Année politique Suisse 1993 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
Medienpolitische Grundfragen
Eine UNIVOX-Umfrage über das Verhältnis der Bevölkerung zu den Medien zeigte auf, dass immer weniger Menschen Vertrauen in die Unabhängigkeit der Medien setzen: Nur noch 30% (1988 und 1990: 40%) der Befragten glaubten, dass die Medien sich gegen wirtschaftliche und politische Druckversuche behaupten können. Insgesamt wurden die Medien trotzdem als verlässliche Informationsquellen bezeichnet. Die
Glaubwürdigkeit der Printmedien nahm gegenüber 1988 bei den Befragten sogar um 5% auf 68% zu, hingegen nahm jene von Radio und Fernsehen leicht ab
[1].
Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe namens "Immedia" arbeitete ein Studienprojekt zum Thema "Öffentlichkeit, Kultur und Medienwandel" aus, welches im Rahmen der sozial- und geisteswissenschaftlichen Schwerpunktprogramme des Nationalfonds ab 1996 anlaufen sollte
[2].
Im Kanton Neuenburg wurde die Diskussion um das
Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten neu belebt, als der Chefredaktor der in La Chaux-de-Fonds erscheinenden Tageszeitung "L'Impartial", Gil Baillod, mit einer Busse belegt wurde. Er hatte sich geweigert, den kantonalen Justizbehörden die Quelle zu enthüllen, die ihn mit Informationen über einen Notar, welcher in dubiose Geschäfte verwickelt war, beliefert hatte
[3].
Im Strafverfahren betreffend die Ausschreitungen an der Bauerndemonstration vom 9. Januar 1992 in Bern wurde SRG-Generaldirektor Antonio Riva erstinstanzlich von einem Berner Untersuchungsrichter wegen Zeugnisverweigerung zu 300 Fr. Busse verurteilt. Die SRG hatte sich geweigert, unveröffentlichtes Bild-Rohmaterial zwecks Identifikation gewalttätiger Demonstranten an den Untersuchungsrichter herauszugeben. Im Rekursverfahren wurde Riva vom Berner Obergericht jedoch freigesprochen. Dieses gewichtete die Informationspflicht der SRG sowie die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit stärker als das öffentliche Interesse an der Aufklärung der strafbaren Handlungen, deren Sachschaden relativ gering war
[4]. Der gesamte Problemkreis der
zunehmenden Verrechtlichung der journalistischen Arbeit wurde im übrigen in einem Podiumsgespräch zum zehnjährigen Bestehen der juristischen Fachzeitschrift "Plädoyer" erörtert. Dabei strichen Experten heraus, dass medienrelevante Gesetzesbestimmungen häufig sehr schwammig formuliert seien, wodurch die Richter in Wirklichkeit gesetzgeberische Funktionen übernehmen würden. Kritik wurde ausserdem an der Akkreditierung von Gerichtsjournalisten geübt, insbesondere weil dieselbe Instanz, deren Urteil Gegenstand der Gerichtsberichterstattung ist, damit über die Sachlichkeit der Darstellung befinden kann
[5].
Anlässlich der
Bundesratsersatzwahl Ende Februar und anfangs März des Berichtsjahres kam das gespannte Verhältnis zwischen Medien und Politik eklatant zum Vorschein. Einerseits wurde in gewissen Medien ausführlich über einen anonymen Brief berichtet, mit dem die Bundesratskandidatin Brunner (sp, GE) in Misskredit gebracht werden sollte. Andererseits bezogen viele Printmedien schon früh Stellung zugunsten der Wahl Brunners. Verschiedene Parlamentarier fühlten sich durch diese Unterstützungskampagne zugunsten Brunners genötigt und bezichtigten die Medien der Erpressung. Exponenten der bürgerlichen Parteien behaupteten sogar, die Wahl von Ruth Dreifuss in den Bundesrat sei nur durch die geballte Medienmacht zustande gekommen, was wiederum Anlass zu Kontroversen bot
[6].
Eine Motion Hess (cvp, ZG), welche die Einführung des
Öffentlichkeitsprinzips mit Geheimhaltungsvorbehalt
in der Bundesverwaltung forderte, wurde als Postulat überwiesen
[7].
Nach Informationspannen und Indiskretionen zum aussenpolitischen Bericht des Bundesrates, die im Wirtschaftsmagazin "Cash" erschienen waren, forderten 80 bürgerliche Nationalräte in einem Postulat unter Federführung Reimanns (svp, AG), dass Medienschaffende, welche vertrauliche Informationen an die Öffentlichkeit brächten, mittels Änderung der Akkreditierungsverordnung aus dem Bundeshaus zu verbannen seien
[8].
Das Bundesgericht hat, aufgrund verschiedener Verbandsklagen, eine Regelung der SRG gutgeheissen, wonach politische Kleinstgruppierungen kein Anrecht auf die Selbstdarstellung in
Wahlkampagnesendungen haben. Die SRG-Regelung sieht vor, dass nur diejenigen Parteien ein Anrecht auf diese Wahlsendungen haben, welche schon mindestens einen Vertreter in den eidgenössischen Räten haben oder welche mit mindestens 7% der Sitze in einem kantonalen Parlament vertreten sind
[9].
Eine im Sommer 1990 publizierte Reportage der Schweizer Illustrierten (SI) über die "Teufelsdroge Free Base (Crack)" wurde vor Gericht zweitinstanzlich als rechtmässig erklärt. Das Zürcher Obergericht hatte im Januar 1992 den Chefredaktor der Schweizer Illustrierten zu einer Busse verurteilt, weil seiner Ansicht nach aufgrund der Reportage und der Fotoserie eine Anleitung zur Herstellung und zum Konsum von Betäubungsmitteln und damit ein Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgelegen habe. Der Kassationshof des Bundesgerichts hob im Berichtsjahr diesen Schuldspruch auf, da die Einschränkung der Pressefreiheit einer klaren gesetzlichen Grundlage bedürfe, die im vorliegenden Zusammenhang nicht gegeben sei
[10].
[1] Univox 1 H-93; TA, 12.6.93.
[2] BaZ, 30.6.93. Vgl. auch Lit. Blum.
[3] NZZ und 24 Heures, 2.2.93.
[4] Presse vom 28.1. und 4.9.93; siehe auch Klartext, 1993, Nr. 6, S. 5 ff. sowie SPJ 1992, S. 286.
[5] Plädoyer, 1993, Nr. 2, S. 22 ff. und Nr. 3, S. 9 ff.; TA, 29.9.93.
[6] Vgl. oben, Teil I, 1c (Regierung).
[7] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 981 f. Vgl. dazu auch oben, Teil I, 1c (Verwaltung).
[8] Verhandl. B.vers., 1993, V, S. 113 f.; Bund, 18.12.93.
[10] Bund und NZZ, 4.1.93.
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