staatssozialismus, die nötigenfalls mit dem Referendum bekämpft werden müsse. Weitgehende Ablehnung ernteten die geplanten Massnahmen des Bundesrates auch in den Kantonen. Die Linke stand ihnen dagegen aufgeschlossener gegenüber, jedoch wandte sich die SP gegen die Einführung eines Rechts auf Privaterschliessung, da damit öffentliche Interessen unterlaufen werden könnten. Grundsätzlich positiv wurden die Vorschläge einzig vom Schweizerischen Mieterverband beurteilt
[11].
Durch das Massnahmenpaket des Bundesrates war die 1992 eingereichte Motion Gysin (fdp, BL), in welcher der Bundesrat aufgefordert worden war, unverzüglich einen Vorschlag für ein Erschliessungsrecht für Baulandeigentümer vorzulegen, weitgehend obsolet geworden. Der Nationalrat folgte in der Sommersession denn auch dem bereits im Mai 1992 formulierten Antrag des Bundesrates, diese Frage im Rahmen des Anschlussprogramms im Bereich des Bodenrechts zu behandeln und überwies den Vorstoss als Postulat
[12].
Noch vor Vorliegen der bundesrätlichen Massnahmen behandelte der Nationalrat eine Motion der FDP aus dem Jahre 1991, welche die
Aufhebung des Bundesbeschlusses über die Pfandbelastungsgrenze für nicht landwirtschaftlich genutzte Grundstücke (Teil B der Sofortmassnahmen im Bodenrecht) forderte. Dieses Begehren stiess nicht nur auf den Widerstand der Sozialdemokraten, sondern insbesondere auch den Bundesrat Kollers. Der Vorsteher des EJPD empfahl die Motion nicht nur aus formalen Gründen, als in den Kompetenzbereich des Bundesrats eingreifend, zur Ablehnung, sondern vor allem, um nicht bei einer sich abzeichnenden Erholung der Baukonjunktur ein effizientes Mittel gegen die Spekulation unnötigerweise und voreilig aus der Hand zu geben. Der Rat hörte jedoch nicht auf seine Einwände und überwies die Motion mit 55 gegen 43 Stimmen
[13].
Die zuständige Kommission des Ständerats ging in ihrer Stellungnahme zuhanden des Plenums immerhin auf die formalen Bedenken des Bundesrats ein, indem sie die Umwandlung der Motion in ein Postulat beider Räte empfahl. Um dennoch den Druck auf den Bundesrat hinsichtlich einer vorzeitigen Aufhebung dieser Massnahme aufrechtzuerhalten, beantragte sie gegen den Widerstand einer Minderheit aus Vertretern von CVP und SP eine gleichlautende Empfehlung zuhanden des Bundesrats zu verabschieden. Gegen den Widerstand Bundesrat Kollers, der auch im kleinen Rat unterlag, überwies die Kantonskammer beide Anträge deutlich
[14].
Nachdem die im Rahmen von "Eurolex" geplante Änderung des Bundesgesetzes über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland ("Lex Friedrich") durch die Ablehnung des EWR-Vertrages am 6. Dezember 1992 obsolet geworden war,
häuften sich die Vorstösse hinsichtlich einer Revision bzw. Aufhebung des Gesetzes. Nach der Überweisung einer Motion Vollmer (sp, BE) über Ersatzvorkehrungen zur Ablösung der "Lex Friedrich", welche auf Antrag des Bundesrats und mit dem Einverständnis des Motionärs als Postulat überwiesen wurde, und dem Rückzug einer ähnlichen Motion der sozialdemokratischen Fraktion, hatte sich der Nationalrat am letzten Tag der Herbstsession noch mit vier Motionen – von Ducret (cvp, GE), Fischer (fdp, AG), Fischer (cvp, LU) und Comby (fdp, VS) – zu befassen, welche mittels Teilrevisionen eine Lockerung der bestehenden Gesetzgebung anstrebten. Da alle Motionen von Keller (sd, BL) bekämpft wurden und dem Rat zudem die Antworten des Bundesrates, der sich bereit erklärt hatte, die Vorstösse in drei Fällen als Motionen und in einem als Postulat entgegenzunehmen, nicht vorlagen, wurde die Diskussion verschoben
[15]. Die Schweizer Demokraten warfen die Thematik der "Lex Friedrich" zudem in mehreren Anfragen an den Bundesrat auf, wobei Stalder (sd, BE) gar indirekt mit dem Referendum gegen eine liberalisierte Gesetzgebung über den Immobilienerwerb von Ausländern drohte
[16].
Neben diesen persönlichen Eingaben auf parlamentarischer Ebene war am 8. April 1993 eine
Standesinitiative des Kantons Genf eingereicht worden, welche die ersatzlose Abschaffung der "Lex Friedrich" forderte. Während sich die zuständige Kommission des Ständerats dazu grundsätzlich positiv ausgesprochen hatte, lehnte sie der Bundesrat in seiner Stellungnahme als zu weitgehend ab, stellte jedoch bis Ende Jahr die Ausarbeitung einer Teilrevision des betreffenden Gesetzes in Aussicht. Darüber hinaus solle eine Expertengruppe bis 1995 mit einer allfälligen Aufhebung der "Lex Friedrich" verbundene legislative Massnahmen abklären
[17].
Die von Zimmerli (svp, BE) geleitete Ständeratskommission begrüsste die Erklärung des Bundesrats, behielt aber ihren Druck auf die Landesregierung aufrecht, indem sie der Genfer Standesinitiative durch eine eigene Kommissionsmotion sowie ein Kommissionspostulat teilweise Folge geben wollte. Darin wird der Bundesrat aufgefordert, den eidgenössischen Räten bis Mai 1994 eine Vorlage zu einer raschen Teilrevision der "Lex Friedrich" zu unterbreiten. Die darin vorgesehene Bewilligungspflicht solle grundsätzlich auf reine Kapitalanlagen sowie den Erwerb von Ferien- und Zweitwohnungen bzw. diesen entsprechende Bauten beschränkt werden. Die neue gesetzliche Regelung habe insbesondere den wirtschaftlichen Bedürfnissen des Industrie- und Finanzsektors, der Tourismus- und Bergregionen sowie der Verträglichkeit mit entsprechenden ausländischen Gesetzgebungen und der Vereinbarkeit mit dem durch die Europäische Union und dem GATT gesetzten Recht zu entsprechen. Gleichzeitig wird der Bundesrat aufgefordert, ebenfalls bis Mai 1994 aufzuzeigen, durch welche Gesetzesmassnahmen die "Lex Friedrich" abgelöst werden kann.
In der Herbstsession überwies das Ratsplenum sowohl die beiden auch von Bundesrat Koller befürworteten Vorstösse seiner Kommission wie auch die vom Bundesrat aus staatspolitischen Überlegungen, unter Bezugnahme auf das Schlagwort der "Überfremdungsgefahr", abgelehnte Motion Reymond (lp, VD) für eine vollständige und definitive Abschaffung des Gesetzes über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland
[18]. Gegen solch ein radikales Vorgehen hatte sich der Bundesrat bereits wenige Tage zuvor, anlässlich der Präsentation der Zahlen der Immobilienverkäufe an im Ausland lebende Personen, ausgesprochen. Diese zeigen, nach Jahren nicht ausgeschöpfter Höchstkontingente, seit 1992 eine Trendwende an, nahm doch die Zahl der Gesuche in jenem Jahr um 65% gegenüber dem Vorjahr zu; eine Tendenz, die auch im Berichtsjahr – soweit entsprechende Zahlen vorliegen – weiter anhielt
[19].
Wie angekündigt setzte das EJPD am 16. November eine
Expertenkommission zur Aufarbeitung der mit einer Totalrevision der "Lex Friedrich" verbundenen Fragen ein
[20].
Bereits am 6. Dezember gab dann der Bundesrat einen Entwurf für eine
teilweise Revision der "Lex Friedrich" in die mit anderthalb Monaten äussert kurz bemessene
Vernehmlassung. Darin kommt er im wesentlichen auf die bereits im August in Aussicht gestellten Massnahmen zurück. So wird die Bewilligungspflicht grundsätzlich auf den Erwerb von Grundstücken zum Zweck der reinen Kapitalanlage und des gewerbsmässigen Immobilienhandels sowie den Erwerb von Ferienwohnungen beschränkt. Die Bewilligungspflicht für ausländische Klienten, die in der Schweiz Wohnsitz haben oder während mindestens fünf Jahren gehabt haben, wird aufgehoben. Im Ausland lebende Schweizer Bürgerinnen und Bürger werden rechtlich inskünftig wie Ausländer gestellt sein. Neben natürlichen Personen unterstehen Handels-, Industrie-, Finanz- und Dienstleistungsunternehmen keiner Bewilligungspflicht mehr, wenn sie die Grundstücke zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit verwenden, oder zwar als Kapitalanlage erwerben, dann aber Dritten zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Verfügung stellen. Von der Bewilligungspflicht ausgenommen sind auch Grundstücke für den sozialen Wohnungsbau. Für Ferienwohnungen gilt das bisherige Bewilligungs- und Kontingentierungssystem, wobei Ubertragungen unter Ausländern sowie Verkäufe aus wirtschaftlichen Notlagen dem Kontingent nicht mehr angerechnet werden. Bei der Festsetzung der Kontingente schliesslich soll den Kantonen mehr Freiraum gewährt werden
[21].
[11] NZZ, 25.3.93; Presse vom 3.7.93.
[12] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 980 f.
[13] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 978 ff.
[14] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 985 ff.
[15] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 975 f., 981, 1953 ff. und 1964 f.
[16] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2339 f.
[17] StR-Kommission: NZZ, 26.6.93. BR: Presse vom 26.8.93.
[18] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 708 ff.; Presse vom 4.9. und 30.9.93.; vgl. auch Verhandl. B.vers., 1993, V, S. 23.
[19] Presse vom 16.9.93; BüZ, 20.9.93. Zahlen: Die Volkswirtschaft 67/1994, Nr. 2, S. 54 ff.
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