Année politique Suisse 1994 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
Der seit 1992 amtierende CVP-Präsident
Carlo Schmid trat im Februar überraschend zurück, nicht zuletzt aufgrund parteiinterner Differenzen etwa in der Europafrage. Als sein Nachfolger wurde fast einstimmig der Freiburger Ständerat und bisherige CVP-Vizepräsident
Anton Cottier gewählt. Cottier soll in der Partei eine integrative Funktion ausüben und den Wähleranteil der CVP auf Bundesebene wieder über die 20%-Marke bringen. Als neue Vizepräsidentin wurde Rosmarie Zapfl (ZH) gewählt. In der Freiburger CVP, die Cottier bisher präsidierte, wurde mit Nicole Zimmermann erstmals eine Protestantin an die Spitze einer CVP-Kantonalpartei gewählt
[11].
Die CVP stellte im Berichtsjahr ein
neues Marketingkonzept und Schwerpunktprogramm vor, mit dem sie mehr Profil gewinnen und den seit Jahren anhaltenden Wählerverlust eindämmen will. Neu will die CVP nicht mehr "Partei der Mitte", also die mathematische Mitte zwischen links und rechts, sondern
"moderne Partei des Zentrums" sein, die auch Wähler in den Agglomerationen anspricht. Ein neues, orange-violettes Logo unterstreicht den neuen Kurs der Partei. Die CVP postulierte in ihrem neuen Schwerpunktprogramm drei Handlungsmaximen: die Bewahrung der Schöpfung, die Gleichstellung der Frauen und die neue Solidarität. Daraus leitete sie die drei Schwerpunkte Stärkung der Familie für eine solidarische Gesellschaft, soziale Marktwirtschaft im Dienste des Menschen und nationale Identität und Öffnung der Schweiz ab. Das neue Parteiprogramm, zu dem die 1300 Ortsparteien konsultiert worden waren, wurde am ausserordentlichen Parteikongress im Mai bei nur einer Gegenstimme angenommen
[12].
Im Rahmen des Schwerpunktes Familienförderung und als Beitrag zum internationalen Jahr der Familie forderte die CVP in einem
Manifest "Mehr Familie - mehr Gesellschaft - mehr Solidarität" eine Modernisierung des Familien-Begriffes und eine Ausweitung auf alleinerziehende Eltern und Drei-Generationen-Familien. Weitere Postulate sind unter anderem die unverzügliche Einführung der Mutterschaftsversicherung, die Angleichung der Kinderzulage in den Kantonen, die Anerkennung der Familienarbeit durch die Sozialversicherungen, die Beseitigung von Steuervorteilen unverheirateter Paare sowie die Einführung von Blockzeiten in der Schule. Daneben schlug die Partei vor, dass sämtliche politischen Entscheide von Bund, Kantonen und Gemeinden durch neu einzurichtende ständige Organe auf ihre Familienverträglichkeit hin zu prüfen seien. Auf Antrag von Carlo Schmid erhielt das Manifest nur unverbindlichen Charakter und soll als Diskussionsgrundlage dienen
[13].
Auch die CVP präsentierte ein
Sanierungsprogramm, um dem Defizit in der Bundeskasse zu Leibe rücken. Mehreinnahmen sind für die Partei so lange kein Thema, bis das Sparpotential ausgeschöpft ist. In einem Sofortprogramm, mit dem für 1996 2,3 Mia Fr. gespart werden sollen, forderte sie als Hauptmassnahmen die Fortsetzung der linearen Beitragskürzungen, Kürzungen bei den Besoldungs- und Militärausgaben und bei der Prämienverbilligung der Krankenversicherung
[14].
Exponenten der CVP schlugen die Aufnahme eines
"Europa-Artikels" in die Bundesverfassung vor, in dem die Rolle der Schweiz beim Aufbau Europas definiert werden soll. Als in die Bundesverfassung aufzunehmende Ziele wurden die Förderung der Vielfalt und Eigenständigkeit der europäischen Länder und Regionen unter Wahrung der nationalen Interessen, die Erhaltung von Friede, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sowie der Einsatz für eine marktwirtschaftliche Ordnung auf der Grundlage der Sozialpartnerschaft und dem Umweltschutz vorgeschlagen. Die Idee eines Europa-Artikels wurde auch als Gegenvorschlag zu den beiden hängigen Europa-Volksinitiativen gehandelt. Die Frage eines EWR- oder EU-Beitritts liess die CVP jedoch offen
[15].
In der
Drogenfrage signalisierte die Partei eine gewisse Öffnung und schloss sich der Arbeitsgruppe Drogenpolitik von FDP und SP an
[16].
Zu den eidgenössischen Abstimmungen beschloss die CVP die selben Parolen wie die FDP und blieb damit ebenfalls bei allen 13 Vorlagen bundesratstreu. Die meisten kantonalen Abweichungen von der Mutterpartei ergaben sich beim Krankenversicherungsgesetz, welches 12 Kantonalsektionen ablehnten. Die Alpeninitiative befürworteten sieben, vorwiegend innerschweizerische Kantonalsektionen.
Bei den kantonalen Wahlen konnte die CVP den seit Jahren anhaltenden Erosionsprozess stoppen. Dank fünf Sitzgewinnen in Ob- und Nidwalden verlor sie gesamtschweizerisch lediglich einen Parlamentssitz und konnte einen Regierungssitz dazugewinnen.
[11] Presse vom 12.2.94 (Rücktritt Schmid); Presse vom 2.5.94 (Wahl Cottier);
SGT, 30.5.94 (Wahl Zapfl);
BZ, 1.7.94 (Wahl Zimmmermann).11
[12] Presse vom 14.1. und 30.5.94. Siehe den Vergleich der CVP-Reformen von 1970 und 1994 in
NZZ, 17.11.94.12
[13]
NZZ, Bund und
24 Heures, 24.1.94.13
[14]
NZZ und
BZ, 31.8.94.14
[15]
TA und
LZ, 21.2.94.15
[16] Siehe Teil I, 7b (Suchtmittel).16
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