Année politique Suisse 1993 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit / Schutz der Arbeitnehmer
Im Rahmen von Swisslex stimmten sowohl Stände- wie Nationalrat einer Änderung der obligationenrechtlichen Bestimmungen über den Arbeitsvertrag zu, wonach
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer künftig informiert und angehört werden müssen, wenn sie vom Übergang des Unternehmens auf einen neuen Besitzer betroffen sind oder wenn Massenentlassungen bevorstehen. Zudem wird festgelegt, dass der Käufer eines Betriebes die vom Verkäufer abgeschlossenen Arbeitsverträge übernehmen muss. In beiden Kammern unterlagen Rückweisungs- bzw. Nichteintretensanträge aus den Reihen der LP, welche in dieser Vorlage einen Verstoss gegen die Grundsätze der Revitalisierung und Deregulierung sah. Während der Ständerat in der Detailberatung kaum Änderungen am bundesrätlichen Vorschlag vornahm, erreichte im Nationalrat das rechtsbürgerliche Lager, dass bei Betriebsübernahmen die Einhaltung von Gesamtarbeitsverträgen auf ein Jahr reduziert wurde. Da dies der Praxis in den anderen europäischen Staaten entspricht, schloss sich der Ständerat hier an. Zudem setzte sich in der Differenzbereinigung eine Milderung der Sanktionen für die Nichteinhaltung der Informationspflicht bei Massenentlassungen durch
[39].
Diese neuen Bestimmungen des Obligationenrechts wurden ebenfalls im neuen Bundesgesetz über die Information und Mitsprache der Arbeitnehmer in den Betrieben (Mitwirkungsgesetz) festgeschrieben. Dieser Erlass sichert der Arbeitnehmerschaft einen Anspruch auf rechtzeitige und umfassende Information in den für ihre Arbeit entscheidenden Belangen zu. In Betrieben mit mindestens 50 Arbeitnehmenden kann die Belegschaft eine Vertretung bestimmen. Besondere Mitwirkungsrechte hat diese in Fragen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitswesens, beim Betriebsübergang und bei Massentlassungen.
Obgleich das Parlament im Vorjahr die Eurolex-Variante dieses Gesetzes nahezu oppositionslos angenommen hatte, entbrannte nun in beiden Kammern eine Redeschlacht darüber, ob man auf die Botschaft des Bundesrates überhaupt eintreten solle. Die Befürworter des neuen Gesetzes argumentierten, dieses bringe keine revolutionäre Neuerung, sondern fasse nur klärend jene eigentlich selbstverständlichen Mitwirkungsrechte zusammen, welche heute schon von den meisten Schweizer Unternehmen beachtet werden. Die Gegner kritisierten, hier werde erneut über- anstatt dereguliert, und sie äusserten die Befürchtung, dieses Gesetz könnte der 1976 von Volk und Ständen abgelehnten Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene den Weg bahnen. Mit deutlichem Mehr lehnten beide Kammern schliesslich Nichteintretensanträge einer rechtsbürgerlichen Minderheit ihrer jeweiligen Kommissionen ab.
Im Ständerat setzte sich aber ein Antrag Büttiker (fdp, SO) durch, welcher das Gesetz deutlich abschwächen wollte. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, in sechs Kernpunkten Mindeststandards festzuschreiben, welche keinesfalls unterschritten werden dürften, und in den anderen Bereichen eine Abweichung zu Lasten der Arbeitnehmer nur zuzulassen, wenn gesamtarbeitsvertraglich eine gleichwertige Regelung stipuliert wird. Der Vorschlag Büttiker wollte alle Bestimmungen des Gesetzes für Konsenslösungen freigeben und zudem als Verhandlungspartner neben den Gewerkschaften auch die Hausverbände zulassen. Der Nationalrat lehnte diese Änderung mit dem Hinweis ab, von Mindeststandards könnten gar keine gleichwertigen Abweichungen nach unten gefunden werden, worauf sich der Ständerat der grossen Kammer anschloss
[40].
[39] BBl, 1993, S. 880 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 377 ff., 874 ff. und 1131; Amtl. Bull. NR, S. 1708, 1721 ff., 2345 f. und 2590; BBl, 1993, IV, S. 588 ff.
[40] BBl, 1993, I, S. 865 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 601 ff., 913 und 1131; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2150 ff. und 2590; BBl, 1993, IV, S. 592. Trotz Opposition aus Arbeitgeber- und Gewerbekreisen lief die Referendumsfrist ungenutzt ab (Bund, 30.4.93).
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