Année politique Suisse 1994 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Freisinnig-demokratische Partei (FDP)
Die FDP feierte im Berichtsjahr ihr 100-jähriges Bestehen. Die Freisinnigen waren zwar seit 1848 massgebend für die Bundespolitik, auf gesamtschweizerischer Ebene konstituierten sie sich aber erst am 25. Februar 1894 in Olten. Die FDP blieb seither die wählerstärkste Partei auf nationaler Ebene und verfügt über das am dichtesten geknüpfte Netz an Lokalsektionen. Die FDP feierte das Jubiläum im September an ihrem Geburtsort mit rund 2000 Delegierten [4].
Angesichts des Bundesdefizits kündigte die FDP für die nächsten Jahre einen strikten Sparkurs ohne Mehreinnahmen an. Bundesrat Villiger warnte seine Partei jedoch, dass eine Beseitigung des Defizits ohne Mehreinnahmen illusorisch sei. Die Partei präsentierte Sparvorschläge von 3,1 Mia Fr., wobei sie eine Verlängerung der linearen Beitragskürzungen befürwortete und etwa Einsparungen beim Bundespersonal und den öffentlichen Beschaffungen, aber auch in den Beziehungen zum Ausland vorsah. Die Partei forderte auch eine Konsolidierung des Sozialstaates und eine Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Kantonen. Die Finanzierung des Bundeshaushaltes will sie vermehrt über indirekte Steuern bestreiten [5].
In einem Positionspapier "Wege aus der Arbeitslosigkeit" trat die Partei ausserdem für eine Stärkung des Wirtschaftsstandortes Schweiz ein sowie für griffige Massnahmen gegen die Arbeitslosigkeit. Als wichtigste Massnahme gegen die Arbeitslosigkeit forderte die FDP eine Bildungsoffensive. Sie trat aber auch dafür ein, dass Arbeitslosigkeit unattraktiver gemacht werde durch die Degression bei der Taggeldauszahlung, eine Weiterfassung des Begriffs der zumutbaren Arbeit und die Einführung einer einmonatigen Karenzfrist [6].
Die FDP stellte in einem Grundlagenpapier zur Seniorenpolitik 15 Thesen für eine ganzheitliche Alterspolitik auf, deren primäre Ziele die Stärkung der Generationensolidarität und die Förderung der Eigenverantwortung sind. Dabei betonte die FDP mit der Einführungsthese "Es kann keine isolierte Alterspolitik geben" eine gesamtpolitische Betrachtung, die eine Verschärfung des Gegensatzes jung - alt vermeiden will. Weiter forderte sie die Gewährleistung der finanziellen Sicherung der AHV und des Generationenvertrages im Gesundheitswesen und plädierte für einen weiteren Ausbau der individuellen Vorsorge. Die Erhöhung des Frauenrentenalters hält die FDP für unvermeidbar. Weitere Thesen verlangen, den Anliegen der Betagten in der Siedlungs- und Verkehrspolitik vermehrt Rechnung zu tragen und Betagte besser in die Kultur- und Bildungspolitik zu integrieren. Nach Ansicht der FDP kommt den Medien bei der Förderung der Integration der Senioren eine entscheidende Funktion zu [7].
Die FDP des Kantons Waadt forderte die Mutterpartei in einer Resolution auf, ihre Haltung zu Europa darzulegen. Die FDP wehrte sich jedoch gegen den Vorwurf, die Europafrage tabuisieren zu wollen. Eine erneute Beitrittsdiskussion vor Beendigung der bilateralen Verhandlungen missachte ihrer Meinung nach aber den Volkswillen und zementiere die Zweiteilung des Landes [8].
Freisinnige und Sozialdemokraten einigten sich im Rahmen der Arbeitsgruppe Drogenpolitik auf ein gemeinsames Aktionsprogramm. Beide Parteien forderten eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, eine verstärkte Prävention und eine Ausdehnung der ärztlich kontrollierten Heroinabgabe auf alle Schwerstabhängigen. Künftig strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden solle der Drogenkonsum und der Besitz und Erwerb von Kleinstmengen zum Eigengebrauch. Die FDP blieb in der Drogenfrage aber in einen liberalen und einen repressiven Flügel gespalten. So meldete die Berner FDP-Nationalrätin G. Aubry bereits ihre Opposition gegen die Heroinabgabe an [9].
Ein Antrag von jungfreisinniger Seite, den 155 weitere FDP-Mitglieder, vorwiegend aus den Reihen der Zürcher und Aargauer Sektionen, unterschrieben hatten, verlangte die Prüfung einer gesamtschweizerischen Urabstimmung über den Fortbestand der Zauberformel. Der Antrag wurde vom FDP-Delegiertenrat jedoch klar abgelehnt, da er sich die Handlungsfreiheit zu diesem Thema erhalten möchte [10].
Bei den eidgenössischen Abstimmungen folgte die FDP konstant den Anträgen von Bundesrat und Parlament. Grosse Abweichungen von der Parole der Mutterpartei verzeichneten mit 16 Kantonalsektionen aber die Vorlage über eine leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe sowie mit 15 abweichenden Kantonalparteien das Bundesgesetz über die Krankenversicherung. Für die Alpeninitiative sprachen sich drei Kantonalsektionen sowie der Delegiertenrat der Schweizer Jungfreisinnigen aus.
Bei den kantonalen Wahlen konnte die FDP mit fünf Sitzgewinnen in den Parlamenten ihren Vorsprung auf die CVP, die sie 1993 als sitzmässig stärkste Partei überholt hatte, leicht ausbauen.
 
[4] Würdigungen der FDP: NZZ, LZ und BaZ, 25.2.94; TA, 16.9.94. Vgl. auch Lit. Politische Rundschau. Feier: Presse vom 19.9.94.4
[5] LZ, 13.8.94; BZ, 22.8.94. Vgl. auch FDP-Positionspapier Finanz- und Steuerpolitik der FDP der Schweiz, Bern 1994.5
[6] BaZ, Bund, BZ und NZZ, 16.4.94.6
[7] NZZ und TA, 16.7.94. Vgl. auch Politische Rundschau, 73/1994, Nr. 4.7
[8] BZ, 23.11.94.8
[9] TA, 11.5.94.9
[10] BZ, 4.10.94; TA, 24.10.94.10