Année politique Suisse 1993 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport / Gesundheitspolitik
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Kostenentwicklung
Eine international angelegte Vergleichsstudie der Schweizer Rückversicherungsgesellschaft relativierte die oft zitierte Kostenexplosion im Gesundheitswesen und zeigte, dass die Schweiz hier durchaus nicht an der Spitze liegt. Gemäss dieser Untersuchung wurden 1990 im Durchschnitt aller OECD-Länder 7,5% des Bruttoinlandproduktes für Gesundheitsausgaben verwendet. Die höchsten Ausgaben hatten dabei die USA mit 12,4% des BIP, gefolgt von Kanada (9,0%), Frankreich (8,9%), Deutschland (8,1 %), Italien (7,6%), der Schweiz (7,4%), Spanien (6,6%) und Grossbritannien (6,1%). Bei der Wachstumsrate der inflationsbereinigten Gesundheitsausgaben innerhalb der letzten 20 Jahre erreichte die Schweiz mit 3,5% pro Jahr den tiefsten Wert vor Grossbritannien (3,8%), Deutschland (4,0%), Frankreich, Italien und Kanada (je 5,0%), den USA (5,5%) und Spanien (6,3%). Mit Ausnahme von Kanada und den USA hat sich das Ausgabenwachstum in den 80er Jahren im Vergleich zu den 70er Jahren deutlich verlangsamt [7].
Leere Staatskassen sowie der dringliche Bundesbeschluss gegen die Kostensteigerung in der Krankenversicherung, welcher eine Plafonierung der in den Kantonen ausgehandelten Tarife und Preise für medizinische Leistungen vorschreibt, tragen dazu bei, dass sich die Kantone stärker als in der Vergangenheit mit kostendämmenden Massnahmen im Gesundheitswesen auseinandersetzen. Die Schweizerische Sanitätsdirektorenkonferenz (SDK) als politisches Koordinationsorgan der kantonalen Gesundheitsdirektoren führte erstmals eine gesamtschweizerische Umfrage über die in diesem Zusammenhang geplanten oder bereits eingeleiteten Schritte durch und erliess gestützt darauf neun Empfehlungen an die Kantone. Danach sollen unter anderem der Informationsaustausch zwischen den kantonalen Gesundheitsbehörden sowie die Zusammenarbeit im Spitalbereich auf regionaler Ebene über die Kantonsgrenzen hinweg verstärkt werden. Durch die Zusammenlegung von Leistungseinheiten und die Neuverteilung von Leistungsaufträgen sollen die regionalen Versorgungsstrukturen optimiert werden. Die SDK selber will eine aktivere Rolle bei der Entwicklung von Modellen für die Globalbudgetierung der Betriebsaufwendungen der Spitäler übernehmen, welche die heute gebräuchliche automatische Übernahme der Defizite durch den Staat ersetzen soll. Im weiteren wurde den Kantonen empfohlen, teilstationäre Einrichtungen und Spitex zu fördern sowie die Schaffung von ärztlichen Gruppenpraxen nach dem sogenannten HMO-Modell (Health Maintenance Organization) nach Möglichkeit zu erleichtern und zu unterstützen [8].
Im Rahmen einer Univox-Umfrage der Schweizerischen Gesellschaft für praktische Sozialforschung (GfS) wurde der Frage nachgegangen, in welchen Bereichen der Gesundheitsversorgung die Schweizer Bevölkerung am ehesten zu Einsparungen bereit wäre. 78% der Befragten sprachen sich grundsätzlich für Sparmassnahmen aus. Bei der Nennung von konkreten Schritten bröckelte der Sparwille allerdings rasch ab. Einzig für eine Zweitkonsultation durch einen Vertrauensarzt der Versicherung vor einer Operation fand sich eine Mehrheit der befragten Personen [9].
Für die Bestrebungen der Krankenkassen, durch Zusammenschlüsse und Nutzung bestehender Synergien zu einer Kosteneindämmung beizutragen, siehe unten, Teil I, 7c (Krankenversicherung).
Als Grund für die Kostensteigerung im Gesundheitsbereich wird oft auch die zunehmende Ärztedichte genannt. Gemäss der Statistik der Vereinigung der Schweizer Ärzte (FMH) verdoppelte sich diese in den letzten 20 Jahren. Die grösste Dichte an freipraktizierenden Ärzten weist Basel-Stadt auf (328 Einwohner je Arzt), die kleinste Appenzell Innerrhoden (1400). Der gesamtschweizerische Durchschnitt liegt bei 624. Fast zwei Drittel der FMHMitglieder sind Spezialärzte [10]. Von verschiedener Seite wird deshalb immer wieder gefordert, bei der Ausbildung von Medizinstudenten einen Numerus clausus oder ähnliche Restriktionen einzuführen. Im Berichtsjahr verlangte eine von 110 Nationalrätinnen und Nationalräten unterzeichnete Motion Pidoux (fdp, VD), der Bundesrat solle seine Kompetenz bei den Medizinalprüfungen zu einer sinnvollen Lenkung der Arztedichte nutzen. Der Bundesrat verwies auf die Kantonshoheit bei der Zulassung zum Universitätsstudium sowie auf entsprechende Empfehlungen der Schweizerischen Hochschulkonferenz und beantragte mit Erfolg Umwandlung in ein Postulat. Der Ständerat überwies eine ähnlichlautende Motion Simmen (cvp, SO) ebenfalls nur in der Postulatsform [11].
In der Frage, wer primär für die Kostensteigerung im Gesundheitswesen verantwortlich sei, hatten im Vorjahr bei der parlamentarischen Beratung des zweiten Massnahmenpakets gegen die Kostensteigerung im Gesundheitswesen auch die Arzthonorare zu Diskussionen Anlass gegeben. Die FMH bestritt die damals von Bundesrat Cotti genannten Zahlen (jährliches Durchschnittseinkommen von 273 000 Fr.) und liess eine eigene Studie ausarbeiten, welche markant tiefere Zahlen auswies (187 000 Fr.). Allerdings fusste diese Untersuchung lediglich auf den Angaben von rund 8000 freipraktizierenden Ärzten. Nicht erfasst wurden die Einkommen der Spitalärzte und all jener Mediziner, die neben ihrer freien Praxistätigkeit von einem Spital einen Lohn erhalten. Die FMH-Studie bestätigte die bereits früher vermutete enorme Bandbreite bei den Ärzteeinkommen. Ärzte und Ärztinnen, die technische Leistungen wie Operationen anbieten, verdienen bis fünfmal mehr als Mediziner, die vorwiegend intellektuelle Leistungen erbringen wie etwa (Kinder-)Psychiater oder Allgemeinpraktiker. Zu den Spitzenverdienern gehören die Urologen, die Orthopäden und die Gynäkologen [12].
Für die kostendämmenden Vorschläge, welche die Kartellkommission im Zusammenhang mit der Totalrevision des Krankenversicherungsgesetzes einbrachte, siehe unten, Teil I, 7c (Krankenversicherung).
 
[7] "Gesundheitswesen in acht Ländern: Ausgabenwachstum als Problem der Sozialversicherungssysteme und Privatversicherer", in Sigma, 1993, Nr. 1; Bund, 18.2.93. Zur Kostenentwicklung im Gesundheitswesen und deren Ursachen siehe auch BaZ, 23.8., 30.8., 6.9. und 13.9.93.
[8] Bund, 4.10.93 und 11.1.94.
[9] Schweiz. Gesellschaft für praktische Sozialforschung (GIS), Univox: Sozialversicherung, Adliswil 1993.
[10] NZZ, 14.5.93; BaZ, 13.9.93.
[11] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1392; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 1098 ff. Siehe dazu auch die Stellungnahme des BR in Amtl. Bull. NR, S. 657.
[12] Presse vom 25.5.93.