Année politique Suisse 1993 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
Familienpolitik
Die Schweiz will sich aktiv am Internationalen Jahr der Familie (IYF) 1994 beteiligen. Der Bundesrat betraute die Pro Familia, den Dachverband der Familienorganisationen in der Schweiz, mit der Umsetzung des IYF. Für die Koordination der Aktivitäten wurde eine 43 Mitglieder zählende Kommission eingesetzt
[38]. Bundesrätin Dreifuss nahm sich vor, im Jahr der Familie vier familienpolitische Projekte zur Entscheidungsreife zu bringen, nämlich die Mutterschaftsversicherung, die Neuregelung der Kinderzulagen, die Ratifizierung der Uno-Kinderkonvention und die Schaffung einer neuen Beratungskommission
[39].
Im Rahmen einer Univox-Erhebung sprach sich knapp die Hälfte der Befragten dafür aus, dass die Kinderkosten stärker durch die Allgemeinheit getragen werden sollten. Annährend 80% waren der Ansicht, die Kinderzulagen sollten auf eidgenössischer Ebene vereinheitlicht werden. Über die Höhe gingen die Meinungen zwar auseinander, doch war eine deutliche Mehrheit (64%) für Beträge, die zum Teil massiv über den heutigen Kinderzulagen liegen. Für einen Ausbau der familienexternen Kinderbetreuung sprachen sich 57% der Befragten aus. Die stärkste Befürwortung kam von jenen Untergruppen, die selber den grössten Nutzen aus einer entsprechenden Infrastruktur ziehen, nämlich den jüngeren Frauen und den Personen mit hohem Bildungsstand
[40].
Der Nationalrat überwies diskussionslos ein Postulat Stamm (cvp, LU), welches den Bundesrat ersucht, über den gemeinwirtschaftlichen Anteil der familiären Betreuungsarbeit sowie über deren mögliche Abgeltung durch die öffentliche Hand Bericht zu erstatten
[41].
Nach mehrheitlich positivem Echo in der Vernehmlassung beauftragte der Bundesrat das EDA mit der Ausarbeitung der Botschaft zur Ratifikation der Uno-Konvention über die Rechte des Kindes von 1989, welche bisher von 119 Staaten ratifiziert worden ist. Allerdings wurden in der Vernehmlassung zahlreiche Fragen aufgeworfen. Das EDA soll diese bei der Ausarbeitung der Botschaft klären. Wo sich Unvereinbarkeiten zeigen, will der Bundesrat dem Parlament allenfalls Vorbehalte oder Rechtsänderungen vorschlagen.
Ein zentrales Problem ist das in der Konvention verankerte Recht auf Familienzusammenführung, auf das ausländische Kurzaufenthalter, Saisonniers und vorläufig Aufgenommene nach Schweizer Recht keinen Anspruch haben. Die FDP und die CVP, die Konferenz der kantonalen Fürsorgedirektoren sowie die Kantone Zürich und Schwyz empfahlen einen entsprechenden Vorbehalt. Die CVP verlangte eine schrittweise Abschaffung des Saisonnierstatuts, damit der Vorbehalt zurückgezogen werden könnte. Die SP, der SGB, die Kantone Tessin, Waadt und Jura sowie fast alle interessierten Organisationen forderten dagegen die sofortige Anpassung der Schweizer Gesetzgebung.
Das Schweizer Recht genügt den Anforderungen der Kinderrechtskonvention nach Ansicht verschiedener Vernehmlasser auch in weiteren Punkten nicht. So ist beispielsweise
im geltenden Scheidungsrecht die Anhörung der Kinder zur Zuteilung der elterlichen Gewalt nicht vorgesehen. Kritisiert wurde weiter ein ungenügendes Engagement der öffentlichen Hand bei der Schaffung von Kinderkrippen und Tagesschulen sowie das Fehlen einer Mutterschaftsversicherung
[42].
Mit einer parlamentarischen Initiative setzte sich der St. Galler CVP-Nationalrat David unter Berufung auf das Kindeswohl für das
gemeinsame Sorgerecht geschiedener Eltern für ihre Kinder ein. Darauf hin weisend, dass das gemeinsame Sorgerecht einer der umstrittensten Punkte in der anstehenden Revision des Scheidungsrechts ist und deshalb noch einer vertieften Behandlung bedarf, beschloss die grosse Kammer, der Initiative keine Folge zu geben
[43].
Der Nationalrat gab einer parlamentarischen Initiative Zisyadis (pda, VD) zur erleichterten
Einbürgerung staatenloser Kinder, die in der Schweiz geboren sind, aber die Altersgrenze für ein Einbürgerungsgesuch noch nicht erreicht haben, mit klarem Mehr Folge
[44].
[40] Schweiz. Gesellschaft für praktische Sozialforschung, Univox: Sozialversicherung, Adliswil 1993. NR Zisyadis (pda, VD) reichte eine parl. Initiative ein mit der Forderung, die Betreuung vorschulpflichtiger Kinder als öffentliche Aufgabe der Kantone in der Verfassung zu verankern (Verhandl. B. vers., 1993, V, S. 32). Die Pro Familia forderte die Schaffung eines Bundesgesetzes für Familienzulagen (Presse vom 17.9.93). Für die Auswirkungen einer Ratifizierung der UNO-Konvention über die Rechte des Kindes auf die Familienzulagen, siehe STG, 17.3.93. Vgl. auch SPJ 1992, S. 253 f.
[41] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 585 f.
[43] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1052 ff.
[44] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1944 ff.
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