Année politique Suisse 1993 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport / Fürsorge
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Opfer von Gewaltverbrechen
Seit Beginn des Berichtsjahres steht das Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten ("Opferhilfegesetz ", OHG) in Kraft. Als Opfer im Sinne des neuen Gesetzes gelten Personen, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden sind, unabhängig davon, ob der Täter ermittelt werden kann oder einer Strafe zugeführt wird. Vollzogen werden muss dieses Gesetz, welches für die Opfer umfassende Beratung, finanzielle Hilfe und eine Besserstellung im Strafprozess verlangt, in den Kantonen, doch verlief die Umsetzung fast überall harzig [67].
Das OHG bestimmt, dass namentlich bei Sexualdelikten dem urteilenden Gericht wenigstens eine Person angehören muss, die gleichen Geschlechts ist wie das Opfer. Das Obergericht des Kantons Bern weigerte sich, diese Bestimmung beim Einzelrichter anzuwenden, mit der Begründung, dies komme einem Berufsverbot für männliche Einzelrichter gleich. In der Fragestunde der Frühjahrssession darauf angesprochen, taxierte Bundesrat Koller diese Argumentation als unzulässig und verwies auf die Möglichkeit, den Rechtsanspruch des Opfers vor Bundesgericht durchzusetzen [68].
Im Einverständnis mit dem Bundesrat überwies der Nationalrat diskussionslos ein Postulat Robert (gp, BE), welches den Bundesrat ersucht, sich generell für die Schaffung von professionell betreuten Zentren für Vergewaltigungs- und Folteropfer im ehemaligen Jugoslawien einzusetzen sowie in Zusammenarbeit mit Kirchen und Hilfswerken die Errichtung einer derartigen Institution in der Schweiz zu unterstützen [69].
 
[67] BaZ, 30.1.93; Bund, 15.4.93 und 5.1.94; TA, 29.6.93.
[68] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 147; BZ, 13.3.93.
[69] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 581 und 2183 f. In Europa kennen die Niederlande, Grossbritannien, Deutschland, Frankreich, Norwegen, Schweden, Dänemark und Griechenland derartige Zentren (NQ, 15. I.93).